TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 13. November 2017

Black Mirror. Abgründe des Technologiezeitalters

von Bastian Fraunhofer

Die Prinzessin Susannah von England wurde entführt. Wenige Minuten nach dem Bekanntwerden der Entführung taucht ein Bekennervideo im Internet auf. Die Entführer lassen das Opfer über YouTube einen Text verlesen, in welchem verlautet wird, dass es eine Möglichkeit gibt, die Herzogin zu retten. „Es gibt nur eine einzige Forderung und die ist ganz einfach. Heute Nachmittag um 16 Uhr muss Premierminister Michael Callow im britischen Fernsehen live vor die Zuschauer treten, auf allen Kabel- und Satelliten gestützten Sendern und vor allen Augen nicht simulierten Sexualverkehr mit einem Schwein haben.“

Technische Vorgaben und Details für die Ausstrahlung liefern die Entführer obendrein. „Hat sie Schwein gesagt?“ fragt der Premierminister nachdem er das Video gesehen hat. „Dazu wird es nicht kommen!“ stellt er fest. Das Krisenteam der britischen Regierung verhängt sofort eine Nachrichtensperre. Doch jeder kann das Video längst via Internet verfolgen. So geht die Nachricht schnell via Twitter, Facebook und co. viral und auch die unter Druck stehenden britischen Fernsehsender berichten wenig später über die Entführung. Nicht nur das Vertuschen der Nachricht erweist sich als schier unmöglich, auch die Suche nach den Entführern stellt sich als außerordentlich schwierig dar. Durch moderne Verschlüsselungen beim Hochladen des Videos kann man nicht feststellen, von wo oder von wem das Filmmaterial verbreitet wurde. Es werden alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen, um die Prinzessin zu retten und den Premierminister vor seiner widerwärtigen sodomitischen Aufgabe zu bewahren. Ein Spiel gegen die Zeit beginnt, bis 16 Uhr bleibt nicht mehr viel Zeit. 

Dies ist der Start der ersten Folge der Serie Black Mirror. 2011 zum ersten Mal im britischen Fernsehen auf Channel 4 ausgestrahlt, gibt es mittlerweile weitere zwei Staffeln. Insgesamt sind es somit 13 Episoden und eine weitere Staffel wurde vom Streaming-Dienst Netflix in Auftrag gegeben. Im Gegensatz zu den meisten Serien, haben die einzelnen Episoden von Black Mirror keinen Bezug zueinander. Der kreative Kopf und Erfinder der Serie, Charlie Brooker, stellt heraus, dass „jede Episode eine unterschiedliche Besetzung, einen unterschiedlichen Schauplatz, gar eine unterschiedliche Realität besitze“. Black Mirror ist Charlie Brookers Werk. Als Ideengeber und Drehbuchautor von fast jeder einzelnen Folge, ist er der scharfsinnige und kreative Motor hinter dem Erfolg der Serie. Brooker, der hauptsächlich als TV-Autor, Satiriker und Kolumnist für den renommierten Londoner Guardian arbeitet, wurde vor allem durch amerikanische Formate wie Twilight-Zone oder X-Factor inspiriert. Während in den Vorbildern der Serie Science-Fiction und Mystery eine große Rolle spielt, schafft es Black Mirror sich vom übernatürlichen und fiktiven Charakter zu lösen. Das Herzstück jeder Episode ist meist eine auf die Spitze getriebene technische Neuerung, die unsere Umwelt und unsere Gesellschaft entscheidend verändert. Oft stellen sich diese, im ersten Augenblick so genial erscheinenden Erfindungen jedoch als sehr gefährlich heraus. 

In Episode 3 der ersten Staffel ist es den Menschen zum Beispiel möglich, mit einem Implantat, das neben dem Ohr in den Kopf eingesetzt wird, ihr ganzes Leben aufzuzeichnen und zu speichern. So kann man sich in bester „RL“ (Real Life) Qualität jedes Erlebnis, jede Begegnung, einfach alle Situationen, die man in seinem Leben erlebt hat, durch Knopfdruck auf eine zum Sensor passende Fernbedienung, nochmals vor Augen führen. Verträumt erneut den letzten Urlaub oder das letzte gemeinsame Abendessen mit Freunden zu erleben, klingt doch eigentlich ganz schön. Vor dem Jobinterview, am Flughafen oder bei der Polizeikontrolle die letzten Monate aus seinem Leben aufzeigen zu müssen, um zu beweisen, dass man ein regelkonformes Leben führt, eher weniger. Auch heute schon führen Politiker Debatten um die Vorratsdatenspeicherung zum Schutze der Bevölkerung. Wäre das von Google erfundene „Google Glass“ nicht zum riesigen Flopp geworden, würde der Bundesverfassungsschutz vielleicht schon heutzutage, aus Sicherheitsgründen versteht sich, unsere Erlebnisse als Videodatei speichern. Gar nicht so weit hergeholt, wenn man sich überlegt wie viel Daten wir schon jetzt von uns im Netz Preis geben. Auf wie viel Freiheit sind wir also in Zukunft gewollt zu verzichten, um unsere Sicherheit in einer schier endlos digitalisierten Gesellschaft nicht aufgeben zu müssen.  

Vom klassischen Szenario der Erpressung, durch im Internet gehackte Videos und Daten bis hin zu einer Software, die den Charakter von verstorbenen Menschen durch den Inhalt, den sie in Social-Media-Portalen gepostet haben, rekonstruieren kann, Black Mirror hat einiges zu bieten. Nicht alle Folgen sind jedoch nach so einem einfachen Muster aufgebaut wie die letzteren. Oft weiß man bis zum Ende der Episoden nicht, wie diese zu verstehen sind. Umso eindringlicher erscheint dann, die subversive Botschaft, die mit jeder Folge geliefert wird. Black Mirror regt zum Nachdenken an und hält unserer Mediengesellschaft den Spiegel vor. Was passiert, wenn wir nicht verantwortungsvoll mit den technischen Möglichkeiten, die sich uns bieten und in Zukunft bieten werden, umgehen. 

Die Antworten auf diese Frage erhält man, wenn man Black Mirror schaut. Kritiker sagen sogar, die Serie habe den Präsidenten Trump vorausgesagt. In Episode drei der zweiten Staffel, die 2014 erschien, stellt sich eine Zeichentrickfigur namens Waldo zur Wahl für britische Lokalwahlen. Geschaffen von Machern einer Satireshow, die zu vergleichen ist mit der „Daily-Show“ oder dem deutschsprachigen Pendant, der Heute-Show, mischt die fiktive Figur durch provokante Beleidigungen den Politikbetrieb auf. Die Überraschung, die Leute lieben die Figur und trauen ihr mehr zu als den immer gleich bleibenden politischen Eliten, die nur zum eigenen Vorteil und nicht zum Wohle der einfachen Menschen handeln. So die Anschuldigungen von Waldo und von Trump. Der Unterschied, Waldo wird nicht zum Abgeordneten gewählt, Trump zum Präsidenten. 

Die Serie Black Mirror ist deswegen so faszinierend, da sie mit all ihren Zukunftsvisionen und Gesellschaftsdystopien nie die Grenze des Vorstellbaren überschreitet. Sie stellt auf zugespitzte Weise die Perversität unsere Mediengesellschaft heraus. Selbst wenn man sich gegen all die Neuerungen zu wehren vermag, zeigt die Serie, dass es oft nicht möglich ist sich dem technischen Fortschritt zu entziehen. Verweigerer der Technologie stehen in den Zukunftsszenarien oft ausgegrenzt am Rande der Gesellschaft. Dies führt auch zum einzigen Kritikpunkt, den ich der Serie anlasten muss. Sie ist geprägt von Pessimismus und Menschenmisstrauen. Bis auf einzelne Ausnahmen werden immer nur die Schattenseiten des technischen Fortschritts aufgezeigt. Charlie Brooker entgegnet diesem Punkt, dass in den düsteren Szenarien nicht die Technologie das Böse verkörpert, sondern der Mensch, der sie falsch verwendet und missbraucht. Denn auch Brooker selbst ist Fan von Twitter und co. und checkt jeden Tag nach dem Aufstehen seinen News-Feed. Gerade die Abhängigkeit von den digitalen „Gadgets“ die jeder in seinem Alltag verwendet fasziniert ihn. Die dunkle Seite der Abhängigkeit präsentiert er uns mit Black Mirror Nicht verwunderlich ist deshalb, dass die bisher am optimistischsten beurteilte Folge „San Junipero“ in der dritten Staffel, auf große Begeisterung bei der Fangemeinschaft stieß. Brooker zeigt damit, dass er auch anders kann und macht Hoffnung auf die vierte Staffel. 

Beim Schauen der Serie stellte ich mir immer wieder die Frage, ob es nicht besser für die Menschheit wäre, wenn alle Ressourcen zur Herstellung von Smartphones und Co. längst aufgebracht wären. Auch mir als Fan des technischen Fortschritts läuft es bei den Zukunftsszenarien der Serie eiskalt den Rücken hinunter. Man stelle sich einmal vor, all unsere modernen Gadgets, vom Smartphone bis zum Computer, würden plötzlich nicht mehr funktionieren und alles, was von dieser faszinierenden und nicht fassbaren Welt hinter den Bildschirmen übrig bleiben würde, wären leere schwarze Spiegel.

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