TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Dienstag, 17. Januar 2012

Kleine Ereignisse: Günter Jauch: Menschen, Bilder, Emotionen

von Herbert Schwaab

Eine halbberühmte Frau, die bei Dancing with the Stars trotz aller Widrigkeiten ihrer Figur den ersten Platz gemacht hat und vor dem Fernsehpublikum mit dem ältesten Tanzlehrer Deutschlands einen Tanz auf das Parkett legt; zwei deutsche Ingenieure, die bei dem Tsunami in Japan im Atomkraftwerk Fukushima vor Ort waren und als betroffene Landsleute aus erster Hand von der Katastrophe berichten können; ein deutscher Student, der bei einem Pokerturnier mehrere Millionen gewonnen hat; die Prinzen, die die wichtigsten Songs des Jahres a-capella vortragen; ein kleiner Junge mit Brille, der dem Papst einen Brief geschrieben hat und zur Audienz bestellt wurde; die Klitschkobrüder, heute nur in der verwaisten Variante, da einer von Beiden krank darniederliegt; Kretschmann, der bodenständige Grüne, der die Landtagswahl in Baden-Württemberg gewonnen hat; wieder ein Deutscher, der in Norwegen dabei gewesen ist und noch dazu mehrere der Jugendlichen auf der Insel vor dem Attentäter gerettet hat; ein Mann, der einen bizarren Unfall mit seinem Luxusschlitten und einem riesigen Traktor überlebt hat; Gaby Köster, die nach mehreren Jahren und nach einem schweren Schlaganfall wieder im Fernsehen auftritt und über den Sieg über ihre Krankheit spricht; das Säureattentatsopfer aus dem Iran, das auf das juristisch verbriefte Recht auf Rache an dem Peiniger verzichtet; zwei berühmte Moderatoren, die sich in kurzen Abständen in ihren Shows gegenseitig besuchen, als gäbe es keine Welt mehr außerhalb des Fernsehens. Manchmal erscheint das Fernsehen wie ein surrealer Fiebertraum, der die unpassendsten Dinge passend macht und in sein Format einzwängt. Günther Jauchs Jahresrückblick 2011 ist Fernsehen in Reinkultur.

Als der englische Kulturwissenschaftler Raymond Williams in den 1970er Jahren die USA besucht und im Hotelzimmer eine Sendung eines kommerziellen Senders des US-Fernsehens schaut, prägt er im Anschluss an dieses Erlebnis den Begriff des flows, der sich auf eine Konfiguration des endlosen Fließens von Bildern und Tönen ohne Anfang und Ende bezieht. Wir sehen nicht eine Sendung, wir sehen Fernsehen. Daher erscheint die Kritik an der heterogenen Mischung aus Stars, großen und kleinen Ereignissen, Politik, Verbrechen, Krankheit naiv, denn sie verkennt, dass die Show von Jauch dem Fernsehen mehr als angemessen ist. Jauch funktioniert auf der Ebene einer Show, die umschaltet, ohne dass wir umschalten müssen. Sie versucht ein Versprechen des Fernsehens zu realisieren, die Welt zu repräsentieren, ihr Fenster auf alle Ereignisse der Welt zu richten. Und sie ist unterhaltsam, wenigstens dann, wenn man mit anderen Menschen zusammen und nicht alleine die Sendung schaut und sich gemeinsam über diese eigenartige, aber genuin televisuelle Repräsentation aufregt. Fernsehen gibt Nahrung für Gespräche, und viel mehr will so eine Show auch nicht erreichen.
Allerdings sind in der Show auch typische Muster einer televisuellen Inszenierung von Ereignissen zu erkennen, ist der Rahmen der Repräsentation in einem solchen Format sehr eng gesteckt: Personalisierung, Dramatisierung, Deutsche, RTL. Ereignisse sind hier immer Ereignisse, die eine bestimmte Person erlebt hat, am besten ein Deutscher. Ebenso ist zu erkennen, dass die Welt für diese Show die Welt von RTL ist, was das Auftreten von Maite Kelly, Gaby Köster und dem einsamen Klitschkobruder erklärt. Was auffällt und irritiert sind alle Themen, die nicht gezeigt wurden – wo ist die Revolution in Tunesien, Ägypten und Libyen? Wo sind die in diesem Jahr aufgedeckten Neo-Nazimorde? Die ganze Welt, die das Fernsehen verspricht zu zeigen, ist eben nicht die ganze Welt, sondern eine vom Fernsehen konstruierte Welt. Die Gäste bieten weitestgehend nur Material für die Imitation von Welt, daher ist es auch nicht von Interesse, wie fahrig Jauch die Gespräche führt und wie wenig Ertrag dabei herauskommt. Denn die Sendung versucht zu vermeiden, was Fernsehen auch auszeichnen kann, die Unterbrechung des Flows, die Irritation der Dauerrepräsentation durch ein Ereignis, das in einer Sendung, die sich selbst als Ereignis versteht, keinen Platz hat (auch wenn die Sendung das so überaus überraschende Ereignis bietet, dass Jauch doch nicht Moderator von Wetten Dass werden will).
Einige Unterbrechungen gibt es aber dennoch: Gaby Köster, die als Gaby Köster und nicht als eine dem Fernsehen gänzlich angepasste Figur auftritt, sich lässig im Sitz zurücklehnt und Fernsehen Fernsehen sein lässt. Oder auch der kleine Moment, in denen sich Jauch der unbequemen, hässlichen Schuhe Gottschalks entledigt und das Ende der Show in Strümpfen moderiert. Aber auch die peinlichen Momente, wenn Jauch zu den vielen uninteressanten Menschen keine interessanten Fragen mehr einfallen, oder wenn sichtbar wird, dass die traumatisierten Menschen doch nicht in das Format passen und eine Wirklichkeit ins Spiel bringen, mit der die Show nicht zurechtkommt, die nicht repräsentiert werden kann. Immer dann wird die verrinnende Zeit einer Show angehalten, entsteht ein kleiner Bruch in der Dauerrepräsentation dieser Show. Wir sind hungrig nach den kleinen Irritationen und Ereignissen des Alltags des Fernsehens, und daher ist dies auch ein Grund, warum wir Fernsehen oder solche Shows sehen.

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