TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Freitag, 22. Oktober 2010

Rach – zwischen Kochlehrer und Sozialarbeiter


von Markus Schnagl

Er feierte ja schon quotenreichen Erfolge als “Restauranttester”, der von RTL wiederum angeheuerte telegene Sternekoch Christian Rach. Bereits als “Tester” bestand seine Tätigkeit nicht nur in der Qualitätsbemessung kulinarischer Erzeugnisse verschiedener verkrachter Wirtsleute, sondern vielmehr bot er den oft sehr weit unten angelangten Gastronomen umfassende Lebenshilfe und Konzepte für einen Neuanfang. Eine nächste Staffel von “Rach” startet Anfang des nächsten Jahres.
Mit einem neuen Doku-Soap Konzept im deutschen Fernsehen begibt sich Rach auf ein für ihn selbst sogar etwas risikoreiches Terrain: In “Rachs Restaurantschule” will der mit einem Michelinstern zertifizierte Kochprofi zwölf gestrandeten Existenzen die Aussicht auf einen Job in einem mit den Kandidaten neu gestalteten Gourmet-Tempel ermöglichen.

Auch dieses Format ist keine absolute Innovation, denn es wurde aufgrund mangelnder Eigenkreativität der deutschen TV-Produktionsstätten, wie die meisten anderen bewährten Formate, von auswärts importiert. Schon 2002 eröffnete der sozial engagierte britische Kultkoch Jamie Oliver in London das Restaurant “Fifteen”. Damals schon konnten die Engländer im Fernsehen mitverfolgen, wie schwer vermittelbare Jugendliche das Kochhandwerk erlernen durften.

Der deutsche Küchenchef sieht ein gewisses Wagnis in seiner Variante dieses TV-Projekts, weil ein Scheitern seinem Ruf und möglicherweise auch seinem Geldbeutel schaden könnte. Als Unternehmer wird Rach nämlich sämtliche Kosten für die Restauration des Hauses sowie die kompletten Ausbildungskosten nebst ganz passablen Entlohnungen seiner Schützlinge alleine tragen. Doch schon jetzt, da noch nicht alle Sendungen ausgestrahlt wurden, darf der Zuschauer getrost davon ausgehen, dass Rachs Konzept schließlich aufgehen wird, bzw. schon lange aufgegangen ist, weil bereits ja alle Folgen abgedreht sind und “Slowman”, wie das neue Feinschmeckerlokal im Hamburger Chilehaus getauft wurde, bereits in Betrieb und sogar die Website dazu online ist. Wer den achtwöchigen Chrashkurs der Kochkunst schließlich erfolgreich absolvierte, wird auf der Homepage noch nicht preisgegeben. Ein hoffnungsfroher Klick auf den Menüpunkt “Das Team” gibt keine Informationen zum Thema. “Kommen Sie vorbei und lernen Sie uns persönlich kennen” vertröstet den Besucher des Internetauftritts wohl auf den Zeitpunkt des Endes der letzten Sendung, denn ab da werden dann sicher die übrig gebliebenen Gastro-Azubis in Wort und Bild auf prominenter Webpräsenz zu finden sein.
Vorher allerdings muss noch viel Dramatik fürs Fernsehen erzeugt werden. RTL strahlt die gesamte Reality-Doku in acht Folgen aus, die am 30. August mit einer beachtlichen Quote von 4,54 Millionen Zuschauer startete. Der ehemalige Philosophie- und Mathematik-Student und jetzige Inhaber mehrerer erstklassiger Edeltavernen, Christian Rach, wählte aus unzähligen Bewerbungen zwölf möglichst unterschiedliche Kandidaten im Alter von 17 bis 44 vornehmlich aus dem abgehängten Prekariat, denen er binnen acht Wochen eine Einführung in die tägliche Arbeit eines Gastronoms bietet.
Allen Bewerbern gemein ist eine bislang perspektivenlose Zukunft. Als Unternehmer sieht sich Rach in der Pflicht, auf sozialer Ebene tätig zu werden, um dem Arbeitsamt somit unter die Arme zu greifen, insbesondere aussichtslosen Fällen die Chance zu geben, im Berufsleben Fuß zu fassen. Weder Rach noch der Zuschauer erwarten dabei freilich ehrgeizige und tadellose Schüler, die ihre Aufgaben mit Fleiß und Gewissenhaftigkeit auftragsgemäß erledigen. Vielmehr will sich der casting- und realitiy-soap-erfahrene Tele-Voyeur an scheiternden Einzelschicksalen weiden. Vorangegangene Trailer und Beiträge beispielsweise im “Punkt 12”-Magazin des Senders lassen bereits auf eine hohe Vorführ-Quote hoffen.
In den Folgen selbst werden die Protagonisten in eingestreuten Reportagen einzeln vorgestellt. Vom souveränen Ex-Knacki und unzuverlässigen Türsteher bis zur überambitionierten Teddy-Sammlerin mit Loser-Instinkt findet der interessierte Betrachter einige interessante Charaktere mit hohem Entwicklungspotential. Ob hier alle Aspiranten das Handwerk des Kochs oder die Leistungen im Restaurant-Service bei ihrer Bewerbung als berufliches Traumziel vor Augen hatten, sei dahin gestellt. Die übergewichtige Rena beispielsweise verwöhnte ihren Gaumen bisweilen kaum mit selbst fabrizierten kulinarischen Leckereien, sondern vielmehr mit eintönigem Toast. Tim dagegen erlernte hinter Gittern bereits eine solide Basis für seinen künftigen Beruf. Anscheinend ist alleine er erwachsen genug, diese Chance auf einen guten Job und damit resultierenden Wohlstand wirklich erfolgreich beim Schopf zu packen, was ihm aufgrund seines Vorlebens ohne das Medium Fernsehen wohl kaum gelänge. Auch diese Entwicklung sieht der Zuschauer mit Wohlwollen, selbst wenn er aus redaktioneller Sicht dadurch nicht mehr so sehr in den Fokus der Kamera rückt.
Im Zentrum des Geschehens stehen mehr die Sorgenkinder, die Rach mit bewundernswertem pädagogischen Geschick und ohne überspannte Autorität versucht, grundlegende soziale Kompetenzen zu vermitteln. Didaktisch durchaus konzeptioniert führt er seine Schützlinge beispielsweise in Exkursionen zu einer Fischerei an die See und zu einer Schlachterei, damit sie für ihre zu verarbeitenden Produkte sensibilisiert werden. Als Lehrherr fordert er strikt die Tugenden der Pünktlichkeit und Leidenschaft, was gerade bei diesen ausgewählten Azubis zwangsweise zu Komplikationen führen muss. RTL bzw. die Produktionsfirma Eyeworks setzt die daraus resultierenden Dramen auf bewährte Weise in Szene: düsteres Hintergrundgeplänkel und überspitzte Kommentare aus dem Off sorgen für Spannung, wenn die Hauptdarsteller bei einfachen Aufgaben versagen.
“Wer nicht spurt - fliegt”. Selbst wenn die Sendung nicht als übliches Casting-Modell nach dem Zehn-Kleine-Negerlein-Prinzip gesehen werden kann, lässt Rach keinen Zweifel daran, dass er einzelne Job-Bewerber, die wiederholt durch Missachtung seiner Anweisungen auffällig werden, nach Hause schicken wird. Diese Drohung wurde für eine Teilnehmerin bereits zur bitteren Realität. Überraschenderweise nicht etwa der mehrfach abgemahnte Wackelkandidat Colin, der offenbar die pünktliche Präsenz am Arbeitsplatz nicht zu seinen Stärken zählt, sondern das jüngste Mitglied der Gruppe, die 17jährige Jennifer war aus der Sicht des Gourmet-Kochs noch nicht angemessen für dieses Projekt gereift. Treffend dramaturgisch als zielgruppenaffinen Emotionstransfer mit vielen Tränen des Abschieds inszeniert wurde das Mädchen schließlich in ihre Heimat entlassen. Interessant dabei wirken die Dialoge nicht wie in vielen anderen Pseudo-Reality-Formaten dilettantisch nachgespielt, sondern authentisch und plausibel.
Auch die oft in Castings gern forcierten kleinen Liebeleien und Rangeleien innerhalb der Gruppe werden unerwartet wenig beleuchtet, was der Sendung sogar eine gewisse Seriosität verleiht.
Es bleibt abzuwarten, ob in den folgenden Sendungen noch einige Helden die Gruppe verlassen müssen. Rach jedenfalls ließ den Schluss offen, nachdem er zuletzt wieder die Bildungsresistenz seiner Schüler beklagte und sogar ein Scheitern des Projekts in Betracht zog. Doch der geübte Fernsehkonsument weiß natürlich, dass dieser Cliffhanger für erneute Quoten sorgen soll, denn wer wissen will, ob das Projekt denn wirklich scheitert oder vielleicht doch zu einem glücklichen Ende oder besser formuliert für die Beteiligten zu einem glücklichen Start in eine erfolgsversprechende Berufskarriere führt, ist zwangsweise genötigt, wieder am Montag um 21:15 Uhr RTL einzuschalten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen