TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 23. November 2017

Mehr als nur Putzen - Der Tatortreiniger

von Lara Kleinkauf

Längst sind Polizei und Spurensicherung zu Hause, wenn der Tatortreiniger anrückt und für den Rest zuständig ist. Blut wegwischen, Überreste entfernen – alles kein Problem für Gebäudereiniger Schotty. Wenn da nicht die Angehörigen der Verstorbenen wären. Seit 5 Jahren versucht Bjarne Mädel – auch bekannt aus Stromberg - als Heiko alias „Schotty“ bei seinen Aufträgen als Spurenbeseitiger von Morden oder Suiziden einfach nur seinem Job nachzugehen, damit er sich nach Feierabend mit einem kühlen Bier beim aktuellen HSV-Spiel gemütlich auf dem Sofa entspannen kann. Doch auch in der mittlerweile sechsten Staffel des „Tatortreinigers“ funken ihm immer wieder die Angehörigen der Verstorbenen dazwischen, für die er entweder den Seelsorger spielen muss oder die ihn regelmäßig in skurrile Situation mit hineinziehen.
So dient er mal einem schreibblockierten Schriftsteller als Inspiration oder er soll einen Fluch aus einem Haus vertreiben. Das Prinzip der Episoden ist jedes Mal dasselbe: Ein Mensch ist unerwartet aus dem Leben geschieden, und Fachputzkraft Heiko Schotte von der Firma Lausen wird mit seinem Chemiekoffer gerufen, um die restliche Sudelei zu beseitigen. Dabei ergibt es sich meist – freiwillig oder unfreiwillig - von selbst, dass Schotty sich plötzlich im Gespräch über die Trauer, den Job oder das Leben mit Angehörigen, Liebhabern, Arbeitskollegen, Mördern, die er zufällig am Tatort trifft und die er ohne diesen Tod im Leben nicht begegnet wäre, wiederfindet. Da diese meist einer gesellschaftlichen Randgruppe angehören oder einen besonderen Lebensstil vertreten, kommt es dabei immer wieder zu unterhaltsamen Debatten über Ansichten, Einstellungen und Vorurteilen. So gerät Schotty mit einer radikalen Veganerin in Diskussion über gewissenhafte Ernährungsweisen, diskutiert mit einem Schamanen, ob nun spirituelle Reinigung oder tatsächliche Reinigung des Tatorts notwendiger ist oder bespricht mit einer Geschäftsführerin, die unabhängige Beratungen und Serviceleistungen für „religiöse Bedürfnisse aller Art“ anbietet, ob ein möglicher religiöser „Anbieterwechsels“ für ihn von Nöten wäre oder nicht. Durch die konträren Positionen entstehen immer wieder interessante Dialoge, die einerseits zum Schmunzeln bringen und andererseits zum Nachdenken anregen.
Aufgebaut sind diese Szenen meist als Kammerspiel und leben dementsprechend von den Auseinandersetzungen zwischen Schotty und der, beim gewissenhaften Blutwegschrubben angetroffenen Person. Da ein solcher Tatort aber meist nur aus einer handvoll Räumen besteht, in denen man quasi nur zwei Menschen beim Dialog zusieht und zuhört, könnte man meinen, dass spannungstechnisch zügig Langeweile aufkommt. Doch Arne Feldhusen, der Regisseur, liefert mit seinem sicheren Umgang mit Kameraeinstellungen, einem souveränen Spiel mit Distanzen zu den Schauspielern, Nah- oder Fernaufnahmen und seinen in jeder Folge immer wieder neuen kreativen Ideen, eine bemerkenswerte Arbeit ab, die statt zu Langeweile zum Lachen anregen. Situationskomik ist dabei vorprogrammiert.
Auch der Hauptdarsteller Bjarne Mädel schafft es nicht nur wiederholt eine unterhaltsame Vorstellung abzuliefern, sondern auch eine auf den zweiten Blick komplexe Figur zu porträtieren. In einer Folge kann man alles Wissenswerte über Schotty lernen und doch kann er einen nach sechs Staffeln noch überraschen. Der eingefleischte HSV-Fan verkörpert den einfachen Mann, der lieber an das nächste Champions-League-Spiel denkt, als sein eigenes Leben zu hinterfragen oder gar aus seiner Komfortzone herauszugehen. Doch hat er durchaus ein Gerechtigkeitsempfinden und eine sanfte und empathische Seite, die er immer wieder durchscheinen lässt, wenn er zum Beispiel von seiner Traumfrau Merle erzählt. So will man ihn am liebsten in den Arm nehmen, wenn der mit der Situation restlos überforderte Schotty auf die hochschwangere und alleinerziehende Silke trifft, deren Fruchtblase zu Schotty Entsetzen natürlich genau während seiner Anwesenheit platzt. Und während seines Versuchs Silkes Nerven zu beruhigen, plötzlich selber anfängt zu weinen und unter Tränen erzählt, dass er sich eigentlich nur ein einfaches Leben in einem Einfamilienhaus mit einem Sohn und einer Frau an seiner Seite wünscht, die abends für ihn kocht, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt. Ein durchschnittliches Leben eben. Auch wenn manche seiner Ansichten zugegebenermaßen recht eingefahren sind, wirkt er doch sympathisch. Und von Staffel zu Staffel wird er immer offener für die Gespräche mit den Hinterbliebenen, denen er immer bereitwilliger ein Ohr leiht. Mit seinem typischen Hamburger Schnack und seiner leicht prolligen Art schafft er es immer wieder für Erheiterung zu sorgen. 
Was die Serie aber besonders ausmacht, ist der Humor. Wirklich große Schenkelklopfer findet man eher selten, dafür sorgen die vielen skurrilen und grotesken Situationen für ein Dauergrinsen im Gesicht. Wie etwa, als er sich überlegt, ob sein Leben wohl anders verlaufen wäre, wenn seine Eltern ihm einen anderen Namen gegeben hätten. Und der Zuschauer sich plötzlich in einem Tagtraum wiederfindet, in dem er als goldlockiger erfolgreicher Arzt namens Raphael in seinem Porsche heranrauscht und quasi durch die Tür hereinfliegt, um mit einem charmanten gönnerischen Lächeln im Gesicht Silkes Baby, die ihn währenddessen für sein Können anhimmelt, zu entbinden. Oft fallen die Witze aber auch britisch aus. Bei einem Auftrag in einer Behörde wird er von einem abgestumpften Kollegen des verstorbenen Beamten, dessen Überreste Schotty entfernen soll, zu eben jenem Verstorbenen geschickt wird, um sich einen Schlüssel abzuholen. Als der Beamte seinen Fehler bemerkt, bricht er in Lachen aus – nur um einen Augenblick später mit ernster Miene zu bekunden, wie tragisch das Ganze sei. Doch das Schmunzeln kann einem auch mal durch tiefgründiger ruhige Momente aus dem Gesicht gewischt werden. Denn durch den Sarkasmus hindurch thematisiert die Serie auch immer wieder gesellschaftliche Probleme, Vorurteile und mangelnde Verständnis für andere Sichtweisen. Und entsprechend der Thematik seiner Aufträge, behandelt die Serie natürlich auch immer wieder die Beziehung zwischen Leben und den Tod - zu dem Schotty an sich ein sehr pragmatisches Verhältnis hat. Die Angehörigen, die er bei seiner Arbeit trifft, rufen ihm jedoch immer wieder ins Bewusstsein, dass an so einem Menschen vielleicht doch mehr dran ist, als das was man hinterher wegschrubben muss. 
Der NDR versteckte diese kleine Kostbarkeit anfangs ohne Ankündigung im Nachtprogramm – für diese „schlechte und lieblose“ Platzierung heimste er viel Kritik ein: „So darf man mit gutem Fernsehen, das man selbst in Auftrag gegeben hat, nicht umgehen“, sagte Fernsehkritiker Hans Hoff damals. Nur 50.00 Zuschauer wollten damals beim Saubermachen zusehen. Doch dank einer viralen Web-Kampagne hatte die 2011 angelaufene Sendung plötzlich doppelt so viele Fans. Durch die größer werdende Fanbasis, nahmen auch Netflix, Amazon Prime & Co die Serien in ihr Repertoire auf. Und schon allein die Auszeichnungen sprechen für die Qualität der Serie: Mehrere Grimme-Preise, Deutsche Comedy-Preise, dazu weitere Ehrungen wie der Jupiter-Filmpreis oder der Deutsche Regiepreis Metropolis darf Der Tatortreiniger sein Eigen nennen. Sogar im Ausland fand die Serie Abnehmer, was nicht gerade typisch für andere deutsche Produktionen ist. Dennoch scheint der NDR der hochgelobten Serie immer noch viel weniger Beachtung zu schenken, als sie verdient hätte. „So lange wir nur vier Folgen im Jahr machen, kann das schon noch ein paar Jahre weitergehen“, meint Hauptdarsteller Bjarne Mädel. „Wir hätten zwar Ideen für noch mehr, aber wir sind nicht diejenigen, die entscheiden, wie viele gesendet werden können.“ 
Auf intellektuelle, einfache Art zaubert „der Tatortreiniger“ einem in jeder Folge ein Lächeln auf das Gesicht und bringt den einen oder anderen dazu, auch seine eigenen Ansichten zu hinterfragen. Schottys Begegnungen ziehen sich durch alle Schichten der Gesellschaft und bereichern sowohl ihn, die angetroffenen Angehörigen als auch den Zuschauer dadurch jedes Mal um eine weitere Erkenntnis. Mit Schotty baut die erheiternde Serie insgeheim ein tiefgreifendes Abbild eines Menschen auf, in dem vermutlich jeder ein Stück von sich selbst finden kann. Beim Tatortreiniger stimmt die Mischung aus menschlichem Drama, Sarkasmus und Irrsinn. Alles in Allem hat diese charakterfeste und aufrichtige Serie durchaus Glanzpotenzial.

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