von Eileen Osthoff
(www.lenaliest.de) |
Selten sorgt eine
Serie für so viel Aufruhr in den sozialen Netzwerken wie die Ende März
erschienene Netflix-Produktion „Tote Mädchen lügen nicht“. Die Kurzserie
erzählt die tragische Geschichte der 17-jährigen Hannah Baker, die sich das
Leben genommen hat.
Clay und Hannah auf einer Party (www.tvmovie.de) |
„Hey hier ist Hannah,
Hannah Baker, richtig gehört, dein ... womit auch immer du das hörst, hat
keinen Wackelkontakt. Ich bin‘s, live und in Stereo. Keine Wiederkehr, keine
Zugabe und diesmal auch absolut keine Forderungen. Nimm dir was zu Knabbern und
mach‘s dir gemütlich, denn ich werde dir jetzt die Geschichte meines Lebens
erzählen“
In der ersten Einstellung findet man sich in einem typischen
High-School-Szenario wieder. Doch der Spind, auf dem der Fokus liegt, ist mit
einem Bild eines Mädchens und Zetteln um dieses herum geschmückt. Hannahs Spind.
Die tote Protagonistin der Serie, gespielt von Katherine Langford, erzählt uns
währenddessen den Anfang ihrer Geschichte. Als nächstes sehen wir Clay Jensen
(Dylan Minnette) den zweiten Hauptcharakter. In Gedanken versunken betrachtet
er den Spind. Wie seine Beziehung zu dem Mädchen ist, erfährt man erst im Laufe
der Staffel, wobei er seiner Mutter immer wieder ausdrücklich zu verstehen gibt,
dass er sie nur flüchtig kannte.
Bei einem ersten Rundlauf durch die Schule, aus Clays Sicht,
lernen wir fast alle wichtigen Charaktere dieser Serie kennen, auch wenn man
das zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß. Klischeehafte Darstellungen der
Sportler, Nerds und Außenseiter helfen uns, uns in die Situation einzufinden. Auch
die Verzweiflung von Hannahs Eltern, vor allem die der Mutter (Kate Walsh), die
im weiteren Verlauf eine große Rolle spielt, wird in der ersten Folge bereits
thematisiert.
Als Clay nach Hause kommt liegt ein Paket vor seiner Tür. Clay
öffnet das Paket und deckt damit auch auf, worum es in der Serie geht. „Hey,
hier ist Hannah […]“, klingt es aus dem Kassettenspieler seines Vaters. 13
Gründe für ihren Tod, 13 Kassettenseiten von Hannah vor ihrem Tod aufgenommen
mit zwei Bedingungen: sich die Kassetten anhören und sie danach an den nächsten
„Grund“ bzw. an die nächste Person weiterzugeben. Was das alles zu bedeuten
hat, was Clay mit dem Tod des Mädchens zu tun hat und wer die anderen Gründe
sind, erfahren wir im Laufe der Staffel.
Th1rteen R3asons Why
Th1rteen R3asons Why
Durch die Nummerierung der
Kassetten und den auf Englisch offensichtlichen
Namen der Serie, ist der dramaturgische Aufbau von Anfang an klar. Das macht
die Staffel aber keineswegs weniger spannend. Die Frage, wer ist der nächste
und was wird als nächstes passieren, hat mich am Bildschirm kleben lassen.
Grundsätzlich befasst sich die auf dem gleichnamigen Buch
von Jay Asher basierende Serie mit den Alltagsproblemen von Jugendlichen. Durch
Rückblenden tauchen wir in Hannahs Welt ein. Typische Aspekte wie soziales
Ansehen, die erste Liebe, Freundschaft und Vertrauen werden aus der Sicht
dieser Schülerin sehr genau beleuchtet. Der soziale Druck unter dem junge
Menschen stehen, kommt in
der Serie stark zum Tragen und verleiht der Geschichte einen authentischen
Charakter. Doch durch die Auseinandersetzung mit Tabuthemen wie Mobbing, Vergewaltigung
und Suizid erhält die
Serie eine nicht mehr jugendfreie Note, welche sie auch in den Online-Medien in
die Kritik geraten lässt.
Nostalgie-Gefühle
Dass sowohl der Protagonist als
auch der ein oder andere Zuschauer bei dieser Serie in eine Erinnerungswelt
kommt, ist stilistisch klar gewollt. Die Kassetten, die mittlerweile schon seit
gut 15 Jahren verschollen sind, wecken nicht nur ein gewisses Nostalgie-Gefühl,
welches sich durch die gesamte Serie zieht. Auch der Soundtrack der Serie versetzt
uns in eine andere Zeit. Unter anderem Songs von Joy Division, The Kills und Simple
Minds haben diese Emotionen verstärkt ausgelöst. Weitere Elemente sind das
Kino, in dem Clay mit Hannah arbeitete, und Clays bester Freund Tony, der mit seinem
Aussehen und dem Mustang, den er fährt, den 80’s Flair perfekt abrundet. Doch
kommt es hier immer wieder zu klaren Stilbrüchen, die den Kontrast zur heutigen
Zeit betonen. Der alte Walkman wird mit „beats“-Kopfhörern ausgestattet,
moderne Lieder durchziehen den Soundtrack und das Handy bzw. das Internet wird
zum Dreh und Angelpunkt der Geschichte. Hannah entscheidet sich ganz gezielt
für das Medium der Kassette, da „das Internet alles nur verschlimmert“. Diese
Einstellung wird in der Serie übernommen und bietet so ein Kontrastprogramm.
Mit „früher war alles besser“ meint Clay nicht nur all das, sondern auch das „Vorher“,
was hier symbolisch für „vor Hannahs-Tod“ steht.
Besetzung
Besetzung
Die Serie und vor allem Hannahs Geschichte, hat mich von Anfang an in
ihren Bann gezogen. Wie geht es weiter? Wer ist der nächste? So gerne ich die
Serie geschaut habe, so sehr habe ich mich aber auch über den Hauptcharakter
Clay Jensen, nicht ganz so gut gespielt von Dylan Minnette, aufgeregt. Man hat
das Gefühl, dass er nicht ganz versteht, was um ihn herum passiert und dass er
eher von der langsamen Sorte ist. Auch wenn das Format der Serie voraussetzt,
dass jede Folge eine Kassette behandelt, schien es mir etwas unrealistisch,
dass Clay zwischendurch immer wieder lange Pausen einlegt bis er die nächste
Kassette hört - im Buch hingegen schafft er es in einer Nacht. Jedoch finde ich die
generelle Wahl des Casts gut gelungen. Es wurden durch die Bank, abgesehen von
den Eltern der Schüler, unbekannte Schauspieler für die Rollen gewählt, was mir
sinnvoll erscheint, da hier eine normale High-School Situation nachempfunden
werden soll. Auch sehe ich Langford als eine gute Besetzung für Hannah. Wer
hätte Selena Gomez, Mitproduzentin der Serie und zuerst im Gespräch für die
Hauptrolle, auch geglaubt, dass sie das arme, einsame, gemobbte Mädchen ist?
Auch wenn die Rollen sehr klischeehaft und ohne große Rollenentwicklung wirken, so hat jeder einzelne Grund
seine ganz eigenen Charakteristika und Merkmale, die deutlich zum Vorschein
kommen und von den Schauspielern sehr gut umgesetzt werden. Vor allem die
Mutter von Hannah, gespielt von Kate Walsh, hat mich überzeugt. Die Emotionen,
die Eltern haben, wenn ihr Kind sich das Leben nimmt, habe ich ihr voll und ganz
abgekauft und das ließ mich mehr als einmal mit einem komischen Gefühl im Bauch
zurück.
Social Media
Social Media
Die polarisierenden Themen machen die Serie zu einem
Einschalter, doch gleichzeitig geschieht etwas, mit dem Netflix nicht gerechnet
hätte. Neben einer Rekord Reaktion von 1,3 Millionen Tweets in der ersten Woche
nach der Ausstrahlung, kommt es vermehrt zu Warnungen, welche den Konsum der
Serie betreffen. In Australien und Neuseeland gibt es Warnungen, die Serie nur
in Aufsicht der Eltern anzuschauen oder sogar ein generelles Verbot. Wenn man
die Serie googelt, sind auch genau das die ersten Hits: „Gefährdung
jugendlicher durch Verherrlichung von Suizid“. Für ein besseres Verständnis der
Hintergründe und Begründungen, warum sie welche Themen und Szenen auf diese
Weise dargestellt haben, bietet Netflix im Anschluss an die Serie eine
Dokumentation an. Außerdem erklärt Netflix, dass bald nicht nur vor 2 Folgen,
sondern vor allen 13 Folgen ausdrücklichere Warnungen am Anfang der Folgen
eingeblendet werden. Eine so große Welle an Kritik hat lange Zeit keine Serie
mehr ausgelöst.
Fazit
Nicht nur die extreme Medienpräsenz hat mich dazu verleitet
die Serie anzuschauen, generell gucke ich sehr gerne alles, was Netflix zu
bieten hat. Die spannende und sehr tragische Story von Hannah hat mich von der
ersten Folge an abgeholt. Besonders gut haben mir das Setting und das Flair der
Serie gefallen, welche mich durch die Musik und einen Mystery-Touch ein
bisschen an die Netflix-Produktion „Stranger Things“ erinnert hat. Die
Themenaufbereitung war authentisch und mitreißend. Netflix hat wie so oft den
Zahn der Zeit getroffen und zusätzlich Tabuthemen wie Vergewaltigung und
Selbstmord in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Letzten Endes ist auch die
Message der Serie eine banale, aber nicht weniger wichtige: „seid etwas netter
zu euren Mitmenschen“. Und so abgeschlossen sich die Serie gibt, genauso viele
Fragen stellt sie in der finalen Folge in den Raum. Gerüchte um eine zweite
Staffel wurden bereits bestätigt. Wie genau es weiter geht, ist noch unklar,
aber ich weiß, dass ich definitiv wieder Einschalten werde!
„Suicide is not an option“, soll das wirklich helfen? (www.glamour.de) |
„Tote Mädchen lügen nicht“
USA 2017 // Netflix
4/5 Punkte
Infos zur Serie
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