von Herbert Schwaab
Es gibt eine Qualität von Formaten des Fernsehens, die die Zuschauenden dazu bringt, nicht weiter zu schalten. Auch wenn viele dieses Phänomen kennen, wird es als subjektiv empfundene Bannung des rastlosen Fernsehblickes sich wohl an den unterschiedlichsten Merkmalen festmachen: Vielleicht unmittelbare Momente des Spektakels, der Scham, des Ekels, der Wollust oder der Niedlichkeit oder auch eine plötzliche Erweckung aus einem Zustand der dumpfen, automatisierten Wahrnehmung eines nebenbei laufenden Fernsehens, der es uns erlaubt, uns aus diesem Zustand der unbewussten Erwartung zu befreien und in einen anderen Zustand der Konzentration hinüberzutreten. Vielleicht sind es auch Unterschiede in der Gestaltung, die Art wie ein Format inszeniert, geschnitten oder ausgeleuchtet ist, die einen Unterschied machen und zum Stehenbleiben verleiten.
Ein Format, das mich häufiger beim Schweifen durch die Programme stillgestellt hat, ist Liebesg’schichten und Heiratssachen, das von dem österreichischen Sender ORF 2 ausgestrahlt wird. Das von Elizabeth T. Spira konzipierte und moderierte Format geht in diesem Sommer in die 21. Staffel. Es bietet sechs bis sieben einsamen Männern und Frauen die Möglichkeit, sich im Fernsehen zu präsentieren und eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Einige Folgen, wie die erste Episode der 21. Staffel, besucht die Partnersuchenden in unterschiedlichen Abständen abermals und befragt sie zu den Reaktionen und den Ergebnissen der Suche.
Solche
Formate neigen dazu, wenn sie sich etwa ausschließlich auf hoffnungslose Fälle
beziehen, Menschen bloßzustellen, sich über sie zu erheben und in Randbezirke
der Gesellschaft zu blicken. Als Formate des Reality TV sind sie häufig überinszeniert,
arbeiten mit Sound- und Bildcollagen, Wiederholungen und exzessiv ironischer
Kommentierung oder Alliterationen wie Robin, der einsame Eisenbahnfreund, was
auch der Grund ist, warum sie so leicht zu imitieren, zu parodieren oder zu
unterwandern sind (siehe Böhmermann und Schwiegertochter gesucht). Vielleicht
bleibt man an ihnen gerade wegen der Scham und dem Mitleid, das die Kandidaten
erregen, oder auch wegen der Alliterationen hängen, es ist aber nicht unbedingt
ein nachhaltiges oder produktives Hängenbleiben.
Liebes’gschichten und Heiratssachen hat sehr wenig mit
solchen Formaten zu tun. Es ist kein hektisches, ausstellendes Fernsehen,
sondern betulich und überaus langsam nimmt sich das Format Zeit, die suchenden
Menschen zu präsentieren und es ist genau diese Langsamkeit, die einen
wichtigen Grund darstellt, warum ich an diesem Format hängenbleibe. Es gibt
viele dokumentarische Formate des Fernsehens, die uns Menschen und Welten
zeigen, sich für sie interessieren und auch uns interessieren und wenn an ihnen
irgendwann auch einmal etwas peinlich wirkt, dann sind es wirklich die Menschen
selbst. Es gibt viele Steilvorlagen in dieser Episode, solche Peinlichkeiten
auszustellen, es gibt sogar bizarre Momente, wenn ein Transgendermensch, der
früher ein Mann war, in den drei Besuchen drei unterschiedliche Partner
unterschiedlicher geschlechtlicher Identität hat und am Ende eine
Schamanenhochzeit feiert, oder Christine, eine Ärztin oder Künstlerin aus dem
Hausruck, die zunächst eigentlich ganz sympathisch wirkt, aber dann offenbart,
dass sie Tarotkarten legt und ihr neuer Freund wie sie das zweite Gesicht habe.
Aber das Format hält sich nicht auf, diese Skurrilitäten auszustellen, es
akzeptiert sie und sucht sie nicht. Es präsentiert Menschen aus den
unterschiedlichsten Schichten und unterschiedlicher Herkunft, deren einziges
verbindendes Merkmal eine universell bleibende Einsamkeit ist und die die
Zuschauenden häufig auch dann zu rühren vermögen, wenn man mit einigen ihrer
Ansichten oder Eigenschaften nicht so einverstanden ist. Die Repräsentation von
Diversität ist oder sollte ein Anliegen des Fernsehens sein, in Liebesg’schichten und Heiratssachen ist
sie in einem Land perfekt verwirklicht, das sich nicht unbedingt leicht damit
tut, diese anzuerkennen.
Die
Langsamkeit gibt nicht nur den Menschen die Möglichkeit, sich als die zu
zeigen, die sie sind (Ehrlichkeit ist ein bestechendes Merkmal der Sendung), es
passt nicht nur sehr gut zu den nicht besonders schnellen Österreichern, sondern
es ist auch ein Merkmal der Sendung auf der Ebene der Inszenierung. Die Sendung
ironisiert die Partnersuche auf sehr, sehr subtile Weise, etwa dadurch, dass
die Titelmelodie ein Schlager aus den 1950er Jahren ist. Die spürbare und erholsame
Langsamkeit ist das Ergebnis einer kunstvollen Komposition aus sorgsam
ausgewählten und rhythmisch wechselnden Einstellungen. Die Einstellungen der
Interviewsequenzen, bei denen Elizabeth T. Spira meist unsichtbar und
vorsichtig nachfragend bleibt, sind so gewählt, dass das Lebensumfeld der
Menschen in ihren Wohnzimmern eingefangen wird. Diese werden gelegentlich, nur
aus Gründen der ästhetischen Komposition, leicht verändert, die Arrangements
der Kaffeetassen, Kuchen oder typischen Gegenständen der Leben der Menschen
wirken manchmal wie Holländische Stillleben. Diese Einstellung werden immer
wieder unterbrochen von Detailaufnahmen, häufig irgendwelche Porzellanfiguren
oder Plüschtiere, aber auch manchmal erotischen Zeichnungen, die nicht
unbedingt den guten Geschmack der Porträtierten beweisen, aber in der
Komposition mit den unschuldigen Nippesfiguren auch die Vielschichtigkeit der
Menschen offenbaren. Es sind diese ruhigen Montagen, die an die großen
japanischen Werke und ruhigen Alltagsdramen von Yasuhiro Ozu denken lassen, die
mit ein Grund sind, warum ich an dem Format immer wieder hängengeblieben bin.
Ich bin mir sicher, dass die Macherinnen und Macher genau wissen, was sie tun
und auf diese Weise kann Fernsehen tatsächlich einen Unterschied machen und
dieses ‚einen Unterschied machen‘ muss es auch machen, wenn es im Programm
gefunden werden will (in Österreich ist es mit bis zu einer Million Zuschauern
eines der erfolgreichsten Formate). Der verstohlene Blick in die Wohnzimmer
anderer Menschen, der sich in Reality TV Formaten häufig findet, ist hier ein
erlaubter, genauer, ebenso kunstvoller wie analytischer Blick.
Der letzte
wichtige Grund für das lohnende Hängenbleiben an diesem Format findet sich in
den Menschen, die hier gezeigt werden und in sehr rührenden und zum Teil auch
erfolgreichen Liebesgeschichten, die hier erzählt werden und sehr kluge
Wahrheiten über das Zusammenleben von Menschen enthalten. In der Sendung von
10.07.2017 wird in der Rückblickepisode noch einmal Rosa-Marie gezeigt, die mit
95 Jahren einen Partner zum Reden und Kaffeetrinken sucht. Einen Monat später
hat sie den 96jährigen Albert gefunden, einen rüstigen Rentner (um in dieser
Kritik auch mal eine Alliteration zu verwenden). Albert besucht sie
gelegentlich, Rosa-Marie bleibt aber sichtlich skeptisch und verwahrt sich auch
gegen eine Zärtlichkeit, die Albert mit ihr auszutauschen versucht. Weitere
fünf Monate später sitzen sie wieder bei Kaffee und Apfelstrudel in ihrer
Wohnung beisammen und alles hat sich geändert. Rosa-Marie offenbart auch
gleich, dass sie nicht das bekommen hat, was sie gesucht hat, einen Freund, mit
dem man Kaffeetrinken kann. Sie hat die große Liebe bekommen, mit dem sie nicht
nur den Jausenkaffee teilt, sondern gelegentlich auch den Morgenkaffee, wenn er
über Nacht geblieben ist. Ich könnte weinen vor einer Rührung, die nicht
erzwungen wird. Rosa-Marie sagt uns sehr viel über die Liebe: 95 ist nur eine
Zahl. Die Gefühle sind noch immer die gleichen, als wäre sie ein Teenager. Und
Albert gibt uns auf den Weg: Frauen sind Engel, und wenn du sie so behandelst,
dann bist du im Himmel. Am Ende verraten sie uns noch, dass sie ein gemeinsames
Lied als Motiv ihrer Liebe haben und singen dann mit ihren bald 100 Jahren
alten Stimmen ein Liebesduett aus einer Operette, der perfekte und authentische
Musicalmoment und ich muss fast weinen. Jetzt weiß ich wieder, warum ich La La Land so falsch und scheiße
fand.
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