Von Anastasia Hartleib
Folgendes
Szenario: Sie sind Polizist in einer Kleinstadt in der Nähe von Atlanta. Sie
sind verheiratet und haben ein Kind, stehen mitten im Leben. Sie werden bei
einem Einsatz angeschossen und fallen ins Koma. Als Sie wieder aufwachen
existiert die Welt wie Sie sie kennen nicht mehr, sondern wird von
fleischfressenden Untoten bevölkert, die in keinster Weise mehr menschlich sind.
Das ist die Situation von Rick Grimes, dem Protagonisten der US-amerikanischen
Horrorserie The Walking Dead.
Rick,
gespielt von Andrew Lincoln, begibt sich auf die Suche nach seiner Familie und
trifft dabei auf andere Überlebende, die die ausgebrochene Seuche noch nicht in
einen sogenannten „Beißer“ oder „Streuner“ verwandelt hat. Als Rick seine
Familie durch Zufall in einer Gruppe anderer Überlebender findet, wird er
schnell zum Anführer und leitet die Gruppe durch dieses postapokalyptische
Horrorszenario auf der Suche nach einer dauerhaften und sicheren Bleibe. Auf
ihrem langen Weg müssen durch die ständigen Beißerangriffe Verluste beklagt
werden, doch es kommen auch immer wieder neue Mitglieder hinzu, die sich der
Gruppe anschließen, in der Hoffnung, endlich Sicherheit zu erlangen.
The Walking Dead basiert auf der
gleichnamigen Comicserie von Robert Kirkman und Tony Moore, umgesetzt durch den
Produzenten Frank Darabount (The Green
Mile) im Auftrag des Fernsehsenders
AMC. Die Erstausstrahlung in den USA erfolgte am 31. Oktober 2010. Aktuell läuft
die fünfte Staffel der Serie, wobei die nächsten Staffeln bereits in Arbeit
sind.
In Deutschland war The Walking Dead im Free-TV erstmals im März 2012 auf RTL II zu
sehen, wobei der Sender die Staffeln
(wie auch schon zuvor bei der HBO-Serie Game
of Thrones) jeweils als Eventprogrammierung ausstrahlte, also alle
Folgen innerhalb eines Wochenendes beziehungsweise einer Woche.
Als großer
Fan realistischer Ästhetik schrecke ich häufig schon allein vor dem Wort Zombie
zurück. Doch der Quotenbringer aus den USA wurde nicht ohne Grund bei den
Emmyverleihungen 2011 bis 2013 mit zwei Emmy’s für das beste Make-up und
weiteren Nominierungen in der Kategorie „beste visuelle Effekte“ ausgezeichnet.
Die filmische und düstere Ästhetik wirkt sehr authentisch und die wandelnden
Toten hinterlassen einen bleibenden Eindruck des Grauens. Szenerien wie verlassene
Städte oder Gebäude wie Wohnhäuser, Schulen oder Kaufhäuser zeugen immer wieder
von dem Moment des Seuchenausbruchs und erinnern an Bilder von Orten, die in
der Vergangenheit tatsächlich von Katastrophen heimgesucht wurden, wie
beispielsweise Tschernobyl oder Fukushima. Der Wald, der den Überlebenden
vorwiegend als Lebensraum dient, bietet hingegen eine neutrale Kulisse, die
sich sowohl als schutzbringend, aber auch als verhängnisvoll erweisen kann.
Kommt es zu
Konfrontationen mit „Beißern“, so wird damit filmisch ganz unterschiedlich
umgegangen. Es gibt Kampfszenen, die direkt gezeigt werden und in denen das
Blut á la Tarantino fließt. An anderen Stellen wird mit der Imagination des
Zuschauers gearbeitet, ein typisches Merkmal des Horrorgenres.
Doch es wird
sich nur hintergründig auf „Zombiegesplatter“ konzentriert. Im Blickpunkt der
Serie stehen vielmehr das Zusammenleben der Gruppe und die daraus folgenden
Konflikte und Probleme. Die eigentlichen Fragen lauten nicht, wie und womit man
am besten einen „Beißer“ tötet, sondern was passiert mit den Menschen, wenn sie
ihrem alltäglichen Leben entrissen werden und in einen Ausnahmezustand
gelangen? Welche Regeln und Konventionen gelten dann noch? Es ist sehr spannend
zu sehen, wie mit Themen wie Gerechtigkeit, Rassismus, Selbstmord und
„Präventivtötung“ umgegangen wird. Die Überlebenden gelangen in eine Art Ur-
oder Naturzustand und müssen sich gesellschaftlich völlig neu ordnen. Die Frage
nach moralisch richtigem Handeln wird der Frage der Zweckdienlichkeit
hintenangestellt, jedoch nie gänzlich vergessen. Beispielsweise, als zwei der
Überlebenden, von der Gruppe getrennt, in ein Haus gelangen, das bewohnt zu
sein scheint. Sie plündern nicht die gesamte Vorratskammer, sondern nehmen sich
nur das, was sie brauchen, um ihren Hunger zu stillen.
The Walking Dead ist meiner Meinung nach
ein Versuch der Rückbesinnung auf das Wesentliche. Es werden Traditionen und
Handlungsmuster hinterfragt, die sich in unserer Gesellschaft eingebürgert
haben. Wir alle haben Angst vor der großen Katastrophe. Doch was tun wir heute,
um diese in der Zukunft zu verhindern? Haben wir unser Denken und Handeln
bereits so nachhaltig ausgerichtet, dass wir auch nach dem Super-Gau in der
Lage sind, das Leben wie wir es führten wieder aufzunehmen? The Walking Dead gibt auf eine spannende
und eindrucksvolle Weise eine Antwort auf diese Fragen, die dem ein oder
anderen einen grausigen Schauer bescheren dürfte.
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