TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 8. Januar 2015

Sherlock - Neuauflage eines Kultdetektivs


von Katharina Habler
 
Nikotinpflaster statt Pfeife, Stilikone statt Klischeedetektiv. Was das Erfolgsduo Mark Gatiss und Steven Moffat anpackt, verwandelt sich in der Serienwelt nicht selten zu purem Gold. So auch ihr Neuentwurf der Kultfigur Sherlock Holmes, den die beiden im London des 21. Jahrhunderts  inszenieren. Pointiert, clever, spannend und mit einem Augenzwinkern beleben Moffat und Gatiss die Abenteuer des Detektivs wieder und schinden beim Fernsehpublikum mit einem exquisiten Zusammenspiel aus bildgewaltiger Inszenierung und ästhetischer Detailliebe Eindruck. Diese Mischung verleiht der Serie ihre ganz eigene moderne und zugleich nostalgische Bildsprache.








Ähnlich wie in der Romanvorlage von Sir Arthur Conan Doyle ist das exzentrische Genie Sherlock Holmes als Privatdetektiv tätig und lässt Scotland Yard mit seiner analytischen Beobachtungsgabe alt aussehen. Auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum, trifft die Hauptfigur in der ersten Folge der Fernsehserie auf den gerade aus dem Afghanistankrieg zurückgekehrten Militärarzt John Watson und findet in ihm sowohl einen ungleichen Geschäftspartner und Mitbewohner als auch einen verlässlichen Freund. Während die beiden gegensätzlichen Charaktere eine enge Beziehung aufbauen, beginnt Watson im Rahmen einer Therapie gegen seine posttraumatische Belastungsstörung einen Webblog über die gemeinsam gelösten Kriminalfälle zu schreiben. 
Moffat und Gatiss betreten mit der Erfolgsserie kein Neuland. Schon vor Sherlock machten die beiden Erfahrungen mit der Verarbeitung literarischer Werke aus dem viktorianischen Zeitalter in moderne TV-Serien. Doch anders als bei der Verfilmung von beispielsweise Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde wollte das Erfolgsduo frühere Fehler vermeiden und den verstaubten Stoff nicht zu ehrfürchtig und bedächtig angehen, sondern Mut beweisen. Leider präsentiert sich die Serie Sherlock dadurch manchmal klüger als sie in Wirklichkeit ist. 
Auch Fans der Buchvorlage könnten sich vom neuen Sherlock Holmes vor den Kopf gestoßen fühlen. Die Welt des Detektivs, die beim Lesen verzaubert und zum Abtauchen einlädt, wird eingetauscht gegen das moderne London. Holmes bedient sich beim Lösen seiner Fälle neuzeitlicher Technik und zieht den Zuschauer mit überspitzten Charakterzügen in seinen Bann. Selbst bezeichnet er sich als “hochfunktionaler Soziopath” und bleibt aufgrund seiner schroffen und überheblichen Art gerne Einzelgänger. Die Serie klärt nur geringfügig über den Lebenslauf des Amateurdetektivs auf, was der Figur aber nicht schadet, sondern ihr im Gegenteil einen ganz eigenen mysteriösen Charme verleiht. Der moderne Sherlock hat Ecken und Kanten, spielt Geige und verlässt sich auf Nikotinpflaster, um seinem scharfen Verstand auf die Sprünge zu helfen. Liefert ihm Scotland Yard keine verwobenen Rätsel, leidet hauptsächlich der bodenständige Assistent Watson unter den abstrusen Stimmungsschwanken des Detektivs. John Watson bleibt dabei aber keinesfalls im Schatten der imposanten Hauptfigur zurück. Das Produktionsteam legt bei der Konstruktion der beiden Rollen großen Wert darauf, den geduldigen Militärarzt neben dem scharfsinnigen Sherlock nicht als Witzfigur erscheinen zu lassen. Als fähiger und selbstbewusster Assistent bringt er deshalb eine weniger kühle Seite des Egozentrikers zum Vorschein. So entwickeln Holmes und Watson im Laufe der Serie trotz der unzugänglichen Art des Detektivs eine Freundschaft, die von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt ist. Man kann nahezu sehen, wie viel Herzblut in die Serie geflossen sein muss, da große Gesten oft ausgespart und durch liebevolle Details ersetzt werden, so dass es dem Zuschauer überlassen bleibt, sich abseits der Kriminalfälle auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und eigentümlichen Charaktere einzulassen. 
Das größte Lob ist wohl, dass ich persönlich nicht viel für Kriminalserien übrig habe, Sherlock aber jederzeit als eine meiner liebsten Fernsehserien bezeichnen würde. Der Humor der britischen Figuren ist präzise, geschliffen und niemals flach, die Figuren fast durchgehend gut besetzt und die Fälle komplex konstruiert. Moffat und Gatiss setzen dem Fernsehzuschauer keinen gewohnten Einheitsbrei vor, den man nur allzu gut von Tatort-Ermittlern oder CSI-Agenten kennt. Auch der Versuch, Holmes mit Robert Downey Jr. beispielsweise in einer Hollywood-Welt auferstehen zu lassen, kann dem britischen Serienhit nicht das Wasser reichen und wirkt fast albern neben dem preisgekrönten Benedict Cumberbatch, dem die Rolle des modernen Großstadtdetektivs von der BBC auf den Leib geschneidert scheint. Die FAZ titelt: “Benedict Cumberbatch sieht aus wie Oxford-Englisch klingt”. Die markanten Gesichtszüge des Vorzeige-Gentlemans geben der Figur ihr arrogantes, intelligentes und doch weltfremdes Gesicht. Martin Freeman hingegen (aktuell als Bilbo Beutlin in “Der Hobbit” zu sehen), der die Rolle des John Watson spielt, sorgt mit viel Herzlichkeit und dicken Wollpullovern für Bodenständigkeit. Zusammen bilden die beiden Figuren eine interessante Konstellation, die aus Pragmatismus und Genie ein unübertreffliches Team macht. Es bleibt jedoch die Frage, inwieweit Holmes seine Soziopathen-Rolle glaubwürdig ablegen und eine enge Beziehung zu Watson entwickeln kann, denn oft wirkt der Assistent nicht wie ein Freund, sondern wie ein gutmütiger Gehilfe, der die konventions- und manierenlose Art des Genies für dessen Umwelt erklären und übersetzen muss. Diese Unklarheit ist aber weniger ein Makel als eine Art der Serie, jede kleinste Emotion oder persönliche Äußerung, die aus dem Egozentriker herausgekitzelt werden kann, zum Vorantreiben des Erzählstrangs zu nutzen. Dieses Spiel gelingt Moffat und Gatiss in den ersten beiden Staffeln gut, während die Emotionalität Sherlocks in der letzten Staffel ein wenig zu dick aufgetragen wirkt und die Glaubhaftigkeit seiner Rolle in Mitleidenschaft zieht.
 Im Fernsehen waren bisher drei Staffeln zu sehen, die jeweils aus nur drei Folgen bestehen. Obwohl jede dieser Folgen ein abgeschlossenes Abenteuer erzählt, entsteht auch staffelübergreifend eine komplexe Geschichte. Die unüblich lange Spieldauer von 90 Minuten pro Folge schafft Raum für qualitative Ausgestaltung und wirkt keinesfalls langatmig, denn das clevere Spiel mit den Erwartungen des Publikums ist trotz der kompakten Geschichten voller Geschwindigkeit. Die Serie entwickelt einen erzählerischen Sog, der Spannung und Charakterzeichnung kunstvoll verwebt, was sich beim deutschen Tatort häufig gegenseitig im Weg steht. Auch die visuell ausgefeilte Erzählstruktur fordert den Zuschauer. Um das Fernsehpublikum in die Lösung der Fälle einzubinden, werden Sherlocks Gedanken und Emails häufig als Text in das laufende Geschehen eingeblendet, so dass die Serie einen zusätzlich modernen Hauch bekommt und sich nur Watson mit Sherlocks überheblicher Art herumschlagen muss.
Für die Fangemeinde bleibt allerdings am Ende die Frage offen, inwieweit Moffat und Gatiss den ursprünglich so erfolgreichen Kurs der modernen Sherlock-Version über die drei bereits ausgestrahlten Staffeln hinweg verloren haben. Während die erste Staffel noch einfache und effektive Geschichten vom genialen Detektiv und seinem Assistenten erzählt, liegt der Fokus in der zweiten Staffel auf dem Porträt der beiden Hauptcharaktere, ihren Differenzen und sämtlichen Großereignissen. Die Produzenten tauschen kleine Kriminalfälle und Sherlocks Deduktionsfähigkeiten gegen ein atemloses Erzähltempo, so dass die Serie am Ende der dritten und letzten Staffel fast ein wenig überdreht wirkt. Das Hauptaugenmerk rückt weg von cleveren Fallkonstruktionen und fokussiert sich mehr und mehr auf das Zusammenspiel zweier Charakterdarsteller. Doch auch wenn dadurch oft die Plausibilität der Falllösungen leidet, kann Sherlock dennoch von dieser Entwicklung profitieren. Die Serie scheint mit ihren Figuren zu wachsen und verarbeitet bereits Gesehenes in jeder neuen Staffel nicht nur inhaltlich und erzählerisch, sondern auch bildsprachlich. Moffat und Gatiss scheinen sich mit jeder neuen Staffel viel eher zu entwickeln als zu verlieren, denn sie überraschen verlässlich auf allen Ebenen ohne konzeptlos zu wirken. Ich empfinde die Serie als gelungene und radikale Modernisierung des Kultdetektivs, die das Niveau für gutes Fernsehen hoch ansetzt. Sherlock könnte als Anstoß für die deutsche Serienlandschaft dienen, sich von der seichten und berechnenden Fernsehkultur zu lösen und die ästhetischen Maßstäbe etwas höher anzusetzen.  

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