TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 14. Juni 2017

Press Play

 
von Eileen Osthoff

(www.lenaliest.de)


Selten sorgt eine Serie für so viel Aufruhr in den sozialen Netzwerken wie die Ende März erschienene Netflix-Produktion „Tote Mädchen lügen nicht“. Die Kurzserie erzählt die tragische Geschichte der 17-jährigen Hannah Baker, die sich das Leben genommen hat.  

Clay und Hannah auf einer Party (www.tvmovie.de)


„Hey hier ist Hannah, Hannah Baker, richtig gehört, dein ... womit auch immer du das hörst, hat keinen Wackelkontakt. Ich bin‘s, live und in Stereo. Keine Wiederkehr, keine Zugabe und diesmal auch absolut keine Forderungen. Nimm dir was zu Knabbern und mach‘s dir gemütlich, denn ich werde dir jetzt die Geschichte meines Lebens erzählen“ 

In der ersten Einstellung findet man sich in einem typischen High-School-Szenario wieder. Doch der Spind, auf dem der Fokus liegt, ist mit einem Bild eines Mädchens und Zetteln um dieses herum geschmückt. Hannahs Spind. Die tote Protagonistin der Serie, gespielt von Katherine Langford, erzählt uns währenddessen den Anfang ihrer Geschichte. Als nächstes sehen wir Clay Jensen (Dylan Minnette) den zweiten Hauptcharakter. In Gedanken versunken betrachtet er den Spind. Wie seine Beziehung zu dem Mädchen ist, erfährt man erst im Laufe der Staffel, wobei er seiner Mutter immer wieder ausdrücklich zu verstehen gibt, dass er sie nur flüchtig kannte.

Bei einem ersten Rundlauf durch die Schule, aus Clays Sicht, lernen wir fast alle wichtigen Charaktere dieser Serie kennen, auch wenn man das zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß. Klischeehafte Darstellungen der Sportler, Nerds und Außenseiter helfen uns, uns in die Situation einzufinden. Auch die Verzweiflung von Hannahs Eltern, vor allem die der Mutter (Kate Walsh), die im weiteren Verlauf eine große Rolle spielt, wird in der ersten Folge bereits thematisiert.

Als Clay nach Hause kommt liegt ein Paket vor seiner Tür. Clay öffnet das Paket und deckt damit auch auf, worum es in der Serie geht. „Hey, hier ist Hannah […]“, klingt es aus dem Kassettenspieler seines Vaters. 13 Gründe für ihren Tod, 13 Kassettenseiten von Hannah vor ihrem Tod aufgenommen mit zwei Bedingungen: sich die Kassetten anhören und sie danach an den nächsten „Grund“ bzw. an die nächste Person weiterzugeben. Was das alles zu bedeuten hat, was Clay mit dem Tod des Mädchens zu tun hat und wer die anderen Gründe sind, erfahren wir im Laufe der Staffel.

Th1rteen R3asons Why 
Durch die Nummerierung der Kassetten und den auf Englisch offensichtlichen Namen der Serie, ist der dramaturgische Aufbau von Anfang an klar. Das macht die Staffel aber keineswegs weniger spannend. Die Frage, wer ist der nächste und was wird als nächstes passieren, hat mich am Bildschirm kleben lassen.
Grundsätzlich befasst sich die auf dem gleichnamigen Buch von Jay Asher basierende Serie mit den Alltagsproblemen von Jugendlichen. Durch Rückblenden tauchen wir in Hannahs Welt ein. Typische Aspekte wie soziales Ansehen, die erste Liebe, Freundschaft und Vertrauen werden aus der Sicht dieser Schülerin sehr genau beleuchtet. Der soziale Druck unter dem junge Menschen stehen, kommt in der Serie stark zum Tragen und verleiht der Geschichte einen authentischen Charakter. Doch durch die Auseinandersetzung mit Tabuthemen wie Mobbing, Vergewaltigung und Suizid erhält die Serie eine nicht mehr jugendfreie Note, welche sie auch in den Online-Medien in die Kritik geraten lässt.

Nostalgie-Gefühle
Dass sowohl der Protagonist als auch der ein oder andere Zuschauer bei dieser Serie in eine Erinnerungswelt kommt, ist stilistisch klar gewollt. Die Kassetten, die mittlerweile schon seit gut 15 Jahren verschollen sind, wecken nicht nur ein gewisses Nostalgie-Gefühl, welches sich durch die gesamte Serie zieht. Auch der Soundtrack der Serie versetzt uns in eine andere Zeit. Unter anderem Songs von Joy Division, The Kills und Simple Minds haben diese Emotionen verstärkt ausgelöst. Weitere Elemente sind das Kino, in dem Clay mit Hannah arbeitete, und Clays bester Freund Tony, der mit seinem Aussehen und dem Mustang, den er fährt, den 80’s Flair perfekt abrundet. Doch kommt es hier immer wieder zu klaren Stilbrüchen, die den Kontrast zur heutigen Zeit betonen. Der alte Walkman wird mit „beats“-Kopfhörern ausgestattet, moderne Lieder durchziehen den Soundtrack und das Handy bzw. das Internet wird zum Dreh und Angelpunkt der Geschichte. Hannah entscheidet sich ganz gezielt für das Medium der Kassette, da „das Internet alles nur verschlimmert“. Diese Einstellung wird in der Serie übernommen und bietet so ein Kontrastprogramm. Mit „früher war alles besser“ meint Clay nicht nur all das, sondern auch das „Vorher“, was hier symbolisch für „vor Hannahs-Tod“ steht. 

Besetzung
Die Serie und vor allem Hannahs Geschichte, hat mich von Anfang an in ihren Bann gezogen. Wie geht es weiter? Wer ist der nächste? So gerne ich die Serie geschaut habe, so sehr habe ich mich aber auch über den Hauptcharakter Clay Jensen, nicht ganz so gut gespielt von Dylan Minnette, aufgeregt. Man hat das Gefühl, dass er nicht ganz versteht, was um ihn herum passiert und dass er eher von der langsamen Sorte ist. Auch wenn das Format der Serie voraussetzt, dass jede Folge eine Kassette behandelt, schien es mir etwas unrealistisch, dass Clay zwischendurch immer wieder lange Pausen einlegt bis er die nächste Kassette hört - im Buch hingegen schafft er es in einer Nacht. Jedoch finde ich die generelle Wahl des Casts gut gelungen. Es wurden durch die Bank, abgesehen von den Eltern der Schüler, unbekannte Schauspieler für die Rollen gewählt, was mir sinnvoll erscheint, da hier eine normale High-School Situation nachempfunden werden soll. Auch sehe ich Langford als eine gute Besetzung für Hannah. Wer hätte Selena Gomez, Mitproduzentin der Serie und zuerst im Gespräch für die Hauptrolle, auch geglaubt, dass sie das arme, einsame, gemobbte Mädchen ist? Auch wenn die Rollen sehr klischeehaft und ohne große Rollenentwicklung wirken, so hat jeder einzelne Grund seine ganz eigenen Charakteristika und Merkmale, die deutlich zum Vorschein kommen und von den Schauspielern sehr gut umgesetzt werden. Vor allem die Mutter von Hannah, gespielt von Kate Walsh, hat mich überzeugt. Die Emotionen, die Eltern haben, wenn ihr Kind sich das Leben nimmt, habe ich ihr voll und ganz abgekauft und das ließ mich mehr als einmal mit einem komischen Gefühl im Bauch zurück. 

Social Media 
Die polarisierenden Themen machen die Serie zu einem Einschalter, doch gleichzeitig geschieht etwas, mit dem Netflix nicht gerechnet hätte. Neben einer Rekord Reaktion von 1,3 Millionen Tweets in der ersten Woche nach der Ausstrahlung, kommt es vermehrt zu Warnungen, welche den Konsum der Serie betreffen. In Australien und Neuseeland gibt es Warnungen, die Serie nur in Aufsicht der Eltern anzuschauen oder sogar ein generelles Verbot. Wenn man die Serie googelt, sind auch genau das die ersten Hits: „Gefährdung jugendlicher durch Verherrlichung von Suizid“. Für ein besseres Verständnis der Hintergründe und Begründungen, warum sie welche Themen und Szenen auf diese Weise dargestellt haben, bietet Netflix im Anschluss an die Serie eine Dokumentation an. Außerdem erklärt Netflix, dass bald nicht nur vor 2 Folgen, sondern vor allen 13 Folgen ausdrücklichere Warnungen am Anfang der Folgen eingeblendet werden. Eine so große Welle an Kritik hat lange Zeit keine Serie mehr ausgelöst.

Fazit
Nicht nur die extreme Medienpräsenz hat mich dazu verleitet die Serie anzuschauen, generell gucke ich sehr gerne alles, was Netflix zu bieten hat. Die spannende und sehr tragische Story von Hannah hat mich von der ersten Folge an abgeholt. Besonders gut haben mir das Setting und das Flair der Serie gefallen, welche mich durch die Musik und einen Mystery-Touch ein bisschen an die Netflix-Produktion „Stranger Things“ erinnert hat. Die Themenaufbereitung war authentisch und mitreißend. Netflix hat wie so oft den Zahn der Zeit getroffen und zusätzlich Tabuthemen wie Vergewaltigung und Selbstmord in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Letzten Endes ist auch die Message der Serie eine banale, aber nicht weniger wichtige: „seid etwas netter zu euren Mitmenschen“. Und so abgeschlossen sich die Serie gibt, genauso viele Fragen stellt sie in der finalen Folge in den Raum. Gerüchte um eine zweite Staffel wurden bereits bestätigt. Wie genau es weiter geht, ist noch unklar, aber ich weiß, dass ich definitiv wieder Einschalten werde!



„Suicide is not an option“, soll das wirklich helfen? (www.glamour.de)

„Tote Mädchen lügen nicht“

USA 2017 // Netflix

4/5 Punkte


Infos zur Serie

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