TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 9. März 2015

„Schießen sie los- wenn sie das nicht allzu wörtlich nehmen“ - Der Stuttgarter Tatort vom 23.11.2014

von Katharina Muth

Aufruhr, Schreie, eine Geiselnahme im Supermarkt- mitten am Tatort im Stuttgarter Tatort vom 23.11.2014, die beiden Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare).
Ungewöhnlicher Anfang.
Ungewöhnlich geht’s weiter. Der bequeme Tatort-Fan kann sich dieses Mal nicht auf das typische Schema: ein  Mord, eine Leiche, ein Täter, 2 Kommissare verlassen. Der Täter ist der Ermittler Lannert. Das Opfer, ein Geiselnehmer, der einen Raubüberfall ausübte- und seine Geisel erschießen möchte- „ das habe er in seinen Augen gesehen“ so Lannert. Und wo ist Bootz? Der mischt nur indirekt mit, wirft sich schützend auf eine Kundin des Supermarkts, und kann doch eigentlich gar nichts sehen. Und schon wieder wird der Sonntagabend-20.15- ich-gehe-nicht-ans-Telefon-Fan überrascht. Da ist doch was verkehrt- kein schummriges Zimmer wo sich die zwei Kommissare bis spät in die Nacht das Hirn zermattern, nein, Lannert auf der Anklagebank, Bootz als Zeuge. Und schon wird die erste „Frage des Gewissens“, die in diesem Tatort noch häufiger gestellt werden wird, mit reinem Gewissen falsch beantwortet. Bootz schützt seinen Kollegen, und ist letztendlich doch derjenige, der beschützt wird, in seiner durchzeichneten Alkoholsucht, mit der er seine Scheidung „verwässern“ möchte.

Ihnen gegenüber sitzt ein verheiratetes, klischeebehaftetes Anwaltspärchen, das mit gekonnter Arroganz unsympathisch ist. Und eigentlich eine Mörderin und ein Vergewaltiger sind.
Der Zuschauer weiß das natürlich noch nicht und ist zu diesem Zeitpunkt weiter verwundert. Das wars? Da hätten wir uns auch eine Gerichtsshow nachmittags auf Sat1 angucken können, denkt sich der Tatort-Fan, und wird überrascht.
Genau, das ist es nämlich, was den Stuttgarter Tatort dieses Mal auf eine unheimlich ruhige Art spannend werden lässt. Die Schüsse fallen am Anfang, die Spannung hält sich bis zum Schluss. Nein, kein „typischer“ Tatort-Sonntag-Abend, spannender, eher ein Psycho-Krimi.
Die wichtigste Zeugin, wird erschossen. Wie sich über die Zeit herausstellt, wird sie schon zum zweiten Mal Opfer der Anwälte. Herr Pflüger vergewaltigte sie, als sie sechzehn war.
Gefunden wird sie aber ausgerechnet vom zweiten, noch nicht unter Verdacht stehenden Ermittler Bootz. Der wird aufgrund seines nächtlichen Alleingangs, seiner unterstellten Beeinflussungsversuche auf die Zeugin erstmal freigestellt. Und trinkt, und trinkt. Im Vollrausch erklärt er Lannert dann, dass er gar nichts gesehen habe. Das Bild der beiden Ermittler gerät ins Wanken.
Der Anwalt, der sich selbst gerne als Gutmensch darstellt, lässt keine Chance aus, die beiden Ermittler vor Gericht schlecht zu machen. Mit arroganter, spitzer Zunge fordert er Lannert und Bootz auf ihr Anliegen zu äußern: „ Schießen Sie los- wenn Sie das nicht allzu wörtlich nehmen“, grinst dabei und fühlt sich in seiner Position unverletzlich.
Mit nicht wirklich legalen Mitteln (einem Detektiv) schikaniert er Bootz sogar vor Gericht, indem er seinen Alkoholkonsum (die vielen Weinflaschen im Müllcontainer) schildert.
Letztendlich finden sich Parallelen zwischen dem Anwalt und Bootz. Trennung, Alkohol und dann der Verlust des Ruders. Der eine vergewaltigt, der andere wird aufgefangen. Von seinem Kollegen.
Und obwohl die Ermittler Lannert und Bootz längst nicht so beliebt sind, wie z.B. die Münsteraner Ermittler Boerne und Thiel,  ist ihre Entwicklung und Beziehung zueinander fesselnd.
Bootz ersäuft seinen Scheidungskummer und schützt Lannert, und Lannert zieht ihn am Ende aus dem Sumpf.
So ist dieser Tatort vielleicht keine „Frage des Gewissens“, sondern eher eine „Aussage der Loyalität“.


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