TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 20. Juni 2017

Circus Halligalli: The Long Goodbye


von Herbert Schwaab   

Wahrscheinlich bin ich ja schuld daran. Ich habe als Teil der werberelevanten Gruppe der Zuschauenden einfach zu wenig Circus Halligalli geschaut. Die Show von Joko und Klaas hatte schon zu Beginn der Staffel angekündigt, dass es die letzte sein würde und das endgültige Ende der Show mit einigen besonderen Ausgaben in den letzten Wochen zelebriert. Kurz bevor ich mich aus der Gruppe der werberelevanten Zuschauer verabschiede (bevor ich 49 werde) bieten sich einige Gelegenheiten, noch ein paar Ausgaben dieses Programms zu schauen und selbst zu begutachten, ob das Ende verdient oder ob es ein schönes Ende war. Das Format muss nicht noch einmal beschrieben werden, dafür eignet sich sehr gut ein Blick auf eine Kritik, die vor zwei Jahren von Wladimir Fuhrmann auf diesem Blog veröffentlicht wurde (http://tvkulturundkritik.blogspot.de/2015/02/circus-halligalli-manege-frei-fur.html#more).
Das Ende scheint verdient zu sein, weil sich tatsächlich ein Gefühl einstellen mag, dass sich das Format, das in der Rohform als MTV Home schon vor acht Jahren und dann zunächst als neoparadise bei dem Sender ZDFneo fortgesetzt wurde, bevor es in etwas größeren Dimensionen schließlich als Circus Halligalli seine Heimat bei Pro7 fand, sich einfach ein wenig erschöpft hat. Diese Erschöpfung spürt man vor allem bei der letzten Sendung, auch wenn sie mit der Betonung der Liveness dieser eigentlich ‚nur‘ live aufgezeichneten Sendung noch einmal versuchen, dem Bedeutung zu geben, was das Format ausmacht – als eine neue Fassung der klassischen Variety-Show, mit sehr filigran getakteten Elementen und Segmenten der Late-Night Show, von Spiel-, Talk- und Musikshows, gekoppelt mit Einspielern, Aktionen, Pranks, Wetten und Wettkämpfen zwischen den beiden Hauptakteuren und mit vielen anderen Akteuren und Akteurinnen wie Olli Schulz und Palina Rojinski, die durch ihr unregelmäßiges und dennoch stetiges Auftreten in diesen Programmen so etwas wie einen familienartigen Kosmos dieses Programmes geschafft haben.

Es gibt zwei Aspekte, die neben dieser geschickten Mischung aus unzähligen heterogenen Showelementen, den Reiz der Show ausgemacht haben: Das Gefühl von Vertrautheit und Freundschaft, das zwischen Joko und Klaas, aber auch den vielen anderen wiederkehrenden Beteiligten zum Ausdruck kam (durch die Einbindung der Crew entsteht dadurch tatsächlich so etwas wie eine richtige Sendefamilie). Ob die Freundschaft inszeniert oder echt ist, spielt dabei keine wesentliche Rolle. Sendungen einzelner Sender bilden sich immer stärker zu üppigen Netzwerken aus bekannten Figuren und kundigen Querverweisen aus, die auch viele Elemente transmedialer Cross-Promotion enthalten und Sendungen zu Brands machen sollen. So machen Joko und Klaas in den letzten Folgen mit einem fiktiven Shoppingkanal, der die Sendung unterbricht, sehr gekonnte Parodien von Werbung, allerdings sind die Produkte echt, ein Beispiel für den Trend, Werbung immer stärker in Formate zu integrieren, statt die Formate mit ihr zu unterbrechen. Wie eng dieses Netz gestrickt ist, zeigt sich auf fast unheimliche Weise an der Werbung für eine Überweisungsapp, die Joko und Klaas sehr unenthusiastisch in der vorletzten Sendung anpreisen. In der letzten Folge, die bei Rock am Ring aufgezeichnet wurde, wird ein klassischer Werbespot für das Produkt geschaltet, in dem ein tätowierter, muskelbepackter Schuldeneintreiber auftritt. Zu einem späteren Zeitpunkt werden Impressionen von dem Festival gezeigt und wir sehen den selben Mann, der vor der Bühne steht, einen Ball in den Farben der Bank, die das Produkt anbietet, aufbläst und in die Menge wirft. Während hier die scheinbare Parodie, die doch nur tut, über was sie sich scheinbar lustig macht, als Symptom der Netzwerkbildung dieses Programms etwas unangenehm wirkt, ebenso das Auftreten bestimmter Akteure wie Beatsteaks oder Materia, die einfach sehr gut (und zu gut) zu dieser Show und ihrem Publikum passen, lässt sich doch nicht bestreiten, dass die Vertrautheit zwischen diesen Akteuren, die Momente der Zärtlichkeit zwischen ihnen, die Geschichte, die sie miteinander haben (und die sie wohl jetzt beenden könnten) mit ein Grund waren, warum das Format einigermaßen erfolgreich war. Wenn Olli Schulz als guter, aber sehr anstrengender Kumpel ein letztes Mal bei dieser Show auftritt und mit den beiden zu Rock am Ring fährt, dann gibt es viele scheinbar spontane, improvisierte Momente, bei denen etwa Joko selbst immer wieder unfreiwillig lachen und aus der Rolle fallen muss, weil Olli Schulz oder Klaas ihn dazu provoziert haben. Am Ende ist das Schönste an den letzten Shows, dass sie sich immer wieder erlauben, mit kleinen, unscheinbaren Bemerkungen auch etwas von ihrer ‚wahren‘ Beziehung und ihrer Haltung zum Programm zum Ausdruck zu bringen.

Neben der Freundschaft ist das körperliche Moment der zweite wichtigste Baustein dieses Programms. Joko und Klaas stehen für das, was in der Medienwissenschaft Affektfernsehen genannt wird, wenn mit ekligen Sachen, die mit Körpern und Körpersäften zu tun haben, dem Zuschauer jede Möglichkeit verbaut wird, sich von dem Programm zu distanzieren. Der Affekt erzwingt immer eine Reaktion. Das Körperliche zeigt sich auch immer wieder in bedrohlichen Situationen, in die sich die Akteure auch in der letzten Folge bringen, etwa wenn Palina Rojinski besoffene Festivalbesucher Fragen zur Bundestagswahl stellt. Und es gibt eine scheinbar verschärfte Version (in der vorletzten Folge) der Rubrik Aushalten, bei der diesmal in einem engen Auto alle möglichen körperlichen Prüfungen anderer Folgen nostalgisch nochmal den geschundenen Körpern der Akteure auferlegt werden. Joko und Klaas sind Meister der Selbstprüfung einer neoliberalen Kultur, die den menschlichen Körper und seine Leistungen in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit rückt. Dass sie sich viel getraut und zugemutet haben, kann jeder bestätigen, der die Sendung (und andere Formate der beiden) geschaut hat. Dass sie das etwas weniger enthusiastisch in den letzten Folgen tun und sich das Ganze vielleicht etwas erschöpft hat, ist vielleicht ein Grund, warum das Ende nicht tragisch und gut verdient ist.

Was in den letzten  Monaten auffällt ist, dass es schwieriger für die Sendung geworden ist, Aufmerksamkeit zu generieren, einfach, weil die Konkurrenz und Jan Böhmermann nicht schläft. Während Jan Böhmermann mit seinen Aktionen Staatskrisen auslöst und Polizeischutz bekommt, aber auch etwas ungenierter sich als politischer Provokateur inszenieren kann, ist es für die beiden schwer, sich auf diesem Feld zu verorten. Ihr Prank mit dem in die Goldene Kamera eingeschleusten und erstaunlich wenig überzeugenden Ryan Gosling Lookalike hat dann doch verglichen mit den vielen Skandalen, mit der die Show verbunden ist, relativ wenig Aufsehen verursacht. Das hat auch damit zu tun, dass Joko und Klaas es vermeiden, eine klassische Late Night Show mit politischem Fokus zu sein, und eben noch viel hybrider und heterogener als dieses Format sind. Das macht die Show auch sehr interessant, weil es nicht wirklich ein Pendant dazu gibt.

Daher möchte ich abschließend doch ein wenig Trauer über das etwas zu lange Ende der Show zum Ausdruck bringen. Die Ausstellung des Live-Charakters der letzten Ausgaben mag etwas bemüht wirken, es wird deutlich, dass der Ereignischarakter erzwungen werden soll, es offenbart sich aber auch der Versuch, das Ende bewusst zu inszenieren und eine sang- und klanglose Absetzung zu verhindern.  Was aber bei Joko und Klaas, gerade weil sie nicht explizit politisch waren (vom Format her), häufig gelungen war, ist, wenn sie dann doch politisch wurden. Ihr Fakewahlwerbespot zur AfD ist großartig (https://www.youtube.com/watch?v=9sEP5PK-8Cs) und weitere Aktionen, die ihren gerechten Zorn über die Wutbürger und ihre Partei zum Ausdruck bringen, zünden einfach, weil es hier nicht darum geht, Politik in ein politisch unterhaltsames Format zu integrieren, sondern diese Momente eher wie Ausbrüche wirken, in denen die wahren Joko und Klaas ihr Gesicht zeigen. So ist auch ein Clip, in denen die beiden sehr aufgeregt, wenig komisch und komplett ironiefrei (mit dem offiziellen Sendelogo verbunden) ihre Meinung zur AfD, Hasspostings, Gewalt gegen Flüchtlinge und alternative Fakten zum Ausdruck bringen, sehr rührend und wirkungsvoll und ordnet sich eben nicht elegant und unsichtbar in einen Flow der Politikintegration des Fernsehens ein (https://www.youtube.com/watch?v=tBHMzCOn2Sk).

Die in Segmente zerbröselnde Sendung eignet sich wunderbar für eine weitere Ausstrahlung auf der eigenen Homepage (wie lange wird es die wohl noch geben) und auf dem Verwertungshof der audiovisuellen Kultur YouTube und man stößt sehr schnell auf Clips, die einem in Erinnerung rufen, was wir alles verlieren, wenn es dieses Format nicht mehr gibt. Das allein wird schon dafür sorgen, dass es bei diesem Format, seinem hybriden Kosmos und seinem ausufernden Overflow in andere Bereiche der Werbung, der Populärkultur und der Politik kein wirkliches Ende geben muss und wir es tatsächlich mit einem Long Goodbye zu tun haben werden.

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