TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 23. August 2017

Naked Attraction: Dating Hautnah – Sex sells oder das nackte Grauen?!

von Melanie Greif


Montag Abend, 22:15 Uhr – ich liege auf dem Sofa, zappe etwas durch das Programm und bleibe schließlich bei RTLII hängen: bereits im Titelsong wird die Quintessenz der Dating-Show, mit welcher ich nun die nächste Stunde verbringe klar formuliert, als Sängerin Imany „take off your clothes“ trällert und die Kamera auf den Ort des Geschehens schwenkt - Es handelt sich um das Nackt-Dating-Format Naked Attraction.

Abb. 1: Beginn der Sendung. Es lassen sich die groben Umrisse der Kandidaten erkennen
 
Ein Kandidat (männlich oder weiblich - man will sich ja schließlich keine Geschlechterungerechtigkeit anmaßen lassen) steht mit der Moderatorin Milka Loff Fernandes inmitten eines Halbkreises aus 6 verschiedenfarbigen Glaskästen, die für mich mehr wie die Kulisse eines Gen-Experiments scheinen, bei dem jeden Moment die frisch erschaffenen Klone präsentiert werden. Doch statt Klonen werden doch nur ganz „gewöhnliche“ Menschen präsentiert, aber - und das ist der Punkt in dem sich Naked Attraction klar von Dating-Formaten wie Der Bachelor und Co. unterscheidet- eben vollkommen nackt wie Gott, der Chirurg oder der Tattoowierer sie schuf.
Frei nach dem Motto „Sex sells“ präsentiert uns RTLII hier eine neue Form von Dating Show, die bisher nach Adam sucht Eva – Gestrandet im Paradies erst die zweite im deutschen Fernsehen ist, bei der die Kandidaten völlig unzensiert blank ziehen und bei der ich mir doch eingestehen muss, dass meines Erachtens manchmal weniger mehr ist. Man nenne mich spießig, aber für mich gehen sowohl Erotik, als auch Romantik bei so viel Offenheit leider mehr als verloren.
Abb.3 Marco mit Moderatorin Fernandes
Wer dachte bei Naked Attraction wird zuerst langsam begonnen um den Zuschauer an die Nacktheit heran zu führen, der täuscht sich. Gleich in Runde 1 wird in die Vollen gegangen und wir sehen von den Füßen bis zur Hüfte ausnahmslos alles, geziert mit Intim-Piercings, Tattoos, behaart oder unbehaart - für jeden Geschmack sollte etwas dabei sein. So beginnt Single Marco mit Moderatorin Milka Loff Fernandes ausgiebig zu diskutieren, welche Vorlieben er bei Damen denn so pflegt und in Nostalgie an Robert Lembke stellt sich nach jeder Runde für den Single-Mann die Frage „Welches Glaskasterl hätten’s denn gern?“. So arbeiten wir uns schließlich so lange vor bis wir den kompletten Körper von Kopf bis Fuß betrachten können. Gespickt wird die Fleisch-Beschauung mit zwischengeschalteten pseudo-wissenschaftlichen Studien und Fakten über die Vorlieben deutscher Männer und Frauen, die in gewissem Maße ein Niveau erzwingen, das bereits beim Ablegen der Kleidung mit verschwunden ist. Kandidat Marco, der zu Beginn im Einspieler noch einmal betont, er möchte am liebsten eine Frau auf klassischem Wege kennen lernen (klar was ist denn klassischer als eine Nackt-Datingshow?!) und stehe nicht so auf dieses „moderne“ Zeug, entscheidet sich in Runde 2 (Der Oberkörper) schließlich gegen die grüne Box, da ihm die Dame wie zuvor mit der Moderatorin genau analysiert, doch nicht schlank genug ist. Sie nimmt es locker, verlässt nach dem Ausscheiden das Studio. Sie wird hier erstmals von einer Stimme aus dem Off mit Name, Alter und Beruf vorgestellt, transformiert sich in einem kurzen Einspieler zu ihrem bekleideten Ich, welches sein Ausscheiden kommentiert. Wieso und ob das an dieser Stelle überhaupt noch relevant ist? Ich denke nicht, schließlich möchte ich im Restaurant doch auch nicht wissen wie das Schwein, von dem das Steak stammt, gegen das ich mich bereits entschieden habe, hieß und ob es Gefallen an seinem Ableben fand.

Abb. 3: Runde für Runde erhalten wir mehr Einblicke


Zu guter Letzt wird der Spieß dann umgedreht. Der bisher bekleidete Marco muss ebenfalls die Hüllen fallen lassen und trifft die finale Entscheidung. Seine Auserwählte Eva und er dürfen sich schließlich zum bekleideten Date treffen, das dann jedoch nur noch recht spärlich gezeigt wird und für Marco leider nicht als Adam im Paradies mit seiner Eva endet, da sie der Meinung ist, es passe einfach nicht so gut. Eine interessante Neuerung für ein Dating-Format, bei denen sonst meist nur die Auswahl des Auswählers, weniger aber das Endergebnis der Auserwählten zelebriert werden. Eine unerwartete Kandidaten-Emanzipation an dieser Stelle also.
Das Format, das erstmals ein Jahr zuvor im Britischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, zeigt hier wie Frauen und Männer wie das Fleisch in der Metzgertheke analysiert werden. Oberflächlicher könnte es wohl kaum ablaufen. Und auch wenn ich nicht abstreiten möchte, dass optische Faktoren mit Sicherheit eine Rolle bei der Partnerwahl spielen und in Zeiten von Tinder, Lovescout und Elite Partner Dating noch einmal mehr zu einer Art Kuchenbuffet wurde, auf dem man die nahezu freie Auswahl an optionalen Partnern geboten bekommt, stellt sich mir doch auch rückblickend die Frage, ob ein nackter Körper einem Menschen tatsächlich bei der Entscheidung hilft mit wem man sich eine ernsthafte Zukunft vorstellen könnte oder ob sich dieses Format nicht mehr für rein sexuelle Vergnügen eignet.

Menschen werden in Online Dating Portalen weggewischt, weil die Nase doch einen Zentimeter zu groß erscheint, die Haare die falsche Farbe haben oder der Ein oder Andere sogar zu schön aussieht. Wie man es dreht und wendet,  am Ende findet man zugegebenermaßen immer einen Makel und genau mit diesem gegenwärtig weitverbreiteten Problem der Oberflächlichkeit und Überauswahl taktiert die „Glaskasten-Kuckerei“. Denn so wie der Glaskasten nur halb durchsichtig ist, genauso lässt sich der vorgeführte Mensch anhand reiner Optik doch lediglich in Nuancen erkennen – lediglich in der seiner Optik. Wenn Oma und Opa sehen wie wir heutzutage auf Partnersuche gehen, könnten diese wohl nur erstaunt mit dem Kopf schütteln und erneut, wie viele es so gerne tun, in Erinnerung an die guten alten Zeiten schwelgen. "Früher war alles besser" - nun ja "besser" ist wahrscheinlich der falsche Ausdruck vielmehr könnte man es als unkomplizierter bezeichnen, was aber selbstverständlich dem noch nicht existentiellen Angebot an Technik und Entertainment, sowie einer völlig anderen vorherrschenden Moral geschuldet war. Um nach apologetischen Erklärungen zu suchen, schieben wir die Tatsache, dass solch ein Format überhaupt Zuspruch findet, vorerst und vereinfachend also auf die durch Technik geschaffenen unzähligen Optionen, die uns die Auswahl potentieller Partner so enorm erscheinen lässt, dass wir im Grunde zur Oberflächlichkeit „gezwungen“ werden, um wenigstens eine grobe Vorauswahl zu treffen.

RTLII begründet, die Show solle eine Möglichkeit bieten zu erfahren, wie man vollkommen reduziert ohne Kleidung und Accessoires auf den potentiellen Partner wirkt, wenn man sich nicht hinter einer textilen Fassade verstecken kann - also Dating rückwärts. Kritisch in der Hinsicht, dass die Wahl unserer Kleidung doch einiges über unseren Charakter aussagen kann, aber auch fokussiert es für mich völlig falsche Werte, denn wie ein Sprichwort so schön sagt „Wer zusammen kommt entscheidet das Aussehen, wer zusammen bleibt der Charakter“ und vor eben diesem Hintergrund verfehlt Naked Attraction für mich jede Ernsthaftigkeit hier tatsächlich ein Konzept zu zeigen, das auf mehr als nur Quote durch Nacktheit abzielt.

Doch genau das ist es, was Nacktformate erreichen – ein Phänomen, das wir auch schon bei Adam sucht Eva- Gestrandet im Paradies erlebt haben- verhältnismäßig hohe Einschaltquoten. RTLII erzielte mit Naked Attraction mit insgesamt 1,45 Millionen Zuschauern beispielsweise den besten Neustart seit 2012. Ist unser sonst oft eher spießiges Deutschland also doch gepackt vom Voyeurismus? Wollen Singles und Paare ihre Langeweile im Schlafzimmer kompensieren? Oder ist es einfach der Reiz des Neuen und dem Brechen von TV-Tabus?  Vermutlich eine Mischung aus all diesen Faktoren.




Bild-Quellen:

Abb. 1: 
http://www.rtl2.de/sites/default/files/styles/opengraph/public/images/format/1100033341/naked-attraction-q-teaser-1446481.jpg?itok=VyPhXDDR



Abb.2: 
https://www.welt.de/img/fernsehen/mobile165046683/5202502417-ci102l-w1024/Marco-42-mit-Moderatorin-Milka-Loff-Fe.jpg



Abb.3:
https://www.trendyone.de/cache/com_image_news_c793cda9a53fe8f9ea43c58b114714f0/cropped-1493998363-youtube.comrtl2.png

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen