TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 27. Februar 2015

King of Queens vs. Borgen: Die Enden von Fernsehen

von Herbert Schwaab 
 
Es gibt viele Sachen, die ich an der Sitcom King of Queens liebe, wie Leah Remini die ständige Genervtheit der Figur Carrie verkörpert, das komische Talent von Kevin James, die in vielen kleinen Eigenheiten und Ticks der Figur Doug zum Ausdruck kommt, wie Jerry Stiller als Arthur Spooner es tatsächlich schafft, durch seine pathetische Rücksichtslosigkeit nicht nur den Figuren, sondern auch dem Zuschauer konstant auf die Nerven zu gehen, wie die vielen Nebenfiguren wie Deacon, Spence oder Danny immer mehr sind als Nebenfiguren, mit ihnen eigene Formen von Komik ins Spiel bringen und ebenso wie die Hauptfiguren, zu vollen Charakteren werden, auch wenn  die episodische Serialität der Sitcom eigentlich nicht darauf ausgerichtet ist, im Gegensatz zu Serien wie Lost oder Mad Men, Figuren zu entwickeln, ihre Geschichte und Entwicklung zu erzählen und den geheimen, verborgenen Motiven ihres Handelns nachzuspüren. Nicht zuletzt liebe ich die Alltäglichkeit von King of Queens, die Wiederholungen, das einfache Sitcommuster aus stabilem Ausgangszustand, Störung und Rückkehr zum stabilen Ausgangszustand, die immer wieder mit großartigen Einfällen und Konstruktionen bizarrer, komplexer Situationen kontrastieren – wenn etwa Arthurs Leben von einer Babycam ohne sein Wissen im häuslichen Fernsehen übertragen wird und Dougs Freunde zu begeisterten Betrachtern seines alltäglichen Lebens werden, und dabei, in der Begeisterung für die kleinen Abenteuer des Alltags, wie dem Verschwinden einer Socke in der Waschmaschine, die Begeisterung des Zuschauers dieser Sitcom für die kleinen Komplikationen der Sitcomwelt kommentieren. King of Queens ist ebenso gewöhnlich wie großartig. Es verdient und erlaubt
unzählige Male im Fernsehen (wo es lange ausgestrahlt wurde) und auf DVD gesehen zu werden. Ich kann sicher sagen, dass ich jede Folge mindestens zwei oder dreimal gesehen habe, aber einige Folgen habe ich auch bis zu 15mal gesehen: Der Mangel an Progression und die fehlende Auflösung, die ein Produkt der episodischen Serialität der Sitcom ist, machen King of Queens für mich zu einem unerschöpflichen Gegenstand und ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam alt werden. 
Es gibt nur eine Sache, die ich an King of Queens nicht mag: Das Ende der Sitcom. Dass es kein Ende geben kann, zeigt sich in vielen Sitcoms häufig in der Form einer Erschöpfung, einer Auflösung der Sitcomwelt, die sich in den letzten Folgen der letzten Staffel King of Queens im Zustand einer konstanten Krise und nicht wie sonst der temporären, episodischen Krise gezeigt hat. Sie hat dann zwar doch versucht, zu suggerieren, dass das Leben auch nach dem Ende der Sitcom weitergeht, aber das chaotische Leben einer mit zwei Kindern (wenn man Arthur dazu zählt wären es drei Kinder) überforderten Familie scheint kein Objekt mehr für dieses Format zu sein.
Die Serie Borgen ist das genaue Gegenteil von King of Queens. Bei ihr ist alles auf Progression und einem Zusammenführen der Handlungsstränge in den jeweils letzten Episoden der drei Staffeln ausgerichtet. Sie schafft es sogar, die über die drei Staffeln gespannten Handlungsbögen in der allerletzten Folge so zusammenzufügen, dass die Zuschauenden tatsächlich zufrieden sind und keine weitere Fortsetzung wünschen. Die Politserie aus dem kleinen Dänemark über die weibliche Ministerpräsidentin Birgitte Nyborg gehört zu den Serien, die möglichst schnell geschaut werden müssen (und auch können, weil sie mit einer Gesamtlänge von 30 Stunden noch recht überschaubar ist), weil wir wissen wollen, wie es weitergeht. Die psychologische Entwicklung und Tiefe der Charaktere ist bei televisuellen Erzählungen immer das Produkt von Zuschreibungen, die durch den Gegenstand ermöglicht, aber nicht festgelegt werden, aber diese Einbildung findet viel Nahrung in dem Angebot von Borgen, etwa in der Entwicklung von einer verhuschten, unscheinbaren Politikerin zu einer attraktiven, aber auch sehr dominanten, resoluten Ministerpräsidentin, deren Handlungen und Entscheidungen uns immer wieder überaus problematisch erscheinen. 
Komplexe Entscheidungsprozesse, das zermürbende Suchen von Kompromissen in wechselnden Koalitionen, die über die Figur des Spin Doctors Kasper Juul vermittelte Notwendigkeit des Verkaufens von Politik und des Schaffen eines Images – viele eigentlich langweilige Aspekte der Tagespolitik werden ebenso ausführlich dargestellt wie die Intrigen, der Verrat, die Schmutzkampagnen einer Zeitung, die einen Politiker in den Selbstmord treiben, die Zermürbung der Ehe und der Familie durch die Beanspruchung der Ministerpräsidentin für die politische Arbeit, die dramatischen Krisen, die sich den Überschreitungen der Grenzen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen verdanken. Zudem wartet sie mit einer interessanten Kopplung der Politik mit der Welt ihrer medialen Vermittlung auf, indem sie mit der Nachrichtenredaktion eines Fernsehsenders einen zweiten zentralen Handlungsort etabliert.
Borgen ist ein typischer Vertreter von Fortsetzungs- oder Endlosserien, die zugleich ein problem of the week als auch eine fortlaufende Handlung anbieten, wie etwa die (eigentlich dann doch uninteressante und sehr konventionelle) Auflösung des Geheimnisses der Vergangenheit des Spin Doctors von Birgitte Nyborg, die ein Grund dafür ist, warum er mit der Nachrichtenmoderatorin Katrine zunächst nicht zusammen sein kann.
(Spoiler Alert)
Die letzte Staffel wartet mit etwas irritierenden Entscheidungen auf – Nyborg ist nicht mehr Ministerpräsidentin, sie gewinnt ihren (tranigen) Ex-Ehemann doch nicht zurück, die Figur des Spin Doctors verschwindet fast, dafür tritt die mittlerweile von ihm getrennte Katrine wieder in den Vordergrund – wie aber Birgitte Nyborg den Weg zurück zur Politik findet und am Ende sich alles für alle Figuren zu einer kugelrunden Sache zusammenfügt ist mehr als eine Entschädigung der Betrachtenden für diese zunächst nicht nachvollziehbaren Entscheidungen. 
(End of Spoiler Alert)
Über die Ästhetik, den visuellen Stil der Serie lässt sich wenig sagen, sie ist state of the art und sie passt zur Serie, die mediale Dopplung durch die Nachrichtenredaktion ist interessant und verdichtet die Handlung, aber alles, was an ihr interessant ist, findet sich dann doch in einer sich immer wieder aufdrängenden Genauigkeit der Erzählung, die die langweiligen Aspekte von Politik ebenso wie die dramatischen berücksichtigt.  
King of Queens und Borgen unterscheiden sich in vielen Dingen, vor allem darin, wie das Ende konzipiert wird, wie stark King of Queens auf Wiederholung und Stabilität ausgerichtet ist und wie stark eine Serie wie Borgen den Eindruck zu vermitteln versucht, das alles aufeinander aufbaut und auf eine Ende hinführt und die Hindernisse der vielfältigen Krisen überwunden werden müssen. Aber so großartig ich Borgen auch finden mag (es ist die beste Serie, die ich in den letzten fünf Jahren gesehen habe), sie wird niemals meiner Liebe zu King of Queens auch nur nahekommen. Borgen würde ich mir, in einigen Jahren vielleicht, noch einmal anschauen, etwa um zu überprüfen, ob ich sie noch immer so gut finde, ob die Teile tatsächlich so gut zusammenpassen, wie ich nach ihrem Ende gedacht habe. 
Die begrenzte Wiederholbarkeit dieser Erfahrung im Gegensatz zur Unerschöpflichkeit von King of Queens ist der Serie nicht vorzuwerfen, sie verdankt sich ihrem Format einer fortgesetzten Erzählung, die einen Endpunkt hat. Allerdings kommt noch ein anderer Faktor hinzu: Ich fühle mich nicht wohl als Betrachter von Borgen. Ich fühle mich nicht wohl, als der typische DVD-Serienboxen Konsument, der emsig kognitiv arbeitend dem Zusammenfügen der Fäden in diesem Erzählknäuel beiwohnt, um dann in einer Kritik darüber zu schreiben. Ich fühle mich bei Borgen nicht als Teil eines diffusen, klassenübergreifenden Fernsehpublikums, das in der Serie einen gemeinsamen Bezugspunkt findet. Das Sprechen über King of Queens ist ein Türöffner, es schafft Verbindungen zu den unterschiedlichsten Menschen, die Sitcom verkörpert damit die geheimnisvolle Macht des Medium Fernsehens, sich an zerstreutes Publikum zu wenden, das durch das anschlussfähige Produkt zusammengeführt wird. Wenn ich Borgen schaue weiß ich, das ich darüber nur mit Meinesgleichen sprechen kann: Sich sehr schlau findende AkademikerInnen in den besten Jahren, das typische Rezipientensubjekt von Quality Serien, das genau mit dem Produkt beliefert werden will, das seinem Status entspricht und ihn belohnt und bestätigt, dass er oder sie ein aufmerksamer, sich für Politik, gesellschaftliche Probleme und widersprüchliche Charakteren interessierender Zuschauender ist, während die die da unten nur unterkomplexe Sitcoms oder Reality TV schauen: Nichts auf der Welt ist langweiliger, als mit solchen Menschen über Fernsehen zu sprechen.
Eine Serie wie Borgen entlässt mich aus der eigenartigen Zeitlichkeit des Fernsehens, der eine Sitcom wie King of Queens unterliegt, den ständigen Einladungen, gleichzeitig mit andern Menschen eine Episode einer Serie zu schauen und so immer wieder ein ebenso eingebildetes wie tatsächliches Publikum zu schaffen, das sich in den Gesprächen über eine Serie immer wieder zu materialisieren vermag. Es löst mich aber auch von der Bindung des Fernsehens an eine Gewöhnlichkeit und Alltäglichkeit in der Sitcom, die den Wiederholungen des wirklichen, gelebten Lebens, das nicht immer ein Drama mit Anfang und Ende ist, eine Form verleiht. Borgen ist gut, es mag, wie behauptet wird, tatsächlich die beste europäische Serie sein, die je produziert wurde, aber die Leidenschaft, über ihre Qualitäten zu sprechen, erlahmt schon allein daran, dass es schwer werden wird, jemand zu finden, der nicht diese Meinung teilt. Sie erlahmt auch daran, dass sie wenigen der für das serielle Erzählen des Fernsehens bestimmenden Tatsachen Bedeutung gibt. Sie erkundet sie nicht und führt sie fort, sie hat kein Interesse für das besondere, amorphe und große Publikum, dass das Fernsehen einstmals besessen hat, sie erforscht nicht den Betrachtenden und die Grundlagen des Vergnügens, wie es King of Queens auf seine Weise in nahezu jeder Folge tut. Borgen mag ein Ende haben, aber auch das Vergnügen an Borgen kommt irgendwann unweigerlich an sein Ende.

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