TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Samstag, 28. Februar 2015

Ersetzt TV Total das Fernsehen?

von Elina Reimche


“Ich weiß nicht ob sie das hier gelesen haben” schmunzelt Raab und deutet auf den Bildschirm hinter sich, auf dem eine aktuelle Meldung aus der Tagespresse eingeblendet wird. So oder so ähnlich beginnt Raabs Monolog am Anfang jeder Ausgabe von TV Total. Die Sendung wird nachmittags in einem Fernsehstudio mit Live-Publikum aufgezeichnet, nur paar Stunden vor der Übertragung. Das ermöglicht es auch, die aktuellsten Schlagzeilen aus der Bild-Zeitung rechtzeitig aufzuarbeiten. Zum Glück. Wer hat schon Zeit die diversen Klatschblätter durchzulesen und die eine Story zu finden, die ganz witzig ist? Die musikalische Untermalung wird von der Hausband, den Heavytones, gewährleistet, deren Hauptaufgabe es allerdings zu sein scheint für Raabs Scherze herzuhalten. Neben Live-Publikum, Monolog und Band machen die Talkgäste, Raabs Schreibtisch und diverse Einspieler TV Total zu einer typischen Late-Night Show. Aber was ist das Geheimnis des Raabschen Erfolgs?


Mit über 2130 Folgen und einer Laufzeit von fast 16 Jahren ist TV Total immerhin die beständigste Late-Night-Show im deutschen Fernsehen und wird im Durchschnitt vier mal die Woche ausgestrahlt. Um das herauszufinden, lohnt es sich einen Blick auf die Struktur von TV Total zu werfen. Das prägnanteste Charakteristikum sind die Einspieler des “Nippelboards”. Durch das Drücken von Knöpfen auf seinem Schreibtisch, den so genannten „Nippeln“, blendet Raab immer wieder sekundenlanges Material anderer Sendungen ein (meist von den öffentlich-rechtlichen oder dem Erzfeind RTL). Raab reißt dadurch nicht nur Beiträge anderer Sendungen völlig aus dem Konzept, sondern unterbricht auch immer wieder seinen eigenen Monolog oder Gespräche mit Talkgästen um einen passenden Nippel-Clip einzublenden. Der Großteil der Einspieler wird durch eine stilisierte fernsehartige Form, die auch im Logo von TV Total angelegt ist, gerahmt. Hierbei werden die Wirkungsweisen des Fernsehen durch die Art und Präsentation der Einspieler thematisiert. Einen “Nippel”-artigen Effekt, hat man auch wenn man herumzappt und nur ausschnittsweise die Inhalte anderer Sendungen sieht. Da TV Total durch seine Einspieler das Fernsehen kommentiert, entsteht eine Metaebene, welche bezeichnend ist für TV Total, aber tatsächlich kein Original. 
Die Idee Inhalte anderer Formate (ob nun Internet, Fernsehen oder Print) neu zu verwerten war schon in der frühen Harald-Schmidt-Show verankert und äußert sich beispielsweise auch bei Kalkofes Mattscheibe in Form der Parodie. Durch das Zusammenspiel von Inter- und Intramedialität, also die Integration anderer Medienformen (wie die Schlagzeilen aus der Tagespresse) und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Medium (dem Fernsehen), wird TV Total zu einer Medienpersiflage. 
Aber auch wenn man sich nicht für die medienkritische Position interessiert, die TV Total innerhalb der Fernsehlandschaft einnimmt, kann man sich ohne Schwierigkeiten vom Raabschen Charme berieseln lassen. Seine scheinbar fehlende Fähigkeit, diskret von den Schildern abzulesen die von der Crew hochgehalten werden, sorgt immer wieder für Lacher beim Publikum. Ab und zu kneift er die Augen zusammen, fragt ¨Was steht da? Das kann man ja nicht lesen!¨ und kriegt dann von der Aufnahmeleitung am Set den Text zugerufen. Raabs Moderationskünste sind aber nicht nur witzig, sonder auch ein Merkmal der Selbstreflexivität der Sendung. Dadurch, dass Raab sich immer wieder über Moderatoren, die sich verhaspeln, den Text nicht lesen können, oder die richtige Kamera nicht finden, in verschiedenen Einspielern lustig macht, hebt er seine eigene fehlerhafte Moderation auf die Metaebene. Die Sendung thematisiert in solchen Momenten ihren eigenen Entstehungsprozess. 
Die Wiederholung in vielen verschiedenen Ausformungen ist ein wichtiges Charakteristikum der Sendung. Allein der Ausschnitt eines Interview mit Pep Guardiola aus der Sportschau, in dem der Trainer „Ich habe den Ball, ich passe den Ball“ sagt, wurde in der Sendung vom 10.02.2015 rund 16 mal wiederholt. „Jeden Tag neu! Nichts zweimal, alles nur einmal!“ ruft Raab ironisch in die Kamera und kommentiert dadurch selbstreflexiv das Prinzip der Wiederholung, das für TV Total dominant ist.
Eine weitere Besonderheit von TV Total ist die Vielzahl an Sondersendungen, die über die Jahre entstanden sind. Um nur einige zu nennen wären da das TV-Total Turmspringen, die Stock Car Crash Challenge, der Bundesvision Song Contest, Schlag den Raab, Schlag den Star, das TV Total Quizboxen, die TV Total Autoball Meisterschaft und die Wok WM. Klar, dass sich bei diesem Überangebot an Raab, selbst der loyalste TV Total-Anhänger denken kann:
Tatsache ist aber, dass einige Sondersendungen für diverse Preise nominiert und auch ausgezeichnet wurden. SSDSGPS („Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star“) beispielsweise, hat 2005 den Adolf-Grimme Preis gewonnen. Der Fokus von TV Total hat sich über die Jahre immer mehr auch auf die Zuschauer verlagert, die auf verschiedenen Ebenen in die Sendung eingebunden werden. Schon die Anmoderation zu Beginn jeder Ausgabe TV Total wird immer von einer Person aus dem Publikum durchgeführt. Während der Sendung werden einzelne Zuschauer (meist weiblich und hübsch) in Großaufnahme für ein paar Sekunden zum visuellen Hauptgegenstand der Übertragung. Beim Quiz „Blamieren oder Kassieren“ tritt ein Zuschauer gegen Raab an und hat die Möglichkeit den Showmaster mit seinem Wissen zu übertrumpfen. 
Bei TV Total kommt also so einiges zusammen, was das Herz begehrt: Humor auf Kosten anderer, Zusammenfassungen der witzigsten Schlagzeilen des Tages, und auch der Durchschnittszuschauer kriegt eine Portion Rampenlicht ab. Die selbstironische Art, die Raab seit 16 Jahren zelebriert, scheint nun in Mode zu sein. Über sich selbst und die eigene Sendung Witze zu machen wird immer beliebter. Zu nennen wäre hier beispielsweise der taff-Moderator Daniel Aminati  wenn man in der Prosieben Familie bleiben will. Aber wer hat dieses System salonfähig gemacht? Das war Stefan Raab - und das muss man ihm schon hoch anrechnen. Auch wenn seine Dauerpräsenz durch die Ausufernden Sondersendungen dem einen oder anderen schnell auf die Nerven gehen kann, ist und bleibt Raab prägend für eine spezifische Kombination von Selbstreflexivität, Intermedialität und dem daraus resultierendem Humor. 
Auch wenn die Inhalte anderer Sender der Klebstoff von TV Total sind, reichen die Ausschnitte nicht aus, um eine Zusammenfassung der aktuellen Medienlandschaft darzustellen. Wenn man also wissen will was außerhalb des TV Total Universums so los ist, sollte man auch mal anderen Sendungen eine Chance geben. Statt reines Remix-Produkt anderer Formate zu sein, erzielt TV Total eine Art von Unterhaltung, die sowohl in der Metaebene gelesen, als auch als bloßes Entertainment genossen werden kann und sich vielleicht gerade deswegen hoher Beliebtheit erfreut. 

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