TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 22. Januar 2015

Die unvermeidliche Kritik zu Dschungelcamp: Nur weil wir keine Ausbildung haben...

von Herbert Schwaab

Es ist unvermeidlich, dass sich ein Blog zur Fernsehkritik mit dem RTL-Format Ich bin ein Star. Holt mich hier raus beschäftigt. Denn es ist das Format, das auch die Fernsehkritik beschäftigt. Kein anderes Format produziert oder provoziert so viel Kritik in den Feuilletons der großen Zeitungen und ihren Online-Ablegern. So bedauert Jonas Leppin auf Spiegel Online in seiner Kritik vom 22.1.2015 die mangelnde Qualität der Kandidaten, die ihm zu nett sind, und behauptet, dass RTL diesmal bei ihrer Auswahl daneben gelegen habe.

Am Tag davor überliefert uns Arno Frank in einer seltsam deskriptiven Kritik, die vorwiegend auf Zitaten der KandidatInnen basiert, wenigstens den herrlich hellsichtigen Satz von Sara Kulka: "Hätten wir was studiert, dann säßen wir jetzt hinter der Kamera und würden Schokolade essen." In dem Song Hamburg, einem der schönsten Songs der 1990er Jahre hatte das die Band Lassie Singers (ohne die es Tocotronic und vieles mehr in der deutschen Popkultur niemals gegeben hätte) auf eine ähnliche Weise bereits formuliert: "Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß."  Arno Frank endet seine Kritik (oder Beschreibung) mit einer Äußerung von Walter Freiwald: "Ich vertraue auf Gott und Gerechtigkeit.", was er folgendermaßen kommentiert: Gäbe es aber einen Gott, dann gäbe es womöglich diese Sendung gar nicht." Auch die Süddeutsche Zeitung bietet auf ihrem Online-Portal und ihrer in den hintersten Winkels ihres Verzeichnisses versteckten Medienseite eine tägliche Kritik zu der Show an. Zu Tag 6 stellt Daniel Lehmann eine Kategorisierung der Kandidaten auf, die sich an den unterschiedlichen Formationen einer Schulklasse orientiert: Er identifiziert beispielweise die Prinzessinnnenclique oder die letzte Reihe der Schüler und Schülerinnen, die sich weigern, aktiv am Unterricht teilzunehmen, und zu der Rebecca Simoneit-Barum, Rolfe Schneider und der tatsächlich erstaunlich stumme Benjamin Boyce gehören.
Während diese Kritik mit der Kategorisierung ein Bemühen darum zeigt, Unterscheidungen anzubieten, die ein Verstehen der Sendung erleichtern, bleibt die Kritik von Lisa Sonnabend zu Tag 5 wiederum sehr auf der Ebene einer Beschreibung dessen, was die KandidatInnen machen (eine Kritik, die ich, wenn sie eine Hausarbeit wäre, als zu deskriptiv bezeichnen würde) und wirft eigenartigerweise Jörn Schlöngvoigt vor, dass er den Teller mit dem lebenden und gequirlten Kakerlaken, Maden und Kotzfrucht nicht gegessen habe. Tatsächlich wäre hier eher eine Kritik an der Sendung und nicht an dem Kandidaten gerechtfertigt gewesen, denn die Portionen der ekelhaften Nahrungen scheinen immer größer und schier unbewältigbarer zu werden. Während sie sich bereitwillig gegrillte Taranteln in den Mund schieben, scheitern sie schlicht daran, dass sie zu trocken zubereitet sind und sich nicht runterschlucken lassen. Michael Hanfeld richtet bei FAZ online in seinen Kritiken zum Dschungelcamp seine Aufmerksamkeit etwas stärker auf die Form und das Funktionieren der Sendung, thematisiert die Medienreflexionen der KandidatInnen, setzt sich mit den (sadistischen) Publikum auseinander und bezieht in seiner Kritik auch die Moderation mit ein.
Die taz scheint sich eigenartiger Weise aus dieser Auseinandersetzung mit dem Format herauszuhalten, aber warum (zumindest online) dem Format so viel Kritik gewidmet wird, verrät die Süddeutsche in einem Glossar, das zu der neuen Staffel veröffentlicht wurde und das den (etwas schiefen) Eintrag zu dem Thema Feuilleton enthält: 
 "verachtet das Dschungelcamp im Gros immer noch (-> Anschauen? Niemals, never ever, nur über meine Leiche). Vereinzelt wagten sich in den vergangenen Jahren aber Intellektuelle vor, die die Metaebene des Formats goutieren: Wohl keine andere Sendung im deutschen Fernsehen ist eine so akkurate wie bitterböse Persiflage auf die Medienmaschinerie."
Im Anschluss daran verweist sie als Beispiel für diese 'vereinzelte' Kritik auf einen von Roger Willemsen verfassten Artikel zur letzten Staffel, eine interessante Kritik, deren poetische Beschreibung der Kandidatin Larissa Marholt  mit einem Zitat des Schwedischen Schriftstellers Hanns Christian Andersen garniert ist. Willemsen weist zudem auf die Fähigkeit der Sendung hin, Unkontrolliertes entstehen zu lassen und schreibt ihr die Funktion zu,  Menschen zum Erscheinen zu bringen. 
In dieser kleinen Presseschau wird bereits deutlich, dass die Ansicht nicht stimmt, dass sich das Feuilleton vereinzelt mit dem Format beschäftigt. Es ist in den letzten Jahren geradezu eine wachsende Obsession des Feuilletons für das Format zu besichtigen. Die Kritiken mögen sich häufig relativ naiv auf die Figuren und weniger auf die Ästhetik und Inszenierung der Sendung richten, sie mögen manchmal sehr smart sein und ihr Verstehen über das Funktionieren der Sendung zum Ausdruck bringen und mit literarischen Referenzen der Sendung eine höhere Weihe verleihen. Das ist aber nicht so wichtig und weniger smart, als es auf dem ersten Blick wirken mag. Es wird überdeutlich, dass Roger Willemsen in seiner Kritik sehr stolz darauf ist, dass er sich darauf herablässt, sich mit dem Format zu beschäftigen und es gut zu finden. Interessant ist aber auch eine Auseinandersetzung damit, wie diese Smartness entsteht, und die nicht nur das Funktionieren der Kritik, sondern auch das Funktionieren der Sendung selbst und wie sie zum Diskursereignis wird, in den Blick nimmt. 
Aus Sicht der Medienwissenschaft bietet Thomas Waitz auf dem Blog Fernsehmomente eine Metakritik des Formates an, als eine Kritik an einer Kritik aus dem Kölner Stadtanzeiger und einer kurzen Auseinandersetzung mit der von Roger Willemsen formulierten These, dass dieses Format Menschen zum Erscheinen bringe. Was ihn interessiert, sind die Strategien dieser Sendung, mit der sie sich interessant macht, und die Effekte, die sie produziert. Das Dschungelcamp gehört zu dem Format einer mehrfach kodierten Sendung: auf der einen Ebene bietet sie ekelige und grausame Prüfungen an, wählt Menschen aus, von denen sie weiß, dass sie im Fernsehen selbstentblößendes Verhalten zeigen werden und befriedigt damit ein voyeuristisches Bedürfnis des Publikums, das ihm zumindest immer unterstellt wird. Auf der anderen Ebene macht Dschungelcamp mit den ironischen, über das Format, dem Sender RTL und der Populärkultur räsonnierenden Moderation von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich, den Zuschauern, die sich für gebildet halten, unzählige Angebote, die sie absichern, eine Distanz erlauben und es ihnen ihrerseits ermöglichen, auf dieser Ebene einzusteigen und eigene Ansichten zu dem Programm zu formulieren. Unterstützt werden sie dabei eigenartiger Weise von den Kandidaten selbst, die ebenso viel über den Inhalt, den Programmstrategien, dem Bild, das sie den Menschen da draußen vermitteln, nachdenken. Selbst Sara Kulka verrät mit der oben zitieren Äußerung ein Wissen über das Format und die Gründe, warum sie vor und nicht hinter der Kamera oder im Dschungel und nicht in Deutschland zu finden ist. Dass das Feuilleton behauptet, dass die Sendung langweiliger werde, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie sich tatsächlich immer mehr in einer endlosen Rekursivität und Reflexion aufzulösen erscheint und jedes Ereignis auch eine oder mehrere Perspektiven auf das Ereignis mitliefert, so dass nur noch wenig Inputs wie Dschungelprüfungen nötig sind, um die Show am Laufen zu halten. (Tatsächlich habe ich mich gestern dabei ertappt, wie ich gerade bei der Dschungelprüfung eingeschlafen bin).
Was die Metakritiken von Thomas Waitz deutlich machen, ist, dass dieses Format das Format ist, auf das sich alle einigen können und das dazu einlädt, sich mit ihm und damit auch mit dem Fernsehen auseinanderzusetzen. Problematisch daran ist aber, dass es die Auseinandersetzung mit anderen Formaten verdrängt und dass es gar, wie Thomas Waitz in seiner Kritik an Roger Willemsen deutlich macht, das eine Format heraushebt, um Fernsehen im Allgemeinen immer noch abzulehnen, aber auch falsche Ansichten über das Fernsehen wie der Voyeurismus seines Publikums oder einer Unterscheidung in ein dummes und ein schlaues Publikum affirmiert. 
Es würde mir großen Spaß bereiten, die unvermeidliche Kritik zu einem Format zu schreiben, das viel Vergnügen bereitet und so zahlreiche Einladungen zum Schreiben einer Kritik macht. Ich würde gerne in Frage stellen, dass die KandidatInnen langweilig sind und auf den eigenartigen Slang und die hochmusikalische Betonung einzelner Silben von Tanja Tischewitsch hinweisen, auf die anrührend naiven Reflexionen über ihr Erscheinen im Programm von Angelina Heger, ich würde aber gerne diese auf den Inhalt der Sendung bezogene Ebene verlassen und auf die etwas bizarr anmutenden Gesangs- und Tanzversuche von Sonja Zietlow hinweisen, die für Momente den Eindruck erweckt hat, selbst zu einer Kandidatin des Programms werden zu können. Ich könnte mich auch damit auseinandersetzen, wie die Moderation mittlerweile selbst die Sendungen des eigenen Senders disst und hämisch die Einstellung von Berlinmodels kommentiert und damit wieder deutlich macht, wie sehr RTL von der Smartness der Sendung zu profitieren versucht, aber wie tief wiederum der Sender gesunken zu sein scheint, wenn es diese Smartness mit der Herausstellung seiner Fehler in der Formatwahl und Programmplatzierung bezahlt. Aber diese Kritik wäre immer auch mit dem Makel eines schlechten Gewissen darüber verbunden, dass ich bei einem solchen Format niemals schlauer sein werde, als es selbst und dass Kritik an dem Format zu dem Format dazugehört und dass sie keineswegs ein besseres Wissen über das Medium, sondern nur eine (falsche) Gewissheit über das Fernsehen produziert. 
Als Kritiker würde ich ein schlechtes Gewissen haben, als Fan wäre es mir aber erlaubt mit einer als Kritik getarnten Anschlusskommunikation, die das Vergnügen vertieft, auf das Programm zu reagieren und dadurch wenigstens den besten Song der 1990er Jahre der zu unrecht viel zu wenig beachteten Band Lassie Singers zu erwähnen und zu hoffen, das alle anderen schlauen Fans der Sendung, die an einer Kritik an ihr interessiert sind, diese lesen werden, um die Band einem Vergessen zu entreißen, das diesem aufmerksamkeitsheischenden Format niemals drohen wird.


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