TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 17. Januar 2012

TV Total – Die erfolgreiche Eintönigkeit

von Benjamin Weweck
„So, meine Damen und Herren, jetzt gibt’s wieder TV Total, heute mit…“
In einem kleinen Einspieler, der vor jeder Sendung gezeigt wird, begrüßt Stefan Raab exakt auf diese Weise montags bis donnerstags seine Zuschauer. Die Eintönigkeit beginnt also für den regelmäßigen Fernsehzuschauer schon beim Vorspann. Wie soll das nun weitergehen? Und warum ist dieses System seit über zehn Jahren erfolgreich?

Kurz zusammengefasst läuft eine durchschnittliche Sendung, wie hier am 7. September 2011, folgendermaßen ab: Sie beginnt mit einem Gast aus dem Publikum, der auf die Höhepunkte der Sendung aufmerksam macht und Stefan Raab „ansagt“. Dadurch bekommt der Zuschauer einen allgemeinen Überblick über die bevorstehende Sendung. Anschließend stellt Raab lustige Highlights aus aktuellen TV-Sendungen vor, bevor er sich dann seinen Gästen widmet, die entweder ein kurzes Gespräch mit ihm führen oder einen kleinen Comedyauftritt in der Sendung haben.
Als Betrachter stellt man sich nun die Frage, welches System hinter diesem relativ einfachen Konzept steckt, das TV Total und vor allem Stefan Raab so beliebt gemacht hat. Unübersehbar ist die Tatsache, dass die präsentierten Witze und teilweise grenzwertigen Sprüche stets auf Kosten anderer Leute gemacht werden, vor allem Politikern, die beim Volk in der Regel ohnehin nicht beliebt sind und somit die ideale Vorlage für gelungene Unterhaltung bieten. In dieser Sendung geht der Moderator beispielsweise mit äußerst fragwürdigem Humor auf den Rücktritt des griechischen Präsidenten Papandreou ein („Sonst wäre es ihm möglicherweise wie Gaddafi ergangen“), und anschließend lässt es sich Raab mal wieder nicht nehmen, auf seinem Lieblingsprominenten „Fipsi“ herumzuhacken. Für all diejenigen, die in letzter Zeit keine TV Total-Folge gesehen haben und „Fipsi“ somit noch nicht kennen sei gesagt, dass es sich um unseren Vizekanzler Philipp Rösler handelt, der in jeder einzelnen Sendung thematisiert bzw. verarscht wird. Obwohl die Witze meist gelungen sind, fällt hier sofort das wohl wichtigste Prinzip von TV Total auf, das zugleich sehr typisch für die Fernsehwelt ist:
Redundanz, Redundanz und wieder Redundanz.
Noch allgegenwärtiger wird die Redundanz beim Einspielen von kurzen TV-Sequenzen, die „Nippel“ genannt werden. Der Moderator kann diese (wirklich genialen) Nippel durch Knopfdruck auf seinem Pult beliebig abspielen – und das ist neben dem Sprücheklopfen eindeutig Raabs Lieblingsbeschäftigung. Die Nippel werden nicht nur über Wochen hinweg wiederholt, sondern auch innerhalb einer Sendung so oft eingespielt, dass man davon leicht genervt sein kann und womöglich nachts eine Stimme hört, die sagt: „Der Gerät wird nie müde, der Gerät schläft nie ein, der Gerät is’ immer vor de’ Chef im Geschäft, und schneidet das Dönerfleisch schweißfrei.“
Aber diese Redundanz hat auch sehr viele positive Formen, die innerhalb dieses erfolgreichen Systems unverzichtbar sind: In jeder Folge gibt es den Clip des Tages, beginnend mit den Worten „Heute ist (Montag, der 7. November) , Tag (der Hausmittel)“, der in aller Regel ein sehr unterhaltsamer Bestandteil der Show ist. Dienstags tritt Stefan Raab beim vom Kollegen Elton moderierten Ratespiel „Blamieren oder Kassieren“ gegen einen Kandidaten aus dem Publikum an; mit dieser Einbindung des Publikums macht er die Sendung nicht nur abwechslungsreicher, sondern es hat zur Folge, dass die Fernsehzuschauer bewusst dienstags bis zum Schluss TV Total verfolgen, um das abschließende Spiel zu sehen. Analog dazu ist der mehrere Minuten dauernde Clip der „TV Total TV Tipps zum Wochenende“, der jeden Donnerstag Teil der Sendung ist. Dessen sehr unterhaltsame Aufbereitung mit lustigen Interviews und TV-Tipps macht ihn zu einer meiner Lieblingsrubriken der Show.
Jetzt fehlt nur noch der scheinbar wichtigste Teil der Sendung: Die Studiogäste. Zumindest erscheint es dem Zuschauer so, weil Raab keine Gelegenheit auslässt, während der Show Bezüge zu den bevorstehenden Gästen herzustellen; anders ausgedrückt schlichtweg für sie zu werben. Seit einiger Zeit befindet sich am oberen Bildschirmrand ironischerweise der Schriftzug „Dauerfernsehsendung“ - DauerWERBEsendung würde wohl besser passen. Die Show vom 7. November 2011 eignet sich hierfür als sehr gutes Beispiel. Zuerst kommt ein unbekannter, junger Comedian auf die Bühne, der einen kurzen, wenig überzeugenden Auftritt gestattet bekommt, der sich dennoch gelohnt hat, denn Raab verkündet anschließend: „Wenn sie ihn mal live erleben wollen, er geht auf Deutschland-Tournee … usw. usw“. Danach spricht Raab mit einem Buchautor, der ein Buch mit Kurzgeschichten, die nicht länger als 140 Zeichen lang sein dürfen, veröffentlicht hat (natürlich erst ein paar Tage zuvor). Diese Konversation über die mit verstecktem, unterschwelligem Humor geschriebenen Gedanken ist eine sehr unterhaltsame Alternative zu Stefan Raabs teilweise eher platten und eintönigen Sprüchen, aber nicht nur das, denn genau hier beweist Raab seine Qualitäten als Fernseh-Entertainer: Er kann witzige, oberflächliche Dialoge mit Comedians wie Simon Gosejohann, Elton oder „Stromberg“ führen, oder lockere Gespräche mit Musikern beliebiger Nationalitäten und Genres, wie in dieser Folge mit dem älteren englischen Schlagersänger Tony Christie; aber auch vor Sido und Bushido macht er nicht halt. Oder eben mit interessanten Buchautoren so wie heute; egal, mit wem Stefan Raab redet, er findet in aller Regel den passenden, für den Zuschauer unterhaltsamen Ton. Gerne auch den Englischen – und die Tatsache, dass es keinen Übersetzer gibt, ist nicht nur untypisch im deutschen Fernsehen, vielmehr hebt sie das Niveau der Sendung und gibt ihr die von vielen gewünschte Realität, die ein Übersetzer ihr nehmen würde.
Will man ein Fazit ziehen, so ist TV Total eine Show mit teils eintönigen Verfahren und Systemen, von denen jedoch die wenigsten als negativ angesehen werden dürfen, sondern vielmehr gerade für diese Show charakterisierend sind. Nicht zuletzt sind es genau diese Standards, die TV Total so beliebt machen. Jedoch erfahrungsgemäß hauptsächlich beim jungen Publikum: Während auf dem Uni-Campus oder in meinem Freundeskreis TV Total ein beliebtes Gesprächsthema ist, hat die ältere Generation tendenziell eine Abwehrhaltung gegenüber TV Total und hauptsächlich gegenüber Stefan Raab persönlich. Aber er hat in den letzten Jahren durch preisgekrönte Shows wie Schlag den Raab und besonders Unser Star für Oslo eine deutliche Imageaufbesserung erlangen können.
Wir werden sehen, wie es im weiten Meer der Raab-Sendungen mit dem von Pro7 betitelten „Flaggschiff TV Total“ weitergehen wird.

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