TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 23. November 2017

Amazon Fire TV - Das Feuer ist erloschen

von Herbert Schwaab

Fernsehen war so einfach und ist so kompliziert geworden. Das Eintreten in eine neue, benutzerfreundliche Fernsehwelt ist meist mühsam und bleibt es eigentlich auch. Der Sonntagabend war so lange für ein zielloses, zwangloses Fernsehen reserviert mit wenig Rezeption und viel Unterhaltung (untereinander). Er hat sich in den letzten zwanzig Jahren durch Medien wie Videokassette, DVD, Fernsehserien auf DVD und Netflix zuletzt immer schneller verändert. Letzten Sonntag wurde unser internetfähiger Fernseher durch den Amazon Fire TV Stick erweitert. Heutige Mediengeräte sind häufig Black Boxes, deren Funktionen wir nicht verstehen. Eigentlich weiß ich tatsächlich nicht, was dieser Stick macht. Aber wenn man ihn reinsteckt und auch mit der Umschalttaste den USB-Anschluss auf dem Fernseher findet, erscheinen plötzlich ähnlich wie bei Netflix Oberflächen, die den Zutritt zu einer Unzahl von Filmen und Serien und damit einen erfüllten Abend versprechen. Es wird dann aber doch alles eher enttäuschend.
Trotz der großen Usability und der Leichtigkeit der Installation einiger Teile des Sticks, stellen sich dann doch einige zunächst unüberwindbar erscheinende Hürden in den Weg. Zunächst haben wir Probleme damit, dass der Amazon-Account meiner Frau nicht mit dem Ort übereinstimmt, in dem wir wohnen. Das Verändern des Ländercodes im Internet (und nicht auf dem Fernsehbildschirm) dauert ca. 50 Minuten. Ich hätte mich schon längst vom Flow des konventionellen, analogen Fernsehens (das auch nicht mehr analog ist) gefangen nehmen lassen können, aber wir stecken fest. Ich muss zugeben, dass es mit einer gewissen Spannung verbunden ist, wenn (meine Frau) dann endlich die Lösung für das Problem findet (das war bei unserem ersten Netflixabend genauso). Aber dann beginnt die Suche in dieser wohlsortierten Auslage des Firesticks und der Zwang, Entscheidungen zu treffen, weil ja heute Rezeption so selbstbestimmt ist.  Zu dem Entscheidungsproblem gesellt sich noch das neue Problem, dass die Oberfläche zwar aussieht wie die von Netflix, dass aber nur ein kleiner Teil des Angebotes frei zugänglich ist. Wir klicken nach langer Suche Serien oder Filme an, deren mögliche Qualität nur durch ein virtuelles DVD Cover und rudimentären Informationen angezeigt wird, von denen wir dann aber erfahren, dass für sie noch einmal extra bezahlt werden muss. Weil wir auf einer der Apps oder einem Amazon- oder anderen Sender (ich glaube der Artfilmkanal von Amazon) einen Film finden, den meine Frau schon immer mal sehen wollte, trifft meine Frau die kühne Entscheidung, die gefährliche Probemitgliedschaft zu nutzen (ich muss sie noch daran erinnern, spätestens nächste Woche das Abo für diesen Sender zu kündigen). Das Einloggen geht schnell, allerdings fordert der Sender eine Bestätigung des Amazon-Accounts und des Alters. Weil es auch hier ein Konfigurationsproblem gibt, die (von meiner Frau) gelöst werden müssen, dauert es noch einmal 30 Minuten, bis wir schließlich unseren ersten Film über den Firestick schauen können. Nach weiteren 30 Minuten entdecken wir, dass der Film (Springbreakers - den ich im Kino sehr schön fand) sich auf dem kleinen Bildschirm irgendwie nicht erschließt und besser im Kino geschaut werden sollte. Wir brechen ab und suchen weiter in dem vielfältigen Angebot von Amazon.
Wenn es um Filme geht (und wir haben an diesem Abend eher Lust, einen Film zu sehen) sind Netflix und Amazon trotz des riesigen Angebots nicht so wirklich großartig. Es gibt so viele Filme, die ich so gerne sehen würde, aber sie sind bei beiden Plattformen und Anbietern nicht zu finden. Ich denke, es sind die Algorithmen, die beide Seiten verwenden. Algorithmen sind brav und selten Cineasten, die in Filmen den gegenkulturellen Exzess anderer und neuer Erfahrungen suchen. Auf den Plattformen hat alles den muffigen Odeur von abgestandener Arthouse-Cinema Kost, es gibt wenig Altes und wenig aus fremden Filmnationen zu sehen, nur lauter nette kleine Indiefilme aus den USA oder aus Deutschland, die keinem wehtun und meist so beworben werden: Ein kleiner Film über große Gefühle. Diese Filme sind tatsächlich kleingeistig und dumpf. Der Algorithmus sortiert und wählt aus und scheint mich einzusperren in eine Schicht aus jungen, internetaffinen, konsumfreudigen, erfolgreichen Menschen, was doof ist, weil ich weder jung, internetaffin, konsumfreudig oder erfolgreich bin. Wir finden auch bei Amazon keinen weiteren Film, den wir wirklich schauen wollen (und auch bei Netflix passiert es sehr selten, dass wir etwas finden).
Da sich Qualitätsserien ausschließlich an eine bestimmte Gruppe von Zuschauenden richten (von der ich gezwungenermaßen ein Teil bin), klappt es bei Serien etwas besser und nach einer weiteren Suche von 20 Minuten entscheiden wir uns für etwas, was uns nicht nur von den Algorithmen der Plattform, sondern auch von Freunden empfohlen wurde. Wir machen das, was relativ viele schon gemacht haben, und schauen uns die von Amazon selbst produzierte Serie The Man in the High Castle an. Es ist schon komisch, da bewegen wir uns auf einer der vielen Plattformen, die die Befreiung von der Diktatur des linearen Fernsehens versprechen, nur um dann wieder beim Führer zu landen. Die Serie ist nett, die Figuren bewegen sich sediert durch die graue, triste Welt der von Japanern und Deutschen okkupierten USA (oder doch nicht?), die Nazis sind 20 Jahre nach dem Krieg noch böser, und es gibt genügend Rätsel, so dass wir als Zuschauende die Serie auch an anderen Abenden weiterschauen wollen, auch wenn wir nicht sicher sind, ob wir sie zu Ende schauen. Denn irgendwie ist alles hochdramatisch und dann doch auch eigenartig kalt. Das neue Fernsehen fordert uns heraus, aber nur wenn es um die Einrichtung der Plattform und um die Auswahl der Produkte geht. Die Serien selbst, selbst wenn Nazis da sind, sind häufig (nicht immer) so smart, dass an ihnen alle Leidenschaft erstirbt.  Die Oberflächen der Plattform erscheinen sauber geputzt, eben wie die Auslagen in einem gut geführten Geschäft und es ist eigenartig, dass wir uns nicht mehr darüber wundern, warum ein Warenhaus Fernsehen macht. Ähnlich sortiert wie ihre Angebote sind die Zuschauer: Im gentrifizierten Fernsehen wohnen wir alle im Prenzlberg, sitzen mit Laptops in Cafés, trinken Latte Macchiatto, haben zwei Kinder, machen irgendwas kreatives und schauen am Abend kein lineares Fernsehen mehr, es könnte ja sein, dass wir jemandem anderen als uns selbst begegnen. Das Feuer des Amazon Fire TV-Stick ist nur eine lodernde Glut, die bald zu fahler Asche wird.

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