TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 23. Februar 2015

Tatort meets Breaking Bad

von Svenja Loibl

Über Sucht und Rausch: Die Kultserie mit gesellschaftskritischem Anspruch

Mit Einschaltquoten, die sogar die der Tagesthemen übersteigen und mit einer Fangemeinde in der alle Altersstufen vertreten  sind, steht außer Frage, dass es sich bei dem ARD Klassiker Tatort um einen Publikumsliebling handelt. Die Serie, die als Reihen-Konzept der ARD seit nun mehr als vierzig Jahren zur Prime Time ausgestrahlt wird, zieht wöchentlich ein Millionenpublikum in ihren Bann. 
Die Folgen, die meist in ihrer Handlung geschlossen sind und somit nicht wie viele andere Serien auf nervenaufreibende Cliffhanger à la Lost angewiesen sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Bis auf ihre eingängige und kultige Titelmelodie haben die verschiedenen Tatort Kommissare und ihre Fälle kaum etwas gemeinsam. Abgesehen von wenigen Crossovers, beispielsweise „Ihr Kinderlein kommet“ (2012), stehen die Folgen und die Ermittler in keinerlei Beziehung zueinander. So unterschiedlich die jeweiligen Kommissare sind,  so unterschiedlich sind auch deren Fälle. Während der Münster Tatort mit Hauptkommissar Thiel (Prahl) und dem überengagierten Rechtsmediziner Boerne (Liefers) wegen seiner vielen komödiantischen Dialoge und dem Charme der Hauptdarsteller Kultstatus erlangte und Rekordeinschaltquoten verbuchen kann, kommt der Kölner Tatort in letzter Zeit häufig mit recht seichten, vorhersehbaren und langweiligen Fällen daher (so auch der Kölner Tatort vom 2. Februar 2015, der verschlafen vor sich hin plätscherte und die Laufzeit von 90min unendlich lang erschienen ließ).
Aber dann gibt es da noch diese andere Art von Tatort: er ist düster, spannend und einfach nur gut! So auch der Borowski Tatort der am 25. Januar 2015 in der ARD ausgestrahlt wurde: „Borowski und der Himmel über Kiel“ oder besser: „Tatort meets Breaking Bad“.Der Tatort spielt im hohen Norden. Als in der Nähe von Kiel, eigentlich nahe dem unbedeutenden Kaff Mundsforde, in einem Bach der abgetrennte Kopf eines jungen Mannes gefunden wird, sind die Kommissare Borowski (Axel Milberg) und Anwärterin Brandt (Sibel Kekilli) gefragt. Die Ermittlungen führen sie bald in die Drogenszene Kiels, die in ihrer Brutalität dem Umfeld von Walter White und Co. in nichts nachsteht. In ihren Tiefen stoßen die Kommissare auf die junge Rita Holbeck (Elisa Schlott), die Freundin des Toten, die sich in den Fängen der Droge Crystal Meth befindet.
Flashbacks, die Rausch und Ekstase aber auch den Wahn und Realitätsverlust der Droge ver-deutlichen, entführen den Zuschauer in Ritas zweite gefährliche und faszinierende Welt. Die Tristesse des Alltags wird durch den Einsatz eines Graufilters unterstützt, der die Kluft zwischen Realität und bunter Drogenwelt noch größer erscheinen lässt. Die Ästhetik unterstützt die Er-zählweise dieser Erinnerungen, in dem Momente der Trips von aufreibender Elektromusik untermalt und mit wackeligen Handkameras gefilmt werden, die es dem Publikum erleichtern die Umwelt durch Ritas Augen wahrzunehmen. Drogen, Sex und Partys und das am laufenden Band. Getreu dem Motto: eat, sleep, rave, repeat. Wobei ohne zu schlafen vielleicht, denn Rita gesteht gegenüber der Polizei ganz stolz, dass sie Dank Crystal „zwei Wochen am Stück wach“ war und sich deswegen aber auch an so gut wie nichts erinnern kann.
Im Laufe des Films ist man nur noch halbherzig an der Aufklärung  des Falls interessiert, viel zu sehr fiebert man mit Ritas Werdegang mit, die der Tod ihres Freundes nur immer weiter in das Drogenloch treibt. Dass ein ganzes Dorf schweigt, obwohl jeder über den Mord Bescheid wusste, da die Bewohner und selbst der örtliche Polizist in die Drogenproduktion involviert sind, rückt in den Hintergrund. Die Auflösung, der Mord an einem Freund aus Eifersucht und unter Drogeneinfluss, ist fast schon ein bisschen enttäuschend für einen sonst so erstklassigen Tatort. Über Ritas Zukunft wird nicht viel verraten. So abrupt der Tatort beginnt, so abrupt endet er auch und der Zuschauer wird mit seiner eigenen Fantasie alleine gelassen.
Der Tatort schafft es, anders als der typische Drogenaufklärungsfilm aus Schulzeiten, die Abgründe von Crystal Meth auf eine ganz spezielle Art aufzuzeigen. Ohne die Droge zu verherrlichen, wird ein realitätsnahes Bild des Crystal Konsums präsentiert. Dies gelingt jedoch nicht durch die schauspielerische Leistung der Kommissare Borowski und Brandt. Die beiden wirken häufig wie Statisten, die im Schatten der brillanten Elisa Schlott unterzugehen scheinen. Aber nicht nur das Können Schlotts wirkt fesselnd auf das Publikum. Auch die Art der Inszenierung mit der gekonnten Abwechslung aus trister Realität und erschreckender Drogentrips überzeugt und steht somit stellvertretend für die Qualität der Tatort Reihe. Folgen wie diese, die es schaffen ernsthafte Gesellschaftskritik zu üben und das Publikum dennoch zu unterhalten, führen dazu, dass ich meiner Droge Woche für Woche nicht widerstehen kann: Meiner ganz persönlichen Tatortdroge.

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