TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 21. November 2017

Vermisst: Wer sucht, der lässt finden

von Leonie Schnith

„Sandra wen suchst du?“ „Ich suche meine Mutter Josephina, die in Tahiti lebt“ „Sandra kannst du sagen, wann du deine Mama das letzte mal gesehen hast?“ „Wirklich bewusst habe ich sie noch nie gesehen, da ich mit 4 Monaten nach Deutschland zu meinen Großeltern gekommen bin und seitdem keinen Kontakt mehr mit ihr hatte.“ So oder so ähnlich klingt meist das erste Gespräch zwischen der Moderatorin Julia Leischik und ihrem Gegenüber in der Real-Life-Doku-Serie Vermisst auf RTL. In diesem seit 2007 ausgestrahlten TV-Format, geht es, wie der Name schon verrät, um Personen, die vermisst werden. Julia Leischik wird in einer Folge von jeweils zwei unterschiedlichen Personen gerufen, die nach Schicksalsschlägen einen geliebten Menschen verloren bzw. nie kennengelernt haben und diesen nach ewigen Jahren des Vermissens wiederfinden wollen.
 Zu Beginn werden in einem Interview genügend Infos über den jeweiligen Vermissten, hier die Mutter von Sandra, gesammelt, was meistens mit tränenreichen Schilderungen des Angehörigen einhergeht. Dann geschieht ein Zeitsprung: wiederzufinden ist Julia in Tahiti, um ihre Suche nach Sandras Mutter dort zu beginnen. Begleitet von einem Kamerateam und mindestens einem Dolmetscher hat sie mit herben Niederschlägen zu kämpfen, bei denen der Zuschauer, der mehr oder weniger still mitfiebert, schon Bedenken hat, ob die Suche Erfolg haben wird oder nicht. Als sie gefühlt die halbe Stadt befragt hat, ein verlassenes Hotel, ein Touristikzentrum, eine Tanzgruppe, einen Hafen und schlussendlich auf einem Fischmarkt gelandet ist, scheint es doch einen Lichtblick zu geben, der mit einem strahlenden Blick der Moderatorin in die Kamera verbunden ist „ich glaube ich habe sie gefunden.“ Ein erneuter Zeitsprung lässt für den Zuschauer die Frage offen, ob die Suche wirklich erfolgreich war und wie die Reaktionen der gesuchten Person sind. Um diese Fragen zu klären lädt Frau Leischik Sandra, vier Monate nach ihrem ersten Treffen ein, nach Tahiti zu kommen. Einen Laptop auf dem Tisch stehend, der Blick der beiden Frauen darauf ruhend, verbunden mit der Frage, die im Raum schwebt: war die Suche erfolgreich, kann Sandra ihre geliebte Mama wiedersehen? Der Laptop wird angeknipst und zugleich die Tränendrüse von Sandra, die so auf das Ergebnis der Suche gespannt ist. Nachdem nun endgültig klar ist, dass Sandra ihre Mama wiedersehen kann, geschieht die große Überraschung für sie „Sandra möchtest du deine Mama gerne wiedersehen? Sie wartet auf dich.“ Angekommen am Haus von Sandras Mutter, sagt Julia zu ihr „Da vorne steht deine Mama“ und zeigt in die Richtung, in welche Sandra nun begleitet von einem Kamerateam läuft und ihr Glück kaum fassen kann, spätestens als sie ihre Mama sieht und sie in ihre Arme schließt und beide wie wild zu schluchzen anfangen, bleibt auch bei dem Zuschauer fast kein Auge mehr trocken. Abschließend noch ein kurzer Satz von Julia Leischik in die Kamera, während im Hintergrund weiter umarmt wird. Schon schaltet man als Zuschauer mit einer gewissen zufriedenen Stimmung aus, da eine weitere Suche erfolgreich war.
Sehr gekonnt steigert RTL in dieser Sendung die Spannung, mit Erfolgen und Misserfolgen während der Suche, indem sich nicht nur einmal die Frage stellt, ob sie gelungen ist. So wird erreicht, dass der Zuschauer auch weiterhin mitfiebernd vor dem Fernseher sitzt, obwohl eigentlich jedem schon von vorneherein klar sein sollte, dass bei all den ausgestrahlten Folgen die Suche mit Sicherheit erfolgreich war und es zu einem Wiedersehen mit der vermissten Person kommen wird, sofern diese noch am Leben ist. Trotz allem bleibt ein fader Nachgeschmack, denn man wird den Gedanken nicht los, dass die meisten Szenen gestellt sind. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass es erstaunlich ist, wie mühelos Julia Leischik das Drehen in öffentlichen Gebäuden, das Mitschneiden von Gesprächen und das Filmen von Personen und deren Wohnungen gestattet ist, da dies ohne vorheriges Einverständnis im Normalfall schwierig ist. Zum Anderen hat man bei einigen Gesprächen das Gefühl, dass sie schon einmal stattgefunden haben, denn die Szenen und Sätze wirken oft zu perfekt und damit gescriptet. Dies trifft jedoch nicht auf alle Gespräche und Szenen zu, da durchaus sehr emotionale und glaubwürdige Momente aufgenommen werden, die selbst sehr gute Schauspieler oft nur schwer so realistisch darstellen können, wodurch sich für den Zuschauer nie völlig klären lässt, was gescriptet und was wirklich echt ist. Zudem stellt sich die Frage, warum dem Team um Julia Leischik die Suche nach den vermissten Personen scheinbar so leicht fällt, wo doch einige Angehörige von bereits erfolglosen Suchen berichten, weshalb sie sich nun an das Team von „Vermisst“ wenden. Dennoch muss gesagt werden, dass das Konzept mit viel Schicksal, Tränen und Emotionen sehr gut funktioniert, den Zuschauer begeistert und berührt, gescriptet hin oder her.

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