TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 3. März 2015

The Taste of German. Relevanz, Wirklichkeit und die Tränen von Alexander Herrmann

von Herbert Schwaab 
 
Am 19.11.2014 wurde in dem Sat1 Format The Taste mit dem Koch Jan der Gewinner der zweiten Staffel von „Deutschlands größter Kochshow“ gekürt. Statt sonst einem Löffel, der mit einem möglichst raffinierten und ausbalancierten Gericht bestückt werden muss, waren es im Finale 44 kleine Löffel, die für die Jury und die Zuschauer der Show, die aus Verwandten, Bekannten und ehemaligen Kandidaten bestehen, innerhalb von 90 Minuten angerichtet werden mussten. Der Gewinner überzeugte mit einer akkurat gestalteten Zusammenstellung eines mit einem Bunsenbrenners sehr kurz angebratenen Stück Thunfischfilets, einer Paste aus Petersilie und Wasabi, einem kleinen Tropfen Tomatenjus, einem kleinen gebackene Sesamchip und einer mit Pinzette verteilten Garnitur von Noriblätterspitzen. Sein Konkurrent Ole konnte mit seinen Löffeln aus einem rohen Thunfischragout, einer Chilimangomarinade, einem Pakchoiblatt, Selleriestückchen und frittierten Glasnudeln nicht ganz so überzeugen. Der Löffel habe, wie im entscheidenden Urteil von Frank Rosin formuliert, einfach nicht genügend Schmackomat. Der überglückliche Gewinner bekam nicht nur 50000 Euro, sondern darf sich auch auf dem Titelbild eines Kochbuchs bestaunen, das alle seine in der Show gekochten Rezepte enthält und das angeblich einen Tag nach der Sendung in allen Buchhandlungen zu kaufen ist.

The Taste ist ein typischer Vertreter der Castingshow, die mittlerweile einen Zustand der Klassizität erreicht hat. In Anlehnung an den reifen und unauffälligen Stil des klassischen Hollywoodkinos bedeutet dies, dass die an sich überaus auffälligen visuellen Mittel und Inszenierungsmuster des Formates – wie etwa die Montage aus den in Aufblenden gezeigten angespannten Gesichtern in Momenten der Entscheidung, die Verwendung von Kommentaren in Interviewsequenzen, um in diesem Format ein virtuoses, rhythmisches Alternieren mit dem Kochvorgang zu erreichen, die vielfältigen Versuche, durch den Einsatz von Musik, durch Verzögerung in Entscheidungsprozessen, durch Zeitlupe und Schnitt einen emotionalen Flow zu erzeugen – so geläufig geworden sind, dass sie fast nicht mehr auffallen.
Wenn der Zustand der Klassizität erreicht ist, bedeutet dies, dass mehr und mehr die kleinen Unterschiede zwischen den Formaten eine Rolle dabei spielen, warum wir zu ihren Betrachtern werden. Dass ich immer wieder an dem Format hängengeblieben bin, könnte daran liegen, dass die Jury, die zugleich auch als Coaches die in Teams versammelten Kandidat-Innen begleiten,  ihnen mit Respekt begegnen, dass die Kochenden eher kooperieren und selten in einem Konkurrenzverhältnis stehen, dass durch die räumliche und visuelle Gestaltung des Studios und die Beteiligung eines kleinen Publikums, tatsächlich die Show zu einer hermetischen Welt und einem Mikrokosmos wird, indem sich die Ereignisse auf beeindruckende Weise verdichten.Aber bei den vielen kleinen Unterschieden zwischen den Formaten zählt meiner Meinung nach zunehmend ein überaus banaler Grund für das Interesse an einem Format, etwas, was in den fernsehwissenschaftlichen Konzepten der Cultural Studies als Relevanz bezeichnet wurde, die Notwendigkeit, dass der Zuschauer die Fernsehinhalte mit seinen eigenen Interessen und seiner eigenen Welt in Verbindung bringen kann: Kochen interessiert mich. Die Details des Kochvorgangs und die Probleme, die sich einer Kandidatin oder einem Kandidaten stellen, kann ich nachvollziehen, die Kriterien der Bewertung der einzelnen Löffel, die Notwendigkeit, ein gelungenes Zusammenspiel zwischen Säure und Süße, Gestaltung und Struktur des Essens zu erreichen, verstehe ich ebenso, die Bindung an die Wirklichkeit ist für mich in einer Kochcastingshow immer gegeben. Ein Koch kann ein Koch bleiben, und auch wenn der Erfolg in der Show sich wahrscheinlich nicht einfach so auf seine weitere Tätigkeit übertragen lässt – sie werden immer gesucht. Die Entscheidungen für einen Sänger oder eine Sängerin in einem Format wie The Voice interessieren mich nicht: die Welt braucht nicht noch mehr Sänger oder Sängerinnen und der mangelnden Erfolg der Figuren, die aus solchen Castingshows hervorgehen, macht das Lob und die Kritik über die KandidatInnen, der Überschwang und die Tränen, die Dramen und die Glücksmomente zu einer Währung ohne Wert. 
Zwar teile ich durchaus die in Theorien zum Reality TV entwickelte Ansicht, dass Casting-Shows nicht darauf ausgerichtet sind, etwas zu erzeugen, was jenseits der Show eine Bedeutung hätte und es daher nicht von Bedeutung ist, ob die Gewinner auch nach der Show Erfolg haben werden. Dennoch funktioniert für mich als naivem Zuschauer die Emotionsmaschine Castingshow erst dann, wenn die Inhalte mit Relevanz verbunden werden können. (Aus einem ähnlichen Grund hasse ich die Schwedenkrimis, weil sie die Mordrate diese bevölkerungsmäßig kleinen Lands um ein vielfaches überschreiten und ich bei allem Realismus, der in ihnen zu finden ist, keine Beziehung mehr zur Welt herstellen kann). Ich werde dadurch tatsächlich dazu gebracht, den Tränen von Alexander Herrmann am Ende der Show zu glauben, aber auch die ständige und überdrehte Begeisterung der anderen Jurymitglieder Lea Linster, Tim Mälzer und Frank Rosin. Sie sind zwar das Produkt eines vom Format in den Wochen seiner Produktion erzeugten Ausnahmezustands, der die Juroren ebenso emotional manipuliert wie die Kandidat-Innen, aber sie lassen sich in diesem Fall mit der wirklichen Welt und dem wirklich wichtigen Thema Kochen verbinden und sind keine umsonst vergossene Tränen, derer man sich bei Rückkehr in die Wirklichkeit schämen müsste.

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