TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 15. Januar 2015

Der Verfall von Wer wird Millionär

von Anastasia Hartleib 

Als ich mich am Montag, dem 05.01.2015, durch das abendliche Fernsehprogramm zappte, verzweifelt auf der Suche nach einer Abendgestaltung, blieb ich in nostalgisch-erfreuter Stimmung an RTL hängen. Dort sollte um 20.15 Uhr Wer wird Millionär starten. Als eher sporadischer Fernseher bin ich mit dem Programmablauf von RTL nicht so bekannt und freute mich daher, eher zufällig eingeschaltet und die Sendezeit der Show getroffen zu haben. Jedes Mal, wenn ich den Showtitel lese, erinnere ich mich an gemeinsame Fernsehabende mit meinen Eltern, an denen wir gemütlich auf der Couch saßen und miträtselten, mit sympathischen Kandidaten mitfieberten und uns gemeinsam mit dem Moderator Günther Jauch über auf dem Schlauch stehende Millionenanwärter amüsierten.

Dementsprechend erfreut erwartete ich einen entspannten Fernsehabend mit einer Show, die mich gut unterhalten würde. Meine Freude wandelte sich jedoch in ein ‚Oh nein‘-Gefühl, als ich den Untertitel las – „Das Chef & Angestellten Special“. Mich erschlich eine Vorahnung, die sich leider bewahrheitete. Meine unterhaltsame Mitrate-Show mutierte zu einer Werbesendung in Spielfilmlänge. Auf dem Kandidatenstuhl saßen diesmal 3 Teams, bestehend aus einer Angestellten und dem Chef eines großen deutschen Unternehmens, namentlich Frosta, Bauer und Deichmann. Die Chefs und die (durchgehend weiblichen) Angestellten spielten zusammen um die Million, wobei Letztere das erspielte Geld behalten dürfen. Der Chef hilft nur. Eigentlich ein ganz nettes Konzept. Eigentlich. Wäre da nicht die Umsetzung. 
Vorgestellt werden die Kandidaten in ca. 3-minütigen Einspielern, in denen man in gefühlt jeder Einstellung das Firmenlogo sieht und man den Eindruck bekommt, der Werbeblock hätte noch gar nicht aufgehört. Doch fangen wir von vorne an. Die ersten Kandidaten kommen vom Tiefkühlunternehmen Frosta, der Produktionschef Jürgen Marggraf und die „Schlüsselkraft“ Daniela Wilking, 27. Der Chef überbringt die freudige Botschaft und der Kommentator erklärt, dass Frau Wilking nach geplatzter einjähriger Ehe nun allein dastehe und versucht den Kredit fürs Haus selbst abzubezahlen. Soweit ist die Auswahl der Kandidatin nachvollziehbar. Auf dem Stuhl schlägt sie sich ganz tapfer, während ihr Chef daneben sitzt und nickt. Das Frosta-Team scheitert an der 8.000€-Frage und fällt somit auf 500€ zurück. Schade für Frau Wilking. Schlechter Eindruck für Frosta.
Team Zwei ist an der Reihe und kommt aus der Familienmolkerei Bauer. Geschäftsführer Florian Bauer führt uns durch das Unternehmen und erklärt, dass er einen der Auszubildenden auslosen will, der mitkommt. Als Zuschauer stelle ich mir die Frage, was ein so junger Mensch mit einer Million Euro anfangen soll. Ich selbst bin 20 und wäre in dieser Situation, ganz offen gesagt, ziemlich überfragt. Shoppen wahrscheinlich. Oder in den Urlaub fahren. Was man halt so macht, mit 20. Die Kandidatin, die es trifft, Barbara Stettner, hat ganz ähnliche Pläne. Urlaub. Und dann vielleicht irgendwann den Kuhstall der zukünftigen Schwiegereltern umbauen, damit sie und ihr Freund ein eigenes Dach über dem Kopf haben. Nun gut. 
Beim Bauer-Team ergibt sich eine gänzlich andere Situation, als bei den Frosta-Kandidaten zuvor – der Chef gibt die Antworten vor, die Azubine kommentiert mit „Hätt ich jetzt auch gesagt“. So kommen die beiden bis zur 125.000€-Frage. Bei der sind aber alle Joker schon weg und Barbara ist mit 64.000€ voll und ganz zufrieden. Natürlich freue ich mich mit ihr, auch wenn der fade Beigeschmack bleibt, dass es sicher Bauer-Mitarbeiter gibt, die mit dem Geld auch einen Kredit hätten abbezahlen können. Der Chef der Familienmolkerei Florian Bauer hinterlässt aber alles in allem den sympathischsten Eindruck des Abends. 
Der letzte showinterne Werbeblock beginnt. Deichmann-Geschäftsführer Heinrich Deichmann ernennt Corinna Hoschützky als Kandidatin. Sie sei eine sehr wichtige Mitarbeiterin für das Unternehmen, erzählt der Chef. Warum Herr Deichmann ihr dann die erfreuliche Nachricht nicht persönlich überbringen kann, ist allerdings fraglich. Frau Hoschützky erweckt von allen drei Kandidatinnen am ehesten den Eindruck, dass sie auf diesen Stuhl passt. Sicher und souverän beantwortet sie die Fragen bis zur 16.000€-Frage, ab da wird sie unsicher und ihr Chef greift ihr unter die Arme. Jedoch wird man bei Heinrich Deichmann das Gefühl nicht los, dass er ein wenig von oben herab mit seiner Angestellten spricht. Die „bei uns kriegt man die Schuhe aber für einen guten Preis“- Sprüche machen den Eindruck auch nicht wirklich besser. Die beiden gehen ebenfalls mit 64.000€ nach Hause. Von dem erspielten Geld, will Frau Hoschützky mit ihrem Freund in den Urlaub fahren.  
Sobald die Kandidaten auf dem Stuhl sitzen und die ersten Fragen gestellt bekommen, wird deutlich, dass dieses Special einfach nicht ins Format passt. Eine der beiden Personen wirkt irgendwie überflüssig, meistens der Chef. Für Angestellte und Chef ist es irgendwie eine unangenehme Situation, man kennt sich gar nicht richtig, ist aber ein Team und muss aufpassen, was man wie sagt. Schließlich ist man nach der Sendung wieder in der Vorgesetzten-Untergebenen-Hierarchie. Die Kandidatinnen wirken sehr angespannt, wollen sie schließlich ihrem Chef nicht auf die Füße treten. Die Geschäftsführer hingegen dürfen sich ja nicht vor dem gesamten Unternehmen blamieren. Es entsteht eine Situation, in der ich als Zuschauer froh bin, nicht in der Haut der Kandidaten stecken zu müssen und ich mir aus Mitleid mit den Beteiligten wünsche, dass das Ganze bald vorbei ist. 
In der klassischen Form von Wer wird Millionär sitzen Menschen im Stuhl, die sich als Kandidaten beworben haben und ihr Wissen testen möchten. Beim „Chef & Angestellten Special“ werden Leute ins Studio gesetzt, die wohlmöglich noch nie darüber nachgedacht haben, sich bei der Gameshow zu bewerben. Das wirkt sich nachteilig auf das Format aus, da die Sendung sehr oft vom Enthusiasmus der Kandidaten lebt und getragen wird. Wenn dann dort Menschen sitzen, die nur da sind, weil der Chef sie hingeschickt hat und der auch noch daneben sitzt, nun ja. Ein trauriger Fernsehabend geht zu Ende. Nur die Werbung läuft immer noch.  
Wer wird Millionär war seit jeher der FC Bayern unter den Quizshow-Sendungen. Das liegt unter anderem am einfachen Konzept, am Sende(r)platz und an den Kandidaten (man denke an den Herren mit der „Klappe zu, Affe tot“-Frage, ein bis heute populärer Fernsehmoment). Vor allem aber lag und liegt der Erfolg der Show an ihrem Moderator – Günther Jauch. Der etwas schrullig aber kompetent wirkende Mann von nebenan, der oft mehr leidet als die Kandidaten und mit seinem trockenen Humor jeden von der Couch abholt. Einschaltquoten – garantiert. Leider ist das den Leuten von RTL auch aufgefallen und so hat man in den letzten Jahren eine zunehmende Jauch-Präsenz im Abendprogramm feststellen können. Mit immer absurderen Formaten wie 5 gegen Jauch oder Jauch & Gottschalk gegen alle. Eine lästige Eigenart der Unterhaltungsindustrie: wenn etwas funktioniert, geben wir den Leuten so lange so viel davon, bis sie es nicht mehr sehen können. Siehe Dieter Bohlens Castingformate, Castingshows im Allgemeinen oder Daniela Katzenberger. 
Unter der Jauch-Überpräsenz leidet leider auch sein Steckenpferd. Seine Kontersprüche sind nicht mehr so witzig und kommen irgendwie überdreht rüber. Auch überkommt mich das Gefühl, Herr Jauch hat das höchste aller RTL-Prinzipien zu sehr verinnerlicht und es geht ihm mehr um die Bloßstellung der Kandidaten. Wenn auch nicht so deutlich wie bei anderen Formaten, ist für mich doch ein absinkendes Niveau zu konstatieren. Das äußert sich meiner Meinung nach zusätzlich in den zunehmenden „Specials“ der Show. Ein „Prominenten Special“ steht nämlich nicht unbedingt im Zusammenhang mit Qualität. 
Natürlich ist mir bewusst, dass versucht wird, über Zusatzjoker und prominente Gäste neuen Schwung in die Sendung zu bringen und so die Einschaltquoten zu steigern. Für mich jedoch, haben diese Veränderungen dazu geführt, dass ich mich beim Schauen der Sendung nicht mehr wirklich damit identifizieren kann, was ich als äußerst schade erachte. Möglicherweise sieht das restliche Fernsehpublikum das aber ganz anders. Die zukünftigen Einschaltquoten werden es zeigen.   

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