von Katharina Muth
Aufruhr, Schreie, eine Geiselnahme im
Supermarkt- mitten am Tatort im Stuttgarter Tatort vom 23.11.2014, die beiden
Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare).
Ungewöhnlicher Anfang.
Ungewöhnlich geht’s weiter. Der
bequeme Tatort-Fan kann sich dieses Mal nicht auf das typische Schema: ein Mord, eine Leiche, ein Täter, 2 Kommissare
verlassen. Der Täter ist der Ermittler Lannert. Das Opfer, ein Geiselnehmer, der
einen Raubüberfall ausübte- und seine Geisel erschießen möchte- „ das habe er
in seinen Augen gesehen“ so Lannert. Und wo ist Bootz? Der mischt nur indirekt
mit, wirft sich schützend auf eine Kundin des Supermarkts, und kann doch
eigentlich gar nichts sehen. Und schon wieder wird der Sonntagabend-20.15-
ich-gehe-nicht-ans-Telefon-Fan überrascht. Da ist doch was verkehrt- kein
schummriges Zimmer wo sich die zwei Kommissare bis spät in die Nacht das Hirn
zermattern, nein, Lannert auf der Anklagebank, Bootz als Zeuge. Und schon wird
die erste „Frage des Gewissens“, die in diesem Tatort noch häufiger gestellt
werden wird, mit reinem Gewissen falsch beantwortet. Bootz schützt seinen
Kollegen, und ist letztendlich doch derjenige, der beschützt wird, in seiner durchzeichneten
Alkoholsucht, mit der er seine Scheidung „verwässern“ möchte.
Ihnen gegenüber sitzt ein
verheiratetes, klischeebehaftetes Anwaltspärchen, das mit gekonnter Arroganz
unsympathisch ist. Und eigentlich eine Mörderin und ein Vergewaltiger sind.
Der Zuschauer weiß das natürlich noch
nicht und ist zu diesem Zeitpunkt weiter verwundert. Das wars? Da hätten wir
uns auch eine Gerichtsshow nachmittags auf Sat1 angucken können, denkt sich der
Tatort-Fan, und wird überrascht.
Genau, das ist es nämlich, was den
Stuttgarter Tatort dieses Mal auf eine unheimlich ruhige Art spannend werden
lässt. Die Schüsse fallen am Anfang, die Spannung hält sich bis zum Schluss.
Nein, kein „typischer“ Tatort-Sonntag-Abend, spannender, eher ein Psycho-Krimi.
Die wichtigste Zeugin, wird
erschossen. Wie sich über die Zeit herausstellt, wird sie schon zum zweiten Mal
Opfer der Anwälte. Herr Pflüger vergewaltigte sie, als sie sechzehn war.
Gefunden wird sie aber ausgerechnet
vom zweiten, noch nicht unter Verdacht stehenden Ermittler Bootz. Der wird
aufgrund seines nächtlichen Alleingangs, seiner unterstellten
Beeinflussungsversuche auf die Zeugin erstmal freigestellt. Und trinkt, und
trinkt. Im Vollrausch erklärt er Lannert dann, dass er gar nichts gesehen habe.
Das Bild der beiden Ermittler gerät ins Wanken.
Der Anwalt, der sich selbst gerne als
Gutmensch darstellt, lässt keine Chance aus, die beiden Ermittler vor Gericht
schlecht zu machen. Mit arroganter, spitzer Zunge fordert er Lannert und Bootz
auf ihr Anliegen zu äußern: „ Schießen Sie los- wenn Sie das nicht allzu
wörtlich nehmen“, grinst dabei und fühlt sich in seiner Position unverletzlich.
Mit nicht wirklich legalen Mitteln
(einem Detektiv) schikaniert er Bootz sogar vor Gericht, indem er seinen
Alkoholkonsum (die vielen Weinflaschen im Müllcontainer) schildert.
Letztendlich finden sich Parallelen
zwischen dem Anwalt und Bootz. Trennung, Alkohol und dann der Verlust des
Ruders. Der eine vergewaltigt, der andere wird aufgefangen. Von seinem
Kollegen.
Und obwohl die Ermittler Lannert und
Bootz längst nicht so beliebt sind, wie z.B. die Münsteraner Ermittler Boerne
und Thiel, ist ihre Entwicklung und
Beziehung zueinander fesselnd.
Bootz ersäuft seinen Scheidungskummer
und schützt Lannert, und Lannert zieht ihn am Ende aus dem Sumpf.
So ist dieser Tatort vielleicht keine
„Frage des Gewissens“, sondern eher eine „Aussage der Loyalität“.
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