TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 11. Dezember 2020

Unorthodox. Zwischen Tradition und Selbstbestimmung

von Lily-Frances Marsh
Die Netflixserie Unorthodox, geschrieben von Anna Winger und Alexa Karolinski und unter der Regie von Maria Schrader, beruht auf der gleichnamigen Autobiografie von Deborah Feldman. Erschienen ist die aus vier Folgen bestehende Serie 2020. Sie handelt von der Protagonistin Esther, auch Esty genannt, die nach einem Jahr unglücklicher, aber vor allem kinderloser Ehe aus der Gemeinde ultraorthodoxer Juden in Williamsburg, New York, nach Berlin flieht. Ausgerechnet in die Hauptstadt Deutschlands, das Land, das an den Juden ein beispielloses Verbrechen verübt hatte. Für die Zuschauer interessant sind zweifelsohne die seltenen Einblicke in die strengreligiöse Gemeinde und das Leben der Frauen dort. In Berlin begleitet die Serie Esty auf ihrer Reise der Selbstfindung, in der schließlich all ihre bisherigen Ideologien und Normen über den Haufen geworfen werden.
Die Szenen in Deutschland stellen jedoch einen deutlichen, aber nicht ganz überzeugenden Kontrast zu den vielschichtigen und authentisch wirkenden Bildern aus Amerika. Das sommerliche Berlin mit seinen  buntgemischten, freundlichen und gut gestylten Bewohnern wirkt wie aus einer Airbnb-Werbung. Gleich nach der Ankunft lernt Esty einen jungen Mann im Café kennen, fährt gleich mit ihm und seinen Freunden aus der Musikhochschule an einem See; wird sofort in der Clique aufgenommen; geht in einen Club, wo eine fremde Frau ihr auf der Toilette den Lippenstift herzlichst anbietet. Diese idealisierten Szenen tauchen häufiger auf. Auch Estys Hemmungen Kontakt mit ihrer längst aus der Gemeinde verstoßenen Mutter aufzunehmen, eigentlich der Grund für die Reise, wirken nebensächlichund aufgesetzt. Alle Elemente für eine gute Geschichte sind vorhanden; manche ertrinken jedoch in der Faszination für die rückwärtsgewandte Religion und die Idealisierung der aufgeklärten Zustände in Berlin. Spannend an der Serie ist, dass diese von Jüdinnen und Juden entwickelt und realisiert wurde und die Auseinandersetzung mit den Traditionen erscheint glaubhaft und respektvoll. Die Originalsprache der Serie wechselt dauernd zwischen Englisch und Jiddisch, was dem Ganzen noch mehr Authentizität verleiht. Aus Opfer werden Täter, zumindest im Geschlechterkampf, dies trifft besonders auf Estys Ehemann Yanky zu, der die zweite Hauptfigur der Serie spielt. Yanky ist zerrissen zwischen den Erwartungen seiner Gemeinde und seiner Unfähigkeit seine Frau wirklich – und nicht nur dem Anschein nach – glücklich zu machen.

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