TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 4. April 2012

"Histotainment": Eine Zeitmaschine..oder auch nicht?!

von Carolin Löprich 
Wer wäre nicht gerne mal ein Bauer im Jahre 1902, eine Hofdame im Mittelalter oder der Zögling einer Eliteschule um 1950? Im Jahre 2002 machte das ZDF diesen Traum mit der historischen Doku-Soap „Das Schwarzwaldhaus 1902“ erstmals für eine Familie aus Berlin möglich und eröffnete gleichzeitig die Ära des „Histotainments“.
Generell geht es in historischen Doku-Soaps darum, Menschen der Jetztzeit in die Vergangenheit zu versetzten und ihnen vom heimischen Sofa aus dabei zuzusehen, wie sie ihren Alltag ohne Handys, Autos oder fließend Wasser meistern. Aufgrund der hohen Einschaltquoten des Vorreiters „Schwarzwaldhaus 1902“ wurden schnell neue Formate erfunden, so zum Beispiel „Die harte Schule der 50er Jahre“, in der junge Menschen auf einem Schlossinternat im Stil der 1950er Jahre leben und lernen müssen.
Aber wer nimmt an einem solchen Projekt teil?

Die Darsteller der historischen Doku-Soaps gehören allen Altersklassen und Berufsschichten an. Ebenso gleich verteilt sind die Rollen an Männer und Frauen, sowie Ost-und Westdeutsche. Sie haben in der Regel kaum Vorkenntnisse zum eröffneten Zeitraum und müssen deshalb intuitiv handeln. Der Zuschauer am heimischen Bildschirm kann sich sehr gut mit ihnen identifizieren und die Vergangenheit miterleben.

Doch in wie weit spiegeln die Soaps überhaupt die Vergangenheit wieder?
Historische Doku-Soaps basieren meist auf einem vagen Drehbuch, das zwar die grobe Handlung vorgibt (z.B. Tag 1: Kartoffelernte), den Darstellern aber viel Raum für eigene Darbietungen lässt. Durch die für die Schauspiellaien gewöhnungsbedürftigen Situationen kommt es somit häufig zu Gefühlsausbrüchen, welche die Dramatik steigern und beim Zuschauer bloßes Mitleid hervorrufen. Es gilt sich an neue Kleidung zu gewöhnen, an harte körperliche Arbeit und an für uns unvorstellbare hygienische Umstände. Natürlich werden die Kulissen von den Produzenten solcher Sendungen dem eröffnetem Zeitraum getreu nachgestellt. Der Zuschauer lernt so auf eine interessante Weise die Umstände kennen. Eine gelungene Einführung, die der schulische Geschichtsunterricht kaum bieten kann. Anzumerken bleibt allerdings, dass die Akteure auf Grund ihrer Erziehung in einer völlig anders strukturierten Gesellschaft immer nur aus der heutigen Perspektive handeln können. Somit offenbaren sich gewisse Peinlichkeitsschwellen, die sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte entwickelt haben. Ein Bauer zu Beginn des 20. Jahrhunderts hätte sich beispielsweise kaum dafür geschämt auf ein Plumpsklo ohne Sichtschutz zu gehen, während der Rest der Familie sich in unmittelbarer Nähe aufhält. In diesem Sinne können wir also nicht wirklich von virtuellem Geschichtsunterricht sprechen, da wir das Dargebotene nur mit unseren zeitgenössischen Augen und Weltansichten betrachten und bewerten können. Auch die Beziehung zwischen Mensch und Tier wird für den Zuschauer völlig neu belichtet. Der Zuschauer entwickelt eine Sympathie für den dargebotenen „naturnahen“ Menschen, man neigt gar dazu, sich zurück zu wünschen in eine Zeit ohne Stress, in der man zwar in eine Rolle hineingeboren wird, dennoch aber zumindest stets seinen eigenen Platz in der Gesellschaft kennt. Und ganz plötzlich erscheint uns die Vergangenheit exotisch und romantisch.

Die alles überschattende Frage bleibt jedoch schließlich: Lernt man nun über die Vergangenheit, oder nicht? Grundsätzlich können historische Doku-Soaps eine Vielzahl an interessanten Informationen über den jeweils eröffneten Zeitraum bieten. Somit servieren sie dem Zuschauer immer wieder den ersehnten „Aha- Effekt“. Leider wird sich aber nicht eingehender mit der Thematik beschäftigt, viel zu oft richtet sich die Kamera auf nebensächliche Streitereien oder Wutattacken der Protagonisten. Somit erscheint sie als Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Doch so sehr die Regisseure, Maskenbildner und Mitarbeiter  der historischen Doku-Soaps auch versuchen, die Vergangenheit und ihre Geschehnisse realistisch und wahrheitsgetreu darzustellen, ein Hauch von Inszenierung bleibt immer erhalten, sodass die Handlung eher fiktiv und unrealistisch wirkt. Zudem wird in diesen Soaps meist mit Hierarchien und starrer Trennung zwischen Mann und Frau gearbeitet, in wie weit diese aber realistisch sind, lässt sich für den einfachen Zuschauer daheim schwer festmachen und so entsteht das Risiko der Vermischung von „echter“ Vergangenheit und Fiktion.

Wir halten also fest: Historische Doku-Soaps sind durchaus unterhaltsam, spielen jedoch mit Klischees und Stereotypen und zeigen uns eigentlich nur die Vergangenheit, wie wir sie bereits kennen. Natürlich ließen nach dem Überraschungserfolg des „Schwarzwaldhaus 1902“ und dessen folgende Auszeichnung durch den Grimme-Preis die Nachfolgeproduktionen nicht lange auf sich warten. 2004 strahlte Pro7 erstmals die Reality-Show „Die Alm“ aus, in der sich deutsche C-Promis einem Almleben wie vor 100 Jahren aussetzten. Ob man das Ganze nun als amüsant oder gar lächerlich betrachtet, bleibt wohl eine Einstellungsfrage, die jeder Zuschauer für dich selbst entscheiden muss. Die Einschaltquoten gaben den Produzenten jedoch Recht.

Abschließend bleibt festzustellen, dass historische Doku-Soaps in ihrer enormen Vielzahl unterhaltsam, aber wenig aufschlussreich sind. Sie bieten trotzdem eine gelungene Unterhaltung, sofern man sich nicht zu sehr auf eine „Reise in die Vergangenheit“ versteift.

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