Ich
hasse Bingewatching und alles, was mit ihm verbunden ist. Wenn ich einer
langlaufenden Serie folge, passiert das tatsächlich meist im Fernsehen selbst,
in einer wöchentlichen Ausstrahlung. Ständig begegne ich Menschen, die an
wenigen Abenden und Nächten alle Staffeln einer Serie wie The Wire gesehen
haben (frühestens 2025 werde ich, wenn ich in dem Tempo weiterschaue, dieses
Projekt beendet haben). Ich fühle mich von ihnen abgehängt, ich kann nur stumm
nicken, wenn sie mal wieder vom nächsten heißen Ding aus dem amerikanischen
Qualitätsserienhimmel sprechen. Ich fühle mich in meinem altmodischen Fernseh-
und DVD-Verhalten verloren in dieser Welt eines maßlosen Serienkonsums, der
sich mittlerweile von dem Medium Fernsehen, das die Serie erfunden hat,
scheinbar vollkommen dissoziiert hat. Ganz selten ist es mir aber selbst
wiederfahren, Serien zu bingen und sie damit zu adeln. Weissensee ist eines
dieser für mich seltenen Formate, das mich immerhin dazu gebracht hat, ganze drei
Folgen am Stück zu sehen.
Weissensee ist eine großartige Serie, sie ist aber, auf
eine bestimmte Weise, die normalste und reinste Serie, die ich mir im deutschen
Fernsehen denken kann.
Weissensee Serie (http://www.daserste.de/unterhaltung/serie/weissensee/index.html) |
In drei Staffeln, die seit 2010 Dienstagabend auf ARD
ausgestrahlt wurden, versucht die Serie, wie es die Autorin Annette Hess ausdrückt,
die Geschichte des letzten Jahrzehnts der DDR mit den melodramatischen
Erzählformen einer Serie wie Dallas
zu koppeln. Weissensee orientiert
sich an dem Konzept einer Prime Time Soap mit unendlich komplizierten
Verwicklungen und Verkettungen der einzelnen Schicksale. Eine kurze
Zusammenfassung, die es unvermeidlich macht, auch ein wenig zu spoilern, macht
dies deutlich. Martin Kupfer (Florian Kupfer) entstammt der mächtigen Familie
eines Stasioffiziers (Uwe Kokisch) und seiner äußerst linientreuen Frau Marlene
(Ruth Reinecke), die in der Bonzensiedlung Weissensee
leben. Während sein ehrgeiziger Bruder Falk (Jörg Hartmann) als knallharter
Opportunist des Systems der DDR deren Werte so verinnerlicht hat, dass er die
Karriere seines Vaters bei der Stasi fortsetzt, zeigt sich ein leichter Hang
zur Dissidenz bei Martin darin, dass er nicht bei der Stasi, sondern bei der
Volkspolizei arbeitet. Er verliebt sich ausgerechnet in Julia Hausmann, der
Tochter der legendären DDR-Chanteuse Dunja Hausmann (Katrin Sass), die in ihren
Chansons aber die DDR kritisiert und sich daher mit den Repräsentanten des
Systems anlegt. Dunja Hausmann ist gleichzeitig eine alte Liebe des
ambivalenten Stasi-Vaters und es bleibt zunächst unklar, ob Julia seine Tochter
und ihre Beziehung zu seinem Sohn eine unfreiwillig inzestuöse ist. Die
Verwicklung über die Liebe zu der widerständigen Tochter, die Entfremdung von
seiner Familie, eine geplante Republikflucht, die Freiräume gegenüber der
Familie und in der DDR, die das Paar sich verschafft, eine Inhaftierung der
Tochter, die von Martins Bruder Falk betrieben wird, der sie in langen Verhören
zermürbt und quält und die das Glück mit Martin Kupfer letztlich zunichte zu
machen droht, eine in der Haft geborene und verschwundene Tochter, die
Wiederbegegnung des Stasi-Vaters mit seiner alten Liebe Dunja Hausmann, aber
auch Nebenhandlungen mit der zutiefst unglücklichen und trinkenden Vera Kupfer
der Ehefrau von Falk, ihr Sohn, der einen Nierenschaden hat, der nur durch die
Spende von Martin, der mittlerweile mit seiner Familie gebrochen hat, gerettet
werden kann, Falks verzweifelter Kampf um die Anerkennung seines Vaters, der
letztlich doch immer seinem etwas weniger verbohrten Sohn Martin den Vorzug
gibt, das sind nur einige der unzähligen Verwicklungen, die es in dieser Serie
gibt. (Ende des Spoiler Alerts).
Das unfreiwillige Spoilern in dieser Zusammenfassung hat damit zu tun, dass in dieser Serie die Prinzipien der unglaublichen Verkettungen, die Formate wie Dallas und andere melodramatische Prime Time Soaps ausmachen, auf engem Raum verdichtet werden und damit auch die meisten der bestimmenden Widersprüche und Konflikte der DDR mitverhandelt werden. Der Plan der Autorin Annette Hess, Dallas und DDR zu koppeln, geht tatsächlich voll auf. Allerdings wirkt es so, als seien 20 Staffeln Dallas auf drei Staffeln zu jeweils 6 Folgen kondensiert worden. Durch das enge Geflecht der Geschichten der Figuren erscheint die DDR hier auch als Miniatur bestehend aus wenigen Settings und wenigen engen und wiederkehrenden Ansichten von Straßen und Plätzen und damit tatsächlich als Käfig, der der Staat offensichtlich für einige Menschen gewesen ist. Durch diese Verdichtung wird Weissensee zu einer puren seriellen Unterhaltungsform, die vielen Aspekten seriellen Erzählens auf sehr kluge Weise Bedeutung gibt. Der Zuschauer und die Zuschauerin hat Vergnügen daran, den Geschichten zu folgen, sie lassen sich tatsächlich durch die Cliffhanger-Momente am Ende jeder Folge dazu verführen, weiterzuschauen.
Die Zuschauer und Zuschauerinnen lernen auch so etwas (vor allem im Ringen Falks um die Aufmerksamkeit seines Vaters) wie eine Psychologie der sehr typenhaften Figuren kennen. Die serielle Gewöhnung an die Figuren führt dazu, dass Sympathien für den bösen und großartig gespielten Falk aufgebaut werden. Die Serie hat mich sogar dazu gebracht, die unglaublich pathetische und nervige, egomanische Figur der Dunja Hausmann, die mit großer Geste ihre brechtartigen politischen Chansons singt, mit der Zeit liebzugewinnen. Weissensee hat im Unterschied zu Dallas und anderen, länger laufenden Serien den großen Vorteil, durch die relative Kürze tatsächlich ein Gedächtnis zu haben und nicht einfach Probleme zu akkumulieren. Weissensee sticht auch deswegen heraus, weil es Momente der Erkenntnis, Vergebung und Erlösung gibt, weil melodramatische Komplikationen manchmal einfach nur dadurch gelöst werden, dass die Figuren miteinander reden. Die Figuren verändern sich auf nachvollziehbare Weise. Während wir bei Falk häufig das Gefühl haben, jetzt zerbricht seine Fassade und er befreit sich von seinen falschen Vorstellungen, schafft es seine Frau tatsächlich, sich dem Klammergriff der Stasi-Familie zu entreißen und auf die andere Seite der Opposition hinüberzuwechseln, auch wenn sich diese dann wieder als unterwandert von der Stasi und ihrem Mann erweisen wird. Die Zuschauenden genießen häufig aber einfach nur die durch das serielle Verfahren entstehenden Komplikationen, die unglaublichen Verkettung aller Figuren untereinander. Und auch wenn der Blickwinkel des Programms sehr begrenzt ist, liefert es tatsächlich doch einiges Wissen darüber, wie es sich angefühlt haben mag, in der DDR zu leben. Die drei Staffeln enden mit dem endgültigen Ende der DDR nach dem Mauerfall und in diesem Kulminationspunkt verbinden sich das historische Wissen über die Details der Auflösung eines Staates und den Ereignissen des kleinen Serienkosmos.
Das unfreiwillige Spoilern in dieser Zusammenfassung hat damit zu tun, dass in dieser Serie die Prinzipien der unglaublichen Verkettungen, die Formate wie Dallas und andere melodramatische Prime Time Soaps ausmachen, auf engem Raum verdichtet werden und damit auch die meisten der bestimmenden Widersprüche und Konflikte der DDR mitverhandelt werden. Der Plan der Autorin Annette Hess, Dallas und DDR zu koppeln, geht tatsächlich voll auf. Allerdings wirkt es so, als seien 20 Staffeln Dallas auf drei Staffeln zu jeweils 6 Folgen kondensiert worden. Durch das enge Geflecht der Geschichten der Figuren erscheint die DDR hier auch als Miniatur bestehend aus wenigen Settings und wenigen engen und wiederkehrenden Ansichten von Straßen und Plätzen und damit tatsächlich als Käfig, der der Staat offensichtlich für einige Menschen gewesen ist. Durch diese Verdichtung wird Weissensee zu einer puren seriellen Unterhaltungsform, die vielen Aspekten seriellen Erzählens auf sehr kluge Weise Bedeutung gibt. Der Zuschauer und die Zuschauerin hat Vergnügen daran, den Geschichten zu folgen, sie lassen sich tatsächlich durch die Cliffhanger-Momente am Ende jeder Folge dazu verführen, weiterzuschauen.
Die Zuschauer und Zuschauerinnen lernen auch so etwas (vor allem im Ringen Falks um die Aufmerksamkeit seines Vaters) wie eine Psychologie der sehr typenhaften Figuren kennen. Die serielle Gewöhnung an die Figuren führt dazu, dass Sympathien für den bösen und großartig gespielten Falk aufgebaut werden. Die Serie hat mich sogar dazu gebracht, die unglaublich pathetische und nervige, egomanische Figur der Dunja Hausmann, die mit großer Geste ihre brechtartigen politischen Chansons singt, mit der Zeit liebzugewinnen. Weissensee hat im Unterschied zu Dallas und anderen, länger laufenden Serien den großen Vorteil, durch die relative Kürze tatsächlich ein Gedächtnis zu haben und nicht einfach Probleme zu akkumulieren. Weissensee sticht auch deswegen heraus, weil es Momente der Erkenntnis, Vergebung und Erlösung gibt, weil melodramatische Komplikationen manchmal einfach nur dadurch gelöst werden, dass die Figuren miteinander reden. Die Figuren verändern sich auf nachvollziehbare Weise. Während wir bei Falk häufig das Gefühl haben, jetzt zerbricht seine Fassade und er befreit sich von seinen falschen Vorstellungen, schafft es seine Frau tatsächlich, sich dem Klammergriff der Stasi-Familie zu entreißen und auf die andere Seite der Opposition hinüberzuwechseln, auch wenn sich diese dann wieder als unterwandert von der Stasi und ihrem Mann erweisen wird. Die Zuschauenden genießen häufig aber einfach nur die durch das serielle Verfahren entstehenden Komplikationen, die unglaublichen Verkettung aller Figuren untereinander. Und auch wenn der Blickwinkel des Programms sehr begrenzt ist, liefert es tatsächlich doch einiges Wissen darüber, wie es sich angefühlt haben mag, in der DDR zu leben. Die drei Staffeln enden mit dem endgültigen Ende der DDR nach dem Mauerfall und in diesem Kulminationspunkt verbinden sich das historische Wissen über die Details der Auflösung eines Staates und den Ereignissen des kleinen Serienkosmos.
Was ich
aber vor allem an dieser großartigen Serie bewundere, ist, wie sie sehr subtil
mit jeder Staffel ihre seriellen Verfahren und ihre Dramaturgie verändert.
Während die erste Staffel in ihrer Rastlosigkeit fast wie eine Parodie von Dallas und ähnlichen Serien erscheint,
die ich zunächst eher mit dem Gefühl eines guilty pleasures sah (und wie bei
einem Unfall auch nicht wegsehen konnte), führt die Serie mit jeder weiteren
der drei Staffeln vermehrt Ruhepunkt, komische Momente, längere Einstellungen, entspanntere
Charaktere und sogar Selbstironie ein – sie lässt neue Seiten der Figuren
erkennen, sie wird zurückhaltender in der Verkettung der Ereignisse, ihr Blick
wird aber auch weiter (vermutlich durch ein größeres Budget, aber auch
dadurch, dass plötzlich Reisen in den Westen möglich werden). Ich kenne keine
Serie, die so geschickt so etwas wie eine staffelübergreifende
Gesamtseriendramaturgie etabliert und es geschafft hat, innerhalb der Serie die
Stimmungen und Tonlage derart zu verändern. Weissensee
ist auch aus diesem Grund eine der besten Serien des deutschen Fernsehens und
wurde 2016 daher zurecht mit dem Grimmepreis ausgezeichnet. Sie ist deswegen so
gut, weil ihre Autorin die populären Formen des Seriellen nicht verleugnet,
sondern sie dankbar annimmt und daraus etwas sehr kunstvolles macht, wozu nicht
zuletzt die wunderbar pointierten, gelegentlich auch komischen, sarkastischen
Dialoge beitragen. Sie ist eine Serie, die meinen seltenen Ausbruch in den
Modus des gierigen Bingewatchings wirklich verdient hat, sie ist auf ihre
Weise, smarter als viele amerikanische Qualitätsserien, die übliche Kost des
manischen Serienverzehrs vieler meiner Kollegen und Bekannten, zu deren Habitus
es gehört, kein Fernsehen mehr zu schauen, sondern Serien auf HBO, die häufig
ihr Fernsehsein verleugnen. Auch wenn ich letztlich Weissensee auf DVD geschaut habe, habe ich damit doch Fernsehen,
und was es alles sein kann, geschaut, ein Produkt der ARD, das in der
wöchentlichen Ausstrahlung ebenso gut funktioniert, wie aus der Box.
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