TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 23. Januar 2012

Schwer verliebt

von Anne Deiß

Die folgende Sendung wird Ihnen präsentiert in 16:9 BREITbild!


Nach Bauer sucht Frau, Schwiegertochter gesucht und Gräfin gesucht hat es ein neues Format in das deutsche sonntägliche Vorabend-programm geschafft: Die neue Kuppelshow Schwer verliebt auf Sat1 läuft seit dem 6.11.2011 jeden Sonntag von 19:00-20:00 Uhr.Moderiert wird die Sendung von Brit Hagedorn, der Talkshow Königin von Sat1, und man könnte fast glauben, dass sie extra für ihre neue Aufgabe ein paar Pfund zugelegt hat, schließlich geht es in dem Format um Singles, die aufgrund ihrer Körperfülle Schwierigkeiten bei der Partnersuche haben. Im Vordergrund stehen neun „mollige“ Menschen, die sich beworben haben, um endlich die Liebe ihres Lebens zu finden.

Das Konzept funktioniert ähnlich wie das von Bauer sucht Frau: Interessierte können ihrem schweren Favoriten Videobotschaften schicken, und diese/r darf sich zwei der Bewerber für eine Probewoche aussuchen. Nach ein paar Tagen muss sich der Kandidat dann entscheiden, wer bleiben darf, um einer romantischen Woche zu zweit entgegen zu blicken und heraus zu finden, ob es wirklich die große Liebe ist. Auch ist die Aufmachung wie bei Bauer sucht Frau; so werden allen Kandidaten gewisse Attribute und Eigenschaften zugesprochen, die sie während der ganzen Staffel behalten. Begleitet werden die idyllischen Bilder von theatralischer, thematisch immer passender Musik.
Die Einschaltquoten dieser Show steigen fast wöchentlich: Schon die erste Folge war ein guter Erfolg mit einem Marktanteil von 11,2 Prozent der 14- bis 49-jährigen Zuschauer und die vierte Sendung schaffte einen Sprung auf satte 15,9 Prozent. 3,84 Millionen Zuschauer verfolgten die Barbie-Taufe mit anschließender Entscheidung der „romantischen Regal-Servicekraft Sarah“, das spannende Katzenquartett-Spiel mit dem „frommen Erik“ und seiner Gaby oder die Flötenstunde vor seiner geliebten Sandra des „fröhlichen Flötenspielers Andreas“.
Dabei stellt sich die Frage, warum das so ist, denn wirklich etwas Neues ist die Serie nicht, da sie sich stark an vorangegangenen Formaten orientiert. Der Unterschied ist lediglich, dass es sich bei den Kandidaten um übergewichtige Singles handelt. Die Vermutung liegt nahe, dass der Erfolg von der noch massiveren Diskriminierung der Teilnehmer herrührt. Es wird keine peinliche Situation ausgelassen, um die Kandidaten hässlich, dumm oder zurückgeblieben darzustellen. So wird beim Essen immer genau ins Gesicht der Speisenden gezoomt, sodass man sich unweigerlich denken muss: „Igitt, wie eklig“. Auch brenzlige Situationen, wie das Absitzen von einem Pferd, werden in Zeitlupe gezeigt und mehrmals wiederholt, um den fülligen Körper bei der Leibesertüchtigung genau zu observieren. Solche extremen Bloßstellungen reizen viele Zuschauer, die Sendung zu sehen und auch weiter zu verfolgen, schließlich möchte man ja auch wissen, ob sich Kandidat X für die „Dickere“ oder die „Hässlichere“ entscheidet. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Aber auch die Entrüstung über solch ein Format fördert die Einschaltquoten, denn nachdem sich Kandidatin Sarah öffentlich zu ihrer eigenen Bloßstellung geäußert hat, ist die Serie im Blickpunkt vieler Kritiker und Menschenschützer.
Sat1 ist nicht unbedingt unbekannt für Shows und Serien, die in Richtung Niveaulosigkeit gehen - wobei es sich meiner Meinung nach bei Schwer verliebt um den Gipfel der Unverschämtheit handelt. Sonst ist es eher der Sender RTL, der für die besonders bloßstellenden Formate berüchtigt ist. Zielgruppe dürfte also die gleiche sein, der sich bereits Bauer sucht Frau widmet: Mittel-bis Unterschicht mit mittlerem bis niedrigem Bildungsstand.
Ich persönlich verfolge die Serie seit der ersten Ausstrahlung. Beim zufälligen Zappen durch das Programm bin ich auf Schwer verliebt gestoßen und seit dem daran hängen geblieben. Nun wurde ein sonntägliches Treffen mit Freunden zum gemeinsamen Fernsehabend ein festes Ritual. Warum genau ich immer wieder dieses eher fragwürdige Format anschauen möchte, ist für mich eine schwierige Frage, da ich generell sehr wenig Fernsehen schaue und insbesondere "Reality-TV-Schrott“ boykottiere. Dennoch bin ich mitten in der Serie drin, was zum einen daran liegt, dass ich es nicht fassen kann, wie man mit den Kandidaten umgeht und sie darstellt. Eine gewisse Komik ist natürlich auch dabei und die anschließenden Diskussionen mit Freunden auch immer sehr lustig. Dennoch schockiert es mich, dass ich so etwas ansehe und eigentlich würde ich mich gerne dagegen wehren, aber leider bin ich süchtig und dementsprechend hilflos, was bestimmt noch mehreren Zuschauern so geht.Immerhin erhalten die Kandidaten für 14 Drehtage 700 Euro, wobei fraglich ist, ob das der verlorene Ruf und weitere, wahrscheinlich noch schlimmere Diskriminierungen in ihrem Umfeld wert ist.
Nun bleibt die Frage offen, ob sich solche Serien noch weiterentwickeln können. Viel schlimmer kann es kaum noch gehen, vielleicht ist ja wieder eine Rückkehr zu traditionelleren Liebes-Shows à la Herzblatt oder Geld oder Liebe zu erwarten, was fast schon wünschenswert wäre. Denn was spricht gegen eine „normale“ Serie ohne Spott und Herablassung? Ist unsere Gesellschaft denn wirklich so verkorkst? Ich hoffe nicht, denn mehr solcher Formate ertrage ich nicht, und damit stehe ich hoffentlich nicht allein.

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