TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 29. Januar 2015

Alpenpanorama: Die Ränder des Fernsehens

von Herbert Schwaab
 
In einem Artikel der Zeitung Standard vom 7.Dezember 2014 wird die Beliebtheit des sogenannten 'slow tv' in Norwegen angesprochen. Dabei handelt es sich um das 'entschleunigte' Programme, das zur Nachtzeit oder am Morgen gesendet wird, etwa endlose Bahnfahrten aus Sicht der Führerkabine oder flackernde Kaminfeuer. Zu den Programmen, das die norwegischen Zuschauer des Senders NRK besonders begeistert habe, gehöre unter anderem die Stricknacht, die das Stricken eines Pullovers von der Schafschur bis zur Vollendung begleitete, oder ein Programm, dass ein Blaumeisenpaar bei Brutvorgang und Aufzucht der Vögelkinder zeigt, in einem Nest, das wie ein menschliches Miniaturwohnzimmer eingerichtet ist. Die Vermutungen, die Doris Priesching in dem Artikel über den Grund für die Beliebtheit dieser gar nicht mal so unaufwendigen Programme nennt, gehen in Richtung einer Sehnsucht des Zuschauers nach Ruhepunkten in einem von einer hektischen Fernsehästhetik geprägten Programm. Auch auf den Seiten dieses Blogs wurde über die Faszination für die seit Jahren ausgestrahlten Anleitungen des schon lange verstorbenen Malers Bob Ross geschrieben.  
Dieser Artikel will auf ein Programm verweisen, das solche Ruhepunkte bietet: Wenn ich ausnahmsweise bereits am Morgen den Fernseher anschalte, bleibe ich immer hocherfreut am Alpenpanorama des Senders 3Sat hängen, der die Webcambilder von Skigebieten überträgt. 


Bei schlechtem Wetter ist nur Schnee, Nebel und eine einsam durch das Bild laufende und bald im Nebel verschwindende Gondel einer Aufstiegshilfe zu sehen, traurig hängen ein paar Tropfen geschmolzenen Schnees auf dem Bildschirm. Die Kamera schwenkt gemächlich das häufig unsichtbare Panorama der Übertragungspunkte ab. Informationen, die Auskunft über den Ort, die Höhe, die Temperatur geben, sind am unteren Bildrand zu erkennen. Da das Programm von 7h30 bis 9h läuft,  handelt es sich um eine unheimliche Welt ohne Menschen. Traditionelle, erträgliche, langsame Volksmusik, mit Zither, Bläsern und Akkordeon erinnert daran, dass es einmal ein Skifahren als edlen Sport ohne Alkoholexzesse und stumpfen Schlagertechno gegeben hat. 
Auch wenn es sich hier um das langsamste Fernsehen handelt, das sich vorstellen lässt, es gibt dennoch einigen Eigenschaften Bedeutung, die das Programm auszeichnen : die Liveness, Überwachung und die Bindung an einen auch von Ereignislosigkeit bestimmten Alltag. Es illustriert die Tatsache, dass uns häufig genug Fernsehen, etwa bei Fußballübertragungen, gerade deswegen fasziniert, weil nichts passiert. Ihre Wirkung entfalten diese Programme aber auch, weil in anderen Programmen zu viel oder mehr geschieht und sie daher herausgehoben sind aus der Masse der Angebote. In dem Wechsel von dem einen Alpenort zum Anderen zeigt es uns jeden Tag von Neuem, dass die Welt, zumindest in den Alpen, noch da ist, aber es zeigt uns auch eine von Menschen, die nur schemenhaft zu erkennen sind, befreite Welt. Die Tatsache, dass ein YouTube-Clip von einem Alpenpanorama  (wie in dem Clip, der den Beitrag illustriert) sich nicht wesentlich von dem morgendlichen Live-Programm unterscheidet, scheint nicht zu verhindern, dass sich dem Programm der Live- und Überwachungscharakter immer wieder einschreibt. Allerdings stellt sich die Frage, was das für Menschen sind, die 90 Minuten Panorama auf YouTube hochladen (als wäre das Panorama vom 2.12.2012 wesentlich besser als das vom 15.1.2015.)
Die Faszination für die Randgebiete des Fernsehens erklärt sich vielleicht daraus, dass hier das Fernsehen als Medium zu sich selbst kommt und wir erkennen, dass Übertragen oder Zappen oder die Stillstellung des Zuschauers durch meditative Inhalte des Fernsehens  etwas anderes ist, als aufgeregt und engagiert Inhalte im Netz aufzurufen.Tatsächlich sind es aber für mich auch die Skigebiete, die Skilifte, Gondeln, die Gipfelhäuser, Schneehöhen und andere Bildinhalte, die mich am Alpenpanorama besonders interessieren. Der Reiz hat viel mit dem eigentümlich in die Natur gebauten und dieses zähmenden Areal des hochtechnologisierten Skigebietes zu tun, das mit Skikanonen gebaute Natur zu schaffen vermag. Aber auch eine Ästhetik der automatisierten Kamera, die zum Teil unmenschliche Bewegungen vollzieht und dem mechanischen Schwenk interessante Richtungswechsel gibt. Allerdings hat diese nicht-menschliche Kamera auch etwas kreatürliches und rührendes: Manchmal scheint es so, als suchte sie etwas, sie fokussiert ferne Gegenstände am Berghorizont, um dann wieder in das redundante Schwenken zurückzuschwenken. Vielleicht sucht sie die anderen Kameras, die emsig von der Skiwelt berichten, und vielleicht teilen wir ja die große Trauer der festinstallierten Überwachungskameras, die alles sehen, aber sich selbst und ihre Artgenossen niemals sehen werden: Es mag sie in manchen Fällen nur ein Berg als Grenze zu einem anderen Skigebiet trennen, in manch anderen Fällen trennt sie hunderte von Kilometer, die durch simples Umschalten zur nächsten Kamera überbrückt werden. Aber egal wie groß die Distanz ist, sie sind dazu verdammt, immer allein zu sein. 

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