TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 15. Januar 2015

Downton Abbey. Oberschichtenfernsehen

von Herbert Schwaab 

Ich hasse den Adel. Es gibt keine überflüssigere Klasse von Menschen. Sie haben keine Aufgabe und verdienen kein Interesse und es bleibt mir ein Rätsel, dass Menschen sich für ihre Geschichten immer noch interessieren, auch wenn sie, Gott und diversen Revolutionen und Umbrüchen gedankt, heute in den meisten Ländern der Welt keine andere Aufgabe mehr haben, als gegen den Pavillon der Türkei auf Weltausstellungen zu pinkeln, spektakulär zu heiraten und sich ebenso spektakulär scheiden zu lassen. Ich müsste daher eigentlich maßlos irritiert von der Tatsache sein, dass mir die britische Serie Downton Abbey, die derzeit in der fünften Staffel im britischen Fernsehen gezeigt wird, so gut gefällt und ich mir mit großer Freude derzeit die vierte Staffel auf DVD anschaue. Die Irritation löst sich aber auf, wenn ich mir die vielen Gründe vor Augen führe, die erklären, warum mir die Serie so gut gefällt. 


Downton Abbey verfolgt die Geschichte der adeligen Familie Grantham, die auf dem Anwesen Downton Abbey lebt, verknüpft aber diese Geschichte auf sehr komplexe Weise mit den Dienern. Der Earl of Grantham, seine Frau Cora, seine Töchter Mary, Sybil und Edith stehen ebenso im Fokus der Handlung wie die grantige, aber liebevolle Köchin Mrs. Patmore, der überkorrekte und kontrollierte Ober-Butler Mr. Carson oder der elegant, intrigante Thomas Barrow. Das sind nur einige von den mehr als einem Dutzend Figuren, die in der Serie bis heute (neben kleineren Verlusten) eine Rolle spielen. Die Serie schafft es, ihnen allen ihre Bedeutung und Geschichten zu geben, aber auch immer wieder kleinere Überraschungen mit einzubeziehen, die unser Interesse an den Figuren am Leben erhalten. Das Interesse an möglichst vielen Figuren zu erhalten ist ein Ziel des seriellen Fernsehens und einem Quality-Television Format wie diesem, aber tatsächlich gelingt es selten so gut wie in Downton Abbey. Diese egalitär verteilte Aufmerksamkeit ist im Kontrast zu einer Klassengesellschaft und der immensen sozialen Unterschiede, die die Serie zum Gegenstand hat, vielleicht ein Grund dafür, warum sie mir und dem Publikum gefällt. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass Downton Abbey auf vielen Ebenen, trotz vieler Intrigen, Harmonie zu erzeugen versucht: Die Adeligen kümmern sich um die Diener, und die Diener scheren sich um das Schicksal ihrer Herren und Damen. Auf der Ebene der Beziehungen scheinen soziale Unterschiede keine Rolle mehr zu spielen. Ebenso fällt es der Serie (was natürlich auch ein Aspekt des Seriellen ist) äußerst schwer, eine Figur aus dem Serienuniversum herausfallen zu lassen: Sie muss schon sterben, um nicht wiederzukehren. So macht die Serie ständig den Versuch, den intriganten und eigentlich bösen Thomas Bates aus Downton Abbey zu verbannen, aber immer wieder findet sich ein Grund, ihn trotz aller seiner Verfehlungen wieder einzustellen. 
Downton Abbey ist wie ein Asyl von dieser Welt, in dem jede Figur, so böse sie auch sein mag, eine wohlige Heimstatt findet, und natürlich gewinnt man auch eine Figur wie Thomas Barrow irgendwann einmal lieb. Das hat aber auch mit einer anderen Stärke der Serie zu tun: So theatralisch und melodramatisch sie manchmal zu werden scheint, in der Darstellung der Homosexualität von Thomas Barrow, aber auch in der Darstellung der Unterdrückung der weiblichen Figuren oder der Andeutung der sozialen Verhältnissen, die vielen der Figuren der Dienerschaft dazu zwingen, in dem Haushalt zu arbeiten, ist sie sehr realistisch und schafft ein (ehrliches) Gefühl für Ausgrenzung und Ungerechtigkeit. Der Serie gelingt es also ebenso, ein verlockendes (aber eher falsches) Bild von Harmonie zu erzeugen, den Augenschein einer überaus geordneten Welt, die trotz der sozialen Unterschiede gegenseitigen Austausch und Anerkennung ermöglicht, als auch ein (zugegeben eher vages) Verständnis für die ökononischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu schaffen, die in dieser Zeit herrschen.
Ein weiterer Grund für die Faszination für die Serie mag in einer liebevollen, detailreichen Rekonstruktion der Ären liegen, die in Downton Abbey vorgeführt werden. Bisher spannt die Serie einen Bogen von der Zeit vor dem ersten Weltkrieg bis in die 1920er Jahre und zeigt dabei auch sehr deutlich, wie sich Bedeutung und Stellung des Adels verändern: Ein Inhalt der Serie ist tatsächlich auch so etwas wie eine Auseinandersetzung damit, wie der Earl of Grantham und seine Familie verzweifelt versuchen, ihre Welt, ihr Anwesen und damit auch die Serie am Leben zu erhalten, trotz des immensen Bedeutungsverlustes, den der Adel in dieser Zeit zu erleben hatte. Sie dokumentiert, äußerst zurückhaltend, auch so etwas wie einen Zerfallsprozess, und nur wunderbare Fügungen des Schicksals verhindern, dass diese Welt kollabiert: Die Entourage muss verkleinert werden, aber die Welt bleibt erhalten. Der Detailreichtum dieser Serie zeigt sich auch in den prachtvollen Dekors und einem auch manchmal unwirklich wirkenden Hyperrealismus des seriellen Historiendramas, in der wunderbaren Aussprache und Intonation der Figuren, die ein eigenartig, theatralisches Englisch sprechen, der vielen neuen Wörter, die man lernen kann. Ich habe das Gefühl, dass der Schaden, der in meiner Schulzeit von dem grauenvollen Englisch meiner Lehrerinnen und Lehrern angerichtet wurde, langsam wieder gut gemacht wird durch den wunderbaren und bedeutungsvollen Klang der Worte der Figuren von Downton Abbey
Die Serie schafft also ein Wissen über die Zeit, sie inszeniert eine Vielzahl von Geheimnissen, spinnt komplexe Intrigen, sorgt aber auch dafür, dass die Intrigen nicht das simple Interesse für die Figuren selbst überdeckt. Sie inszeniert einen geschlossenen Kosmos, der auf die Ereignisse in der Welt verweist (im ersten Weltkrieg wird beispielsweise Downton Abbey kurzzeitig in ein Lazarett verwandelt), und, das ist der wichtigste Aspekt, sie zeigt eine harmonische Welt des Ausgleichs, der wechselseitigen Kommunikation und der Fürsorge. Offensichtlich besteht 'in unseren heutigen Zeit' ein Bedürfnis danach, dieses Versprechen einer fast bizarren Form von Egalität vermittelt zu bekommen und dadurch zu lernen, den Adel zu lieben. 
Ich möchte hier aber auch etwas Kritik an der Serie üben: Die Backstorys, die um die Geheimnisse der Figuren kreisen, sind gelegentlich allzu melodramatisch und beginnen zu nerven (einmal ertappte ich mich dabei, der eigentlich rührenden und aufrichtigen Figur des Kammerdiener Bates, der zum Opfer eines Justizirrtums zu werden drohte, tatsächlich den ihm zugeschriebenen Mord zuzutrauen, als die endlos ausgedehnte Geschichte anfing, mich hochgradig zu nerven). Die großen Geheimnisse interessieren weitaus weniger als die vielen kleinen und häufig auch komischen Details in der Erkundung der Psychologie der Figuren. Ebenso stört mich auch Downton Abbeys Hyperrealismus. Ich nenne es deswegen Hyperrealismus, weil der Rekonstruktion dieser Zeit nicht wirklich ein Interesse für eine Korrespondenz mit der Historie zugrunde liegt, sondern sie die eigentliche Attraktion der Serie darstellt. Sie sieht besser aus als die Wirklichkeit. Ich stelle dies deswegen heraus, weil die Serie ein eigenartiger Wiedergänger einer anderen Serie ist, die auf ganz andere und keinesfalls weniger realistische Weise diese Zeit und diese Verhältnisse porträtiert hat. Downton Abbey kann tatsächlich als ein Remake der Anfang der 1970er Jahre produzierten Serie Upstairs, Downstairs (Das Haus am Eaton Place) betrachtet werden. Auch in dieser Serie ging es um die Darstellung eines Anwesens (hier in London angesiedelt), des dort lebenden Adels und seiner Dienerschaft, die beide sehr genau porträtiert werden. 
Ich erinnere mich an die Serie, die ich in den späten 1970er Jahren gesehen habe, als eine graue, schwerfällige, theatralische Serie. Und tatsächlich trügt mich dieser Eindruck bei Begutachtung der Serie auf YouTube nicht: Sie ist äußerst theaterhaft gedreht, zwar in Farbe, aber durch eine sehr matte, undramatische Lichtsetzung und ebenso matte Farbtöne gekennzeichnet, und auch der Duktus der Stimmen ist im Original und selbst in der Synchronisation sehr theaterhaft. Es könnte sich kein größerer Unterschied zwischen Downton Abbey und dem billigen, aber dennoch detailgetreuen Dekor von Upstairs Downstairs vorstellen. Die Ereignisse sind im Gegensatz zu Downton Abbey ausgesprochen undramatisch, es geht wirklich nur um die Darstellung des Alltags der Figuren dieses Hauses, die Interaktion zwischen Adeligen und Dienerschaft wird hier als viel weniger ausgeprägt dargestellt. Aber Upstairs Downstairs gelingt es dadurch viel besser und akkurater diese Zeit zu rekonstruieren, und daran mag auch der offensichtlich theaterhafte und leicht künstliche Charakter der Serie nichts zu ändern: Dieses Nebeneinanderherleben ist ein viel besseres Porträt der realen Verhältnisse in dieser dem englischen Realismus verpflichteten Serie. Downton Abbey bleibt ein Guilty Pleasure, ein Vergnügen, das mit einem Hauch von schlechtem Gewissen verbunden ist, weil mir bewusst ist, dass es eine bestimmte Imagination einer vergangenen Welt vorführt, in die wir die Defizite und enttäuschten Hoffnungen der Gegenwart, unsere Sehnsucht nach Harmonie, Ordnung und Anerkennung projizieren. Es ist mir bewusst, dass ich den Adel nur in dieser realistischen Traumwelt lieben kann und er in dieser Welt überflüssig und nervig bleibt.   

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