von Herbert Schwaab
In
der vierten Staffel der Serie Gilmore
Girls findet sich eine Szene, die die besondere dramaturgische Gestaltung
dieses Programms deutlich mach. Es ist absehbar, dass diese auf 153 Episoden
ausgelegte ‚extended romantic comedy‘ irgendwann einmal den Cafebesitzer Luke
und die Hotelmanagerin Lorelai zusammenbringen wird, es ist ein notwendiger
Bestandteil des Genres. Aber diese
Annäherung wird äußerst sorgfältig inszeniert. Die Serie hat bis zu dem Ende
der vierten Staffel immer wieder kleine, besondere Momente inszeniert, die auf
sehr beiläufige Weise die Gefühle zwischen Luke und Lorelai angedeutet haben:
ein Blick, der etwas länger auf dem anderen ruhte, ein kurzes Aufflackern
grundloser Eifersucht, Momente, in denen sie sich an ihrer bloßen Gegenwart
erfreuen konnten.
Lukes finale Erkenntnis, dass er Lorelai liebt, gewinnt er
zwar mit Hilfe eines unglaublich banalen Beziehungsratgebers, aber der Ratgeber
gibt ihm die Möglichkeit, alle diese kleinen magischen Momente zu rekapitulieren:
Er hört sich den Ratgeber auf Cassette an. Er stellt diverse Fragen danach, mit
welcher Frau er Spaß hat, an welche Frau er am häufigsten denken muss und
Ähnliches. Luke beantwortet diese Fragen nicht hörbar. Wir sehen nur sein
Gesicht, an dem sich deutlich abzeichnet, an wen er dabei immer denkt und immer
gedacht hat. An allen diesen Ereignissen, an die er denkt und die wir nicht
sehen, war der Zuschauer beteiligt, was vielleicht erklärt, warum diese Szene
eine so starke Wirkung entfaltet. Sie belohnt die Geduld der Betrachter, sie
gibt seinen Erinnerungen an Momente der Serie Bedeutung. Wir stellen uns vor,
was Luke sich vorstellt. Während Serialität immer als eine eher auf
Flüchtigkeit und Wiederholung ausgerichtete ästhetische Komponente von
Fernsehprogrammen betrachtet wird, findet sich hier ein seltenes Beispiel
dafür, wie aus diesen vielen flüchtigen Momenten eine Einheit geschafft werden
kann.
Als
Online-Anbieter von Fernsehprogrammen und Filmen ist es Netflix sehr wichtig,
zu wissen, was seine Kunden schauen wollen. Netflix, das gerade den deutschen
Fernsehmarkt betreten hat, entwickelt komplexe Algorithmen, die die verborgenen
Wünsche der von ihnen bedienten Zuschauer erforschen. Serien, für die es
einen Demand zu geben scheint, werden unverzüglich aufgekauft und dem
Programmangebot zugeordnet. Gilmore Girls
ist einer dieser Serien, die Netflix erworben hat, obwohl deren letzte
Episode im Jahr 2007 produziert wurde. Dies ist ein Beispiel für die
Nachhaltigkeit, die manche Serien zu erzeugen vermögen. Das Fernsehen besteht
zu großen Teilen aus Programmen, die bereits mehrmals ausgestrahlt wurden. Der
„rerun“ einer Serie verweist auf eine Qualität vieler serieller Produktionen,
nicht für einmalige Betrachtung geschaffen zu sein, Wiederholung zu ertragen,
in anderen Zeiten und Kontexten zu funktionieren. Spartensender wie Sixx oder Disney
Channel basieren ihr Programm fast ausschließlich auf älteren Programmen,
Hauptprogramme wie Kabel 1 oder RTL 2 strahlen jahrelang in nicht enden wollenden
Wiederholungen Sitcoms wie King of Queens
aus, und man wundert sich erst, wenn eine Serie endgültig aus den Programmen
verschwunden ist. Legendäre Programme wie die Sitcom I Love Lucy werden in den USA und anderen Staaten seit 60 Jahren
immer wieder ausgestrahlt. Der ‚rerun‘ steht für eine andere Zeitlichkeit eines
sonst auf Aktualität und Neuheit ausgerichteten Fernsehens. Die
Wiederausstrahlung ist auch ein wichtiger Gradmesser dafür, welche Serien, was
ja das Datatracking und die Algoritmen von Netflix bestätigen, ‚tatsächlich‘
gut sind bestehen.
Trotz
dieser Qualität von Nachhaltigkeit wird Gilmore
Girls selten explizit als eine Serie des Quality Television begriffen. Das
hat viel mit seiner unscheinbaren Ästhetik, an einer klassischen Bildauflösung
orientierten Ästhetik zu tun, aber auch der Fokus auf ein eher jugendliches
Publikum verhindert, dass der Serie eine ähnliche Aufmerksamkeit, in den
Feuilletons oder in der Fernsehwissenschaft, gewidmet wird wie Serien wie Breaking Bad oder Mad Men etwa. Solche Serien leben davon, eine Tiefe der Charaktere
zu suggerieren, dass jedes Ereignis mit einem anderen Ereignis verbunden ist,
dass es eine endlose kausale Kette gibt, die sich aus der Psychologie der Figur
ergeben. Tatsächlich handelt es sich aber meist um eine Akkumulation von
Komplikationen, die auch das Erzählen von melodramatischen Endlosserien, Prime
Time Soaps wie Dallas oder Daily
Soaps wie GZSZ prägen. Meist wissen
auch die Qualitätsserien nicht, was mit ihren Charakteren zwei Staffeln später
geschehen wird, aber sie tun so, als wüssten sie es, um der Intelligenz eines
aufmerksamen, nach Zusammenhängen suchenden Betrachters zu schmeicheln. Es handelt sich eher um einen eingebildeten
Zusammenhang der Ereignisse.
Im Gegensatz dazu ist Gilmore Girls tatsächlich eine Serie, die gerade weil sie als Comedy Drama die Psychologie der
Charaktere nicht zu ernst nimmt, tatsächlich immer wieder auf befriedigende
Weise einen über die Episode hinausverweisenden Zusammenhang, eine Bedeutung
kleiner Momente, die als Vorausschau auf spätere Ereignisse begriffen werden
können, andeutet. Mit dem Programm findet die Flüchtigkeit und Alltäglichkeit
seriellen Erzählens eine Form. Das ist
einer von vielen Gründen warum ich immer wieder zu der Serie zurückkehre.
Vielleicht erklärt diese Zeitlichkeit auch, warum ich nicht das für die
Qualitätsserie so typische Serienbinging vollziehe (eine Staffel in einer
Nacht), sondern mich immer darauf freue, wenn es als Wiederausstrahlung, wie
gerade auf dem Disney Channel, zu sehen ist und ich mich auf den der Serie
entsprechenden wöchentlichen Rhythmus einlassen kann, mein Alltag und der
Alltag von Stars Hollow sich immer wieder miteinander synchronisieren. Und so
ertrage ich es auch, dass sich meine Frau immer darüber lustig macht, dass ich
diese Serie schaue, deren Publikum immer eher als weiblich und jugendlich
imaginiert wird. In der ‚offiziellen‘ Serienkultur mögen andere Programme
zählen, für mich und nicht nur für die Algorithmen von Netflix wird Gilmore Girls immer eines der besten
Programme aller Zeiten bleiben.
In so einem Licht habe ich die Serie ja nie betrachtet. Das lustige ist dran, dass ich erst heute wieder Gilmore Girls angeschaut habe! Es ist schon fast wie eine Strafe, ständig darauf zu warten, bis die Beiden zusammen kommen. Ich glaube genau deshalb habe ich damals aufgehört weiter zuschauen. Aber dann habe ich mit Breaking Bad angefangen... Eine endlose Schleife, würde ich sagen. Trotzdem habe ich bei dieser Serie viel mehr das Gefühl von Tiefe in den Charakteren.
AntwortenLöschenIch fand breaking bad VIEL besser. Kann ueberhaupt nicht nachvollziehen, was der Hype soll...
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