TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 14. Januar 2021

Most everyone's mad here – JoJo’s Bizarre Adventure zwischen Genie und Wahnsinn

 von Paul Bockholt

Hat man einen gewissen Hang zu absurdem, surrealem und überzeichnetem Humor, so stößt man, wenn man gerne im Internet unterwegs ist, früher oder später unweigerlich auf JoJo’s Bizarre Adventure. Die Serie erschien ursprünglich 1986 als Manga des japanischen Zeichners Hirohiko Araki und wird bis heute fortgesetzt.  Ich mag absurden Humor, und lese seit Jahren auf Reddit, YouTube und wo man sonst noch seine tägliche Dosis Memes bekommt, von „JoJo’s“. Trotzdem hatte ich mich nie näher mit dem Material beschäftigt, und da die Corona-Krise ungeahnte Freizeit birgt und Netflix die ersten drei Staffeln der Anime-Adaption im März ins Programm aufnahm, machte ich mich auf mein eigenes „Bizarre Adventure“ mit der ersten Staffel JoJo’s, genannt „Phantom Blood“ um herauszufinden, was so viele eingefleischte Fans überzeugt.

Dio, der Eindringling

„Hey, schau dir das Chaos an!“, ruft Dario Brando. Eine Kutsche ist eine Klippe herabgestürzt, den Kiefer des Kutschers hat ein Holzpflock durchbohrt, die Hand einer Passagierin ragt leblos aus dem Wrack. Der „cold open“ der ersten Folge macht recht deutlich klar, dass hier ein erwachsenes Publikum angesprochen werden soll, nicht nur durch Brutalität, sondern auch durch derbe Sprache und die menschlichen Abgründe, die im Laufe der Serie immer wieder aufgezeigt werden.
Dario rennt auf den Unfall zu, nicht um zu helfen, sondern um den reichen Passagieren Ihre Wertsachen vom Köper zu reißen. Die überzeichneten Fratzen, die er beim Lästern über die Verunglückten macht, sein widerliches, überzeichnetes Aussehen machen klar, wer hier der Böse ist. Der noble George Joestar, der sich plötzlich regt, denkt, Dario wollte helfen und muss von Ihm erfahren, dass seine Frau beim Unfall gestorben ist. Einzig er und sein Kleinkind, der spätere Protagonist Jonathan Joestar, haben überlebt. In seiner gutmütigen Naivität, die die Joestars ausmacht, denkt George er sei der Familie Brandos nun etwas schuldig.  
Als sein Vater stirbt, nutzt dies der Sohn der Brandos und Antagonist Dio, um die Familie der Joestars zu infiltrieren, indem er sich adoptieren lässt. Hier angekommen macht er Jonathan „JoJo“ Joestar, das Leben zu Hölle und versucht ihm alles zu nehmen.

Das ist eigentlich auch schon der gesamte Plot der ersten Staffel. Dio als absolutes Böse unterdrückt erst JoJo und dann die ganze Welt. Deswegen muss sich der Held wieder hochkämpfen, um Dio aufzuhalten. So weit, so simpel. Durch besonders tiefgründige und komplexe Charaktere zeichnet sich JoJo’s Bizarre Adventure bis hier nicht aus. Der Antagonist und seine Handlanger sind wirklich, wirklich böse, und wer das nicht an ihren Taten merkt, der wird mit den überzeichneten Grimassen und Ansprachen mit der Nase darauf gestoßen. Der Protagonist bleibt hier meist passiv und muss sich durch pure Standhaftigkeit und Rechtschaffenheit durchkämpfen.

Besonders spannendes Charakter-Schreiben ist das nicht. Das soll nicht heißen, dass die Serie langweilig anzusehen sind, aber Dio ist nicht mehr als eine Art biblisches Böse, dass über die Familie Joestar kommt, dem sich der Held JoJo erwehren muss, um sich und andere zu retten. Hier merkt man schon, dass diese Anime-Adaption auf Material aus den 1980er Jahren basiert. Nicht umsonst erinnern die Figuren auch optisch an überzeichnete Action-Machos wie die Charaktere von Schwarzenegger und Stallone dieser Zeit. Das sind Muskeln auf Muskeln. Rambo lässt grüßen. Das schmiegt sich zwar grundsätzlich gut an übertriebenen Stil der Serie, wirkt aber ab und zu wie eine Parodie seiner selbst.  Deswegen kann die Story auch nicht mit überraschenden Wendungen aufwarten, vielmehr ist „Phantom Blood“ eine Heldengeschichte mit sehr japanischer Note. Und trotz allem werden hier komplexe Emotionen und Motivation der Charaktere dargestellt, als in so manch anderer Serie.

„JoJo‘s“ versucht auch immer wieder moralische Grauzonen aufzuzeigen und den Zuschauer zum Nachdenken über den Einfluss von Herkunft und Erziehung auf die Charaktere anzuregen. Das scheitert aber daran, dass der Antagonist Dio wirklich unmenschlich böse ist. Es ist einfach unglaubwürdig das solch absolute Verdorbenheit nur durch eine schlimme Kindheit entstehen soll.

Das klingt zwar jetzt recht übel, ist aber dem unterhaltungswert der Serie eigentlich nicht abträglich. Letztendlich ist hier alles so bunt, brutal und übertrieben, dass der teuflische Bösewicht und leicht tumbe Held fast wie ein selbstironisches Stilmittel wirken.

Die Story ist klar dem Style untergeordnet. Das macht schon das erste Aufeinandertreffen der Haupt-Charaktere klar. Dio kommt am Haus der Joestars an, springt mit Musik und Licht völlig überdramatisiert aus der Kutsche und blickt bedrohlich zur Kamera und damit zu JoJo. Und falls der Zuschauer, dass so nicht versteht, werden sogar noch die japanischen Schriftzeichen für „bedrohlich“ um Dios Kopf gezeigt. Und wer es jetzt immer noch nicht kapiert hat, merkt es spätestens als Dio unvermittelt den Familienhund an den Schädel tritt.  Ab hier ist der Story-Fahrplan eigentlich festgesetzt und man kann sich beruhigt berieseln lassen und sein Augenmerk auf den hohen visuellen Wert von „JoJo’s“ setze.

Hier wird weniger auf Logik und Glaubhaftigkeit gesetzt, als der Stil genutzt, um Emotionen und Handlung visuell zu unterstreichen. Oft wird das Farbschema der Szenen komplett umgedreht, um die Intensität zu steigern und immer sind Gut und Böse klar farblich abgetrennt. Die Joestars haben blaue Haare, die Brandos blonde. Macht Dio etwas Böses, so wird der Hintergrund durch höllische Schwaden ersetzt, sein Gesicht durch schwarze Schatten zerpflügt. Die Zeichnungen wirken oft mehr wie ein eigenständiges Kunstwerk, als ein Werkzeug um die Geschichte zu erzählen.
Auch das Intro ab der zweiten Folge der Serie ist vor allem eins: Sau schick. Da scheint es den Machern egal zu sein, dass die hier genutzten Ausschnitte teils erhebliche Spoiler enthalten.


Letztendlich muss den Serienmachern wohl bewusst gewesen sein, dass Story und Charaktere dieses ersten „Storyarcs“ schon ein wenig in die Jahre gekommen waren. Umso mehr liegt deshalb der Fokus auf der absurd mächtigen und mächtig absurden visuellen Genialität, die „JoJo’s“ ausmacht und von vergleichbaren Serien abhebt.  Und das macht beim Schauen einfach Spaß. Es ist spektakulär und macht Lust auf mehr, gerade wenn man auch den absurden Humor, der in „Phantom Blood“ ab und zu durchblitzt, mag. Die erste Staffel hebt die besten Aspekte der Serie heraus und hält den Zuschauer bei der Stange. Wenn jetzt in den kommenden Staffeln auch noch ein wenig mehr erzählerischer Tiefgang bei gleichbleibender oder sogar noch gesteigerter Absurdität hinzukommt (es heißt ja wohl nicht umsonst „bizarre“?), dann ist klar, warum „JoJo’s Bizarre Adventure“ so geliebt wird. Mit 8 Folgen á 25 Minuten sollte man, vor allem wenn man eine Schwäche für Bizarres hat, dieser Serie auf jeden Fall eine Chance geben. Der Name ist quasi Programm.

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