TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 13. August 2010

Bekenntnisse eines Fernsehjunkies


von Caroline Struzina


Sobald ich den Fernseher anmache, fange ich an wie wild herum zu zappen. 
Ja, ich gebe es zu, ich bin bekennender Zapper. Ewig auf der Suche nach einem anderen, einem besseren Programm, die rastlosen Finger stets auf der Fernbedienung. Die bringe ich so lange zum Glühen, bis mir schließlich a) im vorüber zappen etwas Interessantes begegnet oder ich b) erschöpft beim nächst besten Programm hängen bleibe und mich ergeben berieseln lasse. Das geht mittlerweile schon so weit, dass ich selbst während einer Sendung, die ich wirklich sehen wollte, schnell noch mal bei RTL oder ProSieben vorbei schaue. Mal gucken, was da grad so läuft. Das typische Verhalten eines Fernseh-Junkies. Nie zufrieden mit dem was man hat und immer dem inneren Drang nachkommend, das komplette Programm aller Sender zu erfassen. Während ich fernsehe, erstelle ich quasi im Kopf einen Überblick über das aktuelle Angebot.

Dabei gibt es für genau diesen Zweck extra ein Medium, genauer gesagt, ein Werbemedium, das mir eben diesen Service liefern soll: die Fernsehzeitschrift.
Nur hilft die mir so gar nicht weiter. Zum einen ist allein die Anschaffung irgendwie ein Widerspruch an sich. Warum Geld bezahlen für etwas, dass kostenlos im Internet verfügbar ist, noch dazu viel aktueller? Gerade in der jüngsten Vergangenheit fühle ich mich oft genug vom gedruckten Programmplan im Stich gelassen. Meine elterliche Hauszeitschrift kündigt für 10.35 Uhr am Sonntagmorgen „Gossip Girl“ auf ProSieben an. Ich kenne die Tücken der Programmplanung und schalte lieber schon fünf Minuten eher ein. Nur um festzustellen, dass die Sendung bereits seit zehn Minuten läuft und ich den Anfang verpasst habe. Mal wieder.

Fernsehredakteure haben es aber auch nicht leicht. Sie sollen dem Leser einen Überblick über meist 14 Tage TV-Programm geben und Redaktionsschluss dafür ist schon Wochen vorher. Dabei tun sie sich mittlerweile mit ihren Prognosen ähnlich schwer wie Meteorologen und sind ebenso mäßig erfolgreich. Denn viel zu häufig neigen die Senderchefs dazu, ihr weit im Voraus festgelegtes Programm in letzter Minute zu kippen. Welche Zeitschrift soll da noch hinterherkommen. Gedruckt ist gedruckt. Da kann nicht auf kurzfristige Brennpunkte, Specials oder Serienrauswürfe reagiert werden. Die Fernsehzeitschrift richtet sich nach den Programmplanern und die richten sich nach der Quote. Stimmt die Quote nicht, stimmt das Fernsehprogramm nicht.

Daher ist es auch kaum verwunderlich, dass immer mehr Fernsehzeitschriften ihr Augenmerk auf das „Drumherum“ der TV-Landschaft richten. Bevor ich zum eigentlichen Programmplan komme, blättere ich erst durch einen seitenlangen Dschungel von Klatsch und Tratsch über Schauspielsternchen, Technikneuheiten, Filmvorstellungen und ein paar TV-Highlights der Woche. Selbst Fernsehwerbung wird vorgestellt und bewertet. Wirkliche Fernsehkritik findet man jedoch kaum. Allerdings kann auch das Internet hier nicht wirklich mehr bieten. Es existieren zwar beispielsweise einige Fanseiten im Internet, die bestimmte Serien vorstellen und vorsichtige Kritik üben – allerdings stets aus Sicht des Fans. Sarkastisches Niedermachen der deutschen TV-Kultur a la Kalkhofe kann ebenfalls nicht als fundierte „Kritik“ verstanden werden, da hierbei der Unterhaltungswert klar im Vordergrund steht.

Ich denke, sachliche Fernsehkritik fällt deshalb so schwer, weil fernsehen mehr als alles andere ein subjektives Erleben ist. Fernsehen ist für die meisten ein Begleiter des Alltags. Die „Glotze“ läuft morgens beim Frühstück, nebenher bei der Hausarbeit, zur Entspannung am Nachmittag und als Abendunterhaltung oder Einschlafhilfe. Das Medium Fernsehen wird als solches von den meisten nicht mehr wahrgenommen. Es ist eher zur Geräuschkulisse unseres Alltags mutiert. Was man schaut, ist bis auf wenige Ausnahme, die „Highlights“ der Woche, eigentlich egal. Der Inhalt des Programms rückt in den Hintergrund, wird zur Nebenkulisse. Während ich diesen Text schreibe, läuft nebenbei ein Spiel der Fußball-Weltmeisterschaft und morgens begleitet mich das „Morgenmagazin“ beim Start in den Tag. Ich höre beim Zähneputzen und Frühstücken zu; bewusst gesehen habe ich aber noch kaum einen Beitrag.

Um diesem Trend etwas entgegen zu stellen, setzen die Fernsehmacher voll auf „Eventjournalismus“. Wenn niemand mehr genau hinschaut, dann muss dem Publikum ein Anreiz geboten werden, es eben doch zu tun. Dabei bieten sich vor allem Sport- bzw. Wettkampfveranstaltungen an. So fesselten ARD und ZDF Anfang des Jahres Zuschauer mit der stundenlangen und über den gesamten Tag verteilten Olympia-Berichterstattung aus Kanada. Die eigentlichen Sportereignisse wurden umrahmt mit Vor- und Nachberichterstattungen und wenn gerade niemand die Skipisten hinunterjagte oder die Eisbahn entlang hetzte, gab es ja noch genug über Vancouver oder Olympiatouristen zu erzählen. Pünktlich zum Ende der Winterspiele startete dann die „nationale Aufgabe“, den geeigneten Kandidaten für den Eurovision Song Contest zu suchen. Dazu holten sich die öffentlich-rechtlichen Verantwortlichen einen großen Privatsender mit ins Boot, um die angestaubte Veranstaltung etwas aufzupeppen und der Berichterstattung ein noch größeres Publikum ist geben. Als „Unser Star für Oslo“ gefunden war, hieß es, die Zeit bis zum eigentlichen Contest zu überbrücken, um dann mit umso größerer Energie ganz Fernsehdeutschland mit Lena-Specials zu überfluten.

Der Höhepunkt des Eventjournalismus ist seit dem Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft erreicht. ARD, ZDF und RTL sicherten sich die Übertragungsrechte und wer immer die jeweiligen Spiele zeigt, gestaltet die komplette Tagesplanung um das WM-Spiel herum. Mehr oder minder kompetente Expertenteams analysieren was das Zeug hält und geben dabei so qualifizierte Kommentare von sich wie: „Eine Weltmeisterschaft ist halt kein Ponyhof“ (RTL).

Das wird selbst einem Sport- und besonders Fußballfan wie mir zu viel. Da die meisten Spiele bei mir sowieso nur nebenbei laufen, starte ich zum „Must see“ der Woche einen Selbstversuch: das Spiel Deutschland gegen Serbien schaue ich nicht wie mittlerweile üblich im Public Viewing - Großleinwandformat mit Freunden und vielen Fremden, sondern ganz allein, in meiner Wohnung vor dem Fernseher.

Keine Deutschlandfarben im Gesicht, statt im obligatorischen Fanshirt sitze ich im Pulli vor meinem kleinen Fernsehgerät. Irgendetwas stimmt nicht. Das Zurechtmachen vor dem Spiel ist ein Ritual geworden, das jetzt richtig fehlt. Ich schmiere mir schnell etwas schwarz-rot-gold auf die Wange, komme mir aber schon etwas blöd dabei vor. 75 Minuten vor Spielbeginn startet das ZDF seine Übertragung aus Port Elizabeth mit einem „Countdown“. Moderatorin Kathrin Müller-Hohenstein und Neu-„Experte“ Oliver Kahn parlieren über dieses und jenes. Kahn wirkt fehl am Platz, während seine Partnerin wenigstens noch versucht, einen kompetenten Eindruck zu vermitteln. Ich schalte kurz rüber zu RTL „Punkt 12“, auch nicht viel unterhaltsamer, also zurück zu Müller-Hohenstein und Kahn. Die beiden dürfen die Vorberichterstattung wohl nur moderieren, weil vor dem Spiel eh keiner richtig zuhört. Erleichterung, als es endlich Zeit wird, ins Stadion zu schalten, wo der Vuvuzela Lärm  den Zuschauer bzw. Zuhörer schon erwartet. Als die Mannschaften das Spielfeld betreten und die Nationalhymnen ertönen (übrigens die einzigen Vuvuzela-freien Minuten des Spieles), wird klar, dass vor allem das Wir-Gefühl die Faszination eines Fußball-Länderspiels ausmacht. Wäre ich jetzt in einer Kneipe, statt allein zuhause, hätte ich mit Sicherheit Kribbeln im Bauch vor Spannung. Die Stille in meinem Zimmer wirkt betäubend im Vergleich zum Atmosphäre erzeugenden Kollektiv des Public - Viewings. Normalerweise ist es für mich ein Ereignis, heute ist es nur ein simples Fußballspiel. Eben dieses läuft daher auch mehr oder weniger an mir vorbei. Die ersten Minuten kann ich mich noch selbst begeistern, eine Aufgabe, die normalerweise mehrere hundert Menschen übernehmen. Nachdem das Spiel aber bis auf die inflationär verteilten Karten des überfordert wirkenden Schiedsrichters vor sich hinplätschert, fahre ich meinen Laptop hoch. Es gibt noch ein paar Sachen zu tun, das könnte ich ja schnell nebenbei erledigen. Noch vor dem Halbzeitpfiff greife ich aus Gewohnheit zur Fernbedienung und schalte um.

Ich kann es kaum fassen. Fast eine Woche habe ich auf diese 90 Minuten hingefiebert, und jetzt zappe ich mich durchs abstruse Nachmittagsprogramm der deutschen Fernsehanstalten. Dass ich auch die Nachberichtserstattung nur noch mit einem Ohr verfolge, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Nach meinem einsamen Fußballnachmittag bin ich ernüchtert. Fernsehen macht nur noch dann richtig Spaß, wenn man es gemeinschaftlich zelebriert.

Auch die Sender haben dieses Phänomen längst erkannt. Ob „Germanys Next Topmodel“, „Deutschland sucht den Superstar“ oder spezielle Serienabende – solche Primetime - Angebote sind darauf ausgelegt, gemeinsam geguckt zu werden.

Alleine fernsehen dient nicht mehr primär der Unterhaltung, sondern vielmehr der Entspannung. Der bekannte Spruch „einschalten um abzuschalten“ bewahrheitet sich immer häufiger. Alleine schauen wird zum Erholungs-, gemeinsam schauen zum Ereignis-TV. Und das nächste Spiel der deutschen Fußballer schaue ich ganz bestimmt wieder in beruhigend belebter Umgebung.

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