TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 19. Juli 2017

Liebesg‘schichten und Heiratssachen. Slow TV aus Österreich


von Herbert Schwaab

Es gibt eine Qualität von Formaten des Fernsehens, die die Zuschauenden dazu bringt, nicht weiter zu schalten. Auch wenn viele dieses Phänomen kennen, wird es als subjektiv empfundene Bannung des rastlosen Fernsehblickes sich wohl an den unterschiedlichsten Merkmalen festmachen: Vielleicht unmittelbare Momente des Spektakels, der Scham, des Ekels, der Wollust oder der Niedlichkeit oder auch eine plötzliche Erweckung aus einem Zustand der dumpfen, automatisierten Wahrnehmung eines nebenbei laufenden Fernsehens, der es uns erlaubt, uns aus diesem Zustand der unbewussten Erwartung zu befreien und in einen anderen Zustand der Konzentration hinüberzutreten. Vielleicht sind es auch Unterschiede in der Gestaltung, die Art wie ein Format inszeniert, geschnitten oder ausgeleuchtet ist, die einen Unterschied machen und zum Stehenbleiben verleiten. 

Ein Format, das mich häufiger beim Schweifen durch die Programme stillgestellt hat, ist Liebesg’schichten und Heiratssachen, das von dem österreichischen Sender ORF 2 ausgestrahlt wird. Das von Elizabeth T. Spira konzipierte und moderierte Format geht in diesem Sommer in die 21. Staffel. Es bietet sechs bis sieben einsamen Männern und Frauen die Möglichkeit, sich im Fernsehen zu präsentieren und eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Einige Folgen, wie die erste Episode der 21. Staffel, besucht die Partnersuchenden in unterschiedlichen Abständen abermals und befragt sie zu den Reaktionen und den Ergebnissen der Suche.

Solche Formate neigen dazu, wenn sie sich etwa ausschließlich auf hoffnungslose Fälle beziehen, Menschen bloßzustellen, sich über sie zu erheben und in Randbezirke der Gesellschaft zu blicken. Als Formate des Reality TV sind sie häufig überinszeniert, arbeiten mit Sound- und Bildcollagen, Wiederholungen und exzessiv ironischer Kommentierung oder Alliterationen wie Robin, der einsame Eisenbahnfreund, was auch der Grund ist, warum sie so leicht zu imitieren, zu parodieren oder zu unterwandern sind (siehe Böhmermann und Schwiegertochter gesucht). Vielleicht bleibt man an ihnen gerade wegen der Scham und dem Mitleid, das die Kandidaten erregen, oder auch wegen der Alliterationen hängen, es ist aber nicht unbedingt ein nachhaltiges oder produktives Hängenbleiben.

Liebes’gschichten und Heiratssachen hat sehr wenig mit solchen Formaten zu tun. Es ist kein hektisches, ausstellendes Fernsehen, sondern betulich und überaus langsam nimmt sich das Format Zeit, die suchenden Menschen zu präsentieren und es ist genau diese Langsamkeit, die einen wichtigen Grund darstellt, warum ich an diesem Format hängenbleibe. Es gibt viele dokumentarische Formate des Fernsehens, die uns Menschen und Welten zeigen, sich für sie interessieren und auch uns interessieren und wenn an ihnen irgendwann auch einmal etwas peinlich wirkt, dann sind es wirklich die Menschen selbst. Es gibt viele Steilvorlagen in dieser Episode, solche Peinlichkeiten auszustellen, es gibt sogar bizarre Momente, wenn ein Transgendermensch, der früher ein Mann war, in den drei Besuchen drei unterschiedliche Partner unterschiedlicher geschlechtlicher Identität hat und am Ende eine Schamanenhochzeit feiert, oder Christine, eine Ärztin oder Künstlerin aus dem Hausruck, die zunächst eigentlich ganz sympathisch wirkt, aber dann offenbart, dass sie Tarotkarten legt und ihr neuer Freund wie sie das zweite Gesicht habe. Aber das Format hält sich nicht auf, diese Skurrilitäten auszustellen, es akzeptiert sie und sucht sie nicht. Es präsentiert Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten und unterschiedlicher Herkunft, deren einziges verbindendes Merkmal eine universell bleibende Einsamkeit ist und die die Zuschauenden häufig auch dann zu rühren vermögen, wenn man mit einigen ihrer Ansichten oder Eigenschaften nicht so einverstanden ist. Die Repräsentation von Diversität ist oder sollte ein Anliegen des Fernsehens sein, in Liebesg’schichten und Heiratssachen ist sie in einem Land perfekt verwirklicht, das sich nicht unbedingt leicht damit tut, diese anzuerkennen.

Die Langsamkeit gibt nicht nur den Menschen die Möglichkeit, sich als die zu zeigen, die sie sind (Ehrlichkeit ist ein bestechendes Merkmal der Sendung), es passt nicht nur sehr gut zu den nicht besonders schnellen Österreichern, sondern es ist auch ein Merkmal der Sendung auf der Ebene der Inszenierung. Die Sendung ironisiert die Partnersuche auf sehr, sehr subtile Weise, etwa dadurch, dass die Titelmelodie ein Schlager aus den 1950er Jahren ist. Die spürbare und erholsame Langsamkeit ist das Ergebnis einer kunstvollen Komposition aus sorgsam ausgewählten und rhythmisch wechselnden Einstellungen. Die Einstellungen der Interviewsequenzen, bei denen Elizabeth T. Spira meist unsichtbar und vorsichtig nachfragend bleibt, sind so gewählt, dass das Lebensumfeld der Menschen in ihren Wohnzimmern eingefangen wird. Diese werden gelegentlich, nur aus Gründen der ästhetischen Komposition, leicht verändert, die Arrangements der Kaffeetassen, Kuchen oder typischen Gegenständen der Leben der Menschen wirken manchmal wie Holländische Stillleben. Diese Einstellung werden immer wieder unterbrochen von Detailaufnahmen, häufig irgendwelche Porzellanfiguren oder Plüschtiere, aber auch manchmal erotischen Zeichnungen, die nicht unbedingt den guten Geschmack der Porträtierten beweisen, aber in der Komposition mit den unschuldigen Nippesfiguren auch die Vielschichtigkeit der Menschen offenbaren. Es sind diese ruhigen Montagen, die an die großen japanischen Werke und ruhigen Alltagsdramen von Yasuhiro Ozu denken lassen, die mit ein Grund sind, warum ich an dem Format immer wieder hängengeblieben bin. Ich bin mir sicher, dass die Macherinnen und Macher genau wissen, was sie tun und auf diese Weise kann Fernsehen tatsächlich einen Unterschied machen und dieses ‚einen Unterschied machen‘ muss es auch machen, wenn es im Programm gefunden werden will (in Österreich ist es mit bis zu einer Million Zuschauern eines der erfolgreichsten Formate). Der verstohlene Blick in die Wohnzimmer anderer Menschen, der sich in Reality TV Formaten häufig findet, ist hier ein erlaubter, genauer, ebenso kunstvoller wie analytischer Blick.

Der letzte wichtige Grund für das lohnende Hängenbleiben an diesem Format findet sich in den Menschen, die hier gezeigt werden und in sehr rührenden und zum Teil auch erfolgreichen Liebesgeschichten, die hier erzählt werden und sehr kluge Wahrheiten über das Zusammenleben von Menschen enthalten. In der Sendung von 10.07.2017 wird in der Rückblickepisode noch einmal Rosa-Marie gezeigt, die mit 95 Jahren einen Partner zum Reden und Kaffeetrinken sucht. Einen Monat später hat sie den 96jährigen Albert gefunden, einen rüstigen Rentner (um in dieser Kritik auch mal eine Alliteration zu verwenden). Albert besucht sie gelegentlich, Rosa-Marie bleibt aber sichtlich skeptisch und verwahrt sich auch gegen eine Zärtlichkeit, die Albert mit ihr auszutauschen versucht. Weitere fünf Monate später sitzen sie wieder bei Kaffee und Apfelstrudel in ihrer Wohnung beisammen und alles hat sich geändert. Rosa-Marie offenbart auch gleich, dass sie nicht das bekommen hat, was sie gesucht hat, einen Freund, mit dem man Kaffeetrinken kann. Sie hat die große Liebe bekommen, mit dem sie nicht nur den Jausenkaffee teilt, sondern gelegentlich auch den Morgenkaffee, wenn er über Nacht geblieben ist. Ich könnte weinen vor einer Rührung, die nicht erzwungen wird. Rosa-Marie sagt uns sehr viel über die Liebe: 95 ist nur eine Zahl. Die Gefühle sind noch immer die gleichen, als wäre sie ein Teenager. Und Albert gibt uns auf den Weg: Frauen sind Engel, und wenn du sie so behandelst, dann bist du im Himmel. Am Ende verraten sie uns noch, dass sie ein gemeinsames Lied als Motiv ihrer Liebe haben und singen dann mit ihren bald 100 Jahren alten Stimmen ein Liebesduett aus einer Operette, der perfekte und authentische Musicalmoment und ich muss fast weinen. Jetzt weiß ich wieder, warum ich La La Land so falsch und scheiße fand.     
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen