von Caroline Struzina

Deutschland ist verrückt nach
Lena Meyer-Landrut. Nach ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest verschiebt die
ARD Anne Wills Talk für eine Lena Spezialsendung, die Magazine auf ZDF kennen
nur noch ein Thema, ProSieben ist ja sowieso ihr „Haussender“ und noch nicht
mal RTL hat was zu meckern. Tausende jubeln ihr in Hannover zu, als sie aus dem
Flieger steigt; ihre Rückkehr wird natürlich von mehreren Sendern live
übertragen. Dabei hat sie nur den Wettbewerb gewonnen von dem die meisten ihrer
Fans Anfang des Jahres noch nicht einmal wussten, dass er existiert: den
Eurovision Song Contest.
Dabei ist das wirklich eine sehenswerte Veranstaltung. Aus ganz Europa treffen sich Sänger und andere Gestalten und zeigen, was ihr Land musikalisch gerade toll findet. Meistens sind es Lieder über Liebe, manchmal sogar in Landessprache. Das klingt auf Portugiesisch natürlich besser als das holländische „Ik ben verliefd“, was auch der Grund dafür sein dürfte, dass die Niederländer schon vor dem eigentlichen Finale nach Hause fahren mussten. Die ARD überträgt Jahr für Jahr, wie Osteuropäer meist aufwendig inszenierte, trashige Bühnenshows mit viel Tanz und wenig Gesang ins Rennen schicken und Deutschland einen Fremdschäm-Auftritt nach dem anderen abliefert. Danach wird traditionell darüber gejammert, dass sich bestimmte Staaten Punkte zuschachern und uns keiner mag. Aber dieses Mal kam Lena, sang, zappelte und gewann. Und Deutschland liegt ihr zu Füßen. Wir gewinnen eben gerne, weil man sich dann offiziell freuen darf deutsch zu sein. Welchen Sieg man gerade feiert, ist eigentlich zweitrangig. Gegen Lena kommt aber noch nicht mal die deutsche Nationalmannschaft an: zwei Pressekonferenzen zur selben Zeit, drei Nachrichtensender und nur einer entscheidet sich für Deutschlands Fußballhelden. 2:1 für Lena. ntv beeilt sich aber und sendet gleich nach der PK mit Philip Lahm das x-te „Lena Special“ an diesem Tag. Denn außer dass sie aus Hannover kommt, 19 Jahre alt ist und gerade ihr Abi gemacht hat weiß man ja so wenig über sie, leitet der Moderator die 20-minütige Sondersendung ein. Viel mehr weiß man danach aber auch nicht. Außer vielleicht, dass ihr ehemaliger Schulleiter in ihr eine „Mischung aus Pipi Langstrumpf und Helge Schneider“ sieht. Lena wird zum Allheilmittel auserkoren; sie soll uns aus der Krise führen, das Image aufpolieren und am besten noch dem Jogi beim Weltmeister werden helfen. „Lena kann auch übers Wasser gehen. Wir können das am Rhein gleich mal ausprobieren“, kontert Mentor Stefan Raab die abstrusen Vorschläge einiger Journalisten.
Man mag Lena oder man mag sie
nicht. Ein dazwischen gibt es nicht. Sie ist überdreht und frech, irgendwie
merkwürdig und über ihre Art zu Tanzen würde ich mich bei jedem anderen lustig
machen. Vor allem aber ist sie nicht wie alle anderen Castingsternchen. Um die
Zeitungs- und Fernsehberichte kommt man nicht drum herum, Lena ist immer auf
irgendeinem Sender präsent und ich wundere mich über mich selber, dass ich noch
nicht genervt von ihr bin. Aber es tut einfach gut, mal jemanden zu sehen, der
sich selbst und den Rummel um seine Person nicht so ernst nimmt. Lena ist ein
Naturtalent vor der Kamera und muss sich nicht mit ihrem Privatleben im
Gespräch halten. Sie war noch nicht im Knast, hat keine Kinder mit Verwandten,
wird nicht von ominösen Möchtegern-Choreographen zum Heulen gebracht und tut
auch nicht alles, um am Ende der Woche ein Foto zu bekommen. Jedenfalls wissen
wir nichts davon - und zumindest dafür muss man sie lieben.
Der Hype um Lena Meyer-Landrut hatte gerade den Siedepunkt erreicht, als Horst Köhler ihr den Gefallen tat, von seinem Amt zurückzutreten. Die Boulevardmedien streiten seitdem um „Germanys Next President“und die ARD hatte genug Material für einen neuen Brennpunkt.
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