TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 7. Januar 2015

Das Lied von Manuel auf ZDF Kultur: Fernsehen das wehtut und die Macht der Populärkultur


von Herbert Schwaab  

Die Veränderung der Sendelandschaft und die Vervielfältigung der Kanäle durch Digitalisierung mögen dazu führen, dass sich die kulturelle Rolle des Fernsehens verändert und es immer schwieriger wird, eine Fernsehgeschichte zu schreiben, die sich über bedeutende, von vielen Menschen erinnerte Momente definiert. Es wird immer schwieriger für das Fernsehen, zum Bezugspunkt eines kollektiven Gedächtnisses zu werden, weil nicht mehr gesichert ist, dass sich Menschen an dasselbe erinnern werden. 

Für Menschen meiner Generation, die noch die durch Verklärung golden erscheinende Fernsehvergangenheit der 1970er und 1980er Jahre kennen, gibt es noch die Möglichkeit, mich mit den anderen Menschen dieses Zeitalters an Programme wie Spaß am Dienstag mit Zini, dem pacmanartigen, hyperaktiven Videoeffekt, zu erinnern,


was mit der simplen Tatsache zu tun hat, dass viele damals wie ich einfach alles gesehen haben (und sehen konnten), was das schmale Fernsehprogramm dieser Tage für Kinder zu bieten hatte. Spätere Generationen werden größere Probleme haben, jemanden zu finden, der genau denselben Moment einer von vielen Fernsehserien erinnert, die das Programm heute bietet.
So sehr sich die gemeinsame Bezugspunkte des flüchtigen Mediums Fernsehen auch verflüchtigen mögen, digitale Medien wie YouTube helfen auf der anderen Seite dabei, Fernsehmomente zu fixieren und Momente, die früher nur in der Erinnerung zu finden waren, zu materialisieren und das, woran wir uns erinnern, uns vor Augen zu führen. Es bleibt abzuwarten, ob spätere Generationen YouTube, wenn es das Medium dann noch geben wird, auf diese Weise werden nutzen können. 
Aber nicht nur YouTube, auch das Fernsehen trägt dazu bei, einem nostalgischen Empfinden Nahrung zu geben. Dies geschieht in den USA bereits seit den 1950er Jahren durch den sogenannten Rerun, das Weiterverkaufen von Serien an andere Sender nach deren Erstausstrahlung, so dass bereits das normale Programm des Fernsehens sich durch eine heterochrone Mischung unterschiedlichster zeitlicher Schichtungen auszeichnen kann. Es begegnen sich Serien aus den 1950er Jahren mit Serien der 1980er oder der Gegenwart im selben Umfeld begegnen. Seit der Auffächerung der Sendelandschaft und dem Entstehen von Billigstsendern wie Tele 5, die aus purer Not und wegen Geldmangel die günstigeren älteren Serien oder Fernsehfilme ausstrahlen, gibt es Sender, die eher zufällig zu Medien der Erinnerung an alte Fernsehgegenstände werden. 
Seit einigen Jahren gibt es aber eine neue interessante Kompomente der Fernseherinnerungskultur. Bei seinen vielen Ablegern leistet sich das ZDF mit dem Spartenprogramm ZDF Kultur einen Sender, der fast ausschließlich alte ZDF-Fernsehformate ausstrahlt. Es lässt sich bei der abendlichen Ausstrahlung von Sendungen wie Disco mit Ilja Richter (ein Artikel zur Ausstrahlung der Sendung Disco auf ZDF Kultur findet sich unter folgendem Link auf dem Blog Fernsehmomente: https://fernsehmomente.wordpress.com/2014/05/08/disco-zdf-und-die-fernsehkultur/#more-127) oder der Hitparade eigentlich kein Konzept erkennen, offensichtlich geht es auch hier um eine günstige Möglichkeit, Programmzeit mit kostenlosen Eigenproduktionen zu belegen, aber durch die Bezeichnung des Senders mit dem Namen Kultur bekommt diese zufällige Erinnerungspolitik höhere Weihen: Das Fernsehen historisiert sich selbst, und es verzichtet endlich darauf, mit Kultur nur eine Hochkultur des Fernsehens zu meinen, sie realisiert ein modernes Kulturverständnis, das auch und gerade populärkulturelle Gegenstände miteinbezieht. 
Aber es gibt weitere Nebeneffekte dieser Veränderung der Fernsehlandschaft und diesem neuen Interesse für die Fernsehvergangenheit. Fernsehen kann ein Medium sein, dass einer suchenden, irrenden, ziellosen Bewegung faszinierende Haltepunkte bietet. Es überrascht oder überwältigt uns, wenn uns beim Umherschalten in einer Masse von uninteressanten Gegenständen plötzlich etwas begegnet, das wir nicht erwartet haben und auch nicht erwarten konnten, weil sich so etwas einfach nicht ausdenken lässt. Manchmal kann das sehr schön sein (unsere Lieblingsfernsehmomente), manchmal tut es einfach nur furchtbar weh, aber auf eine Weise weh, die wiederum überaus faszinierend ist. Auf einen solchen, von ZDF-Kultur ausgestrahlten Moment stieß ich beim gemeinsamen ziellosen Fernsehschauen mit meiner Frau. Es handelt sich um folgende Darbietung der Gruppe Manuel und Pony, die auch auf YouTube zu finden ist und den wir seitdem immer wieder guten und weniger guten Freunden vorführen:



Der clip spricht für sich selbst: Er ist grauenvoll, aber zugleich auch, aus anderen Gründen, rührend. Alles ist eigenartig an diesem Song und dieser Performance aus dem Jahr 1979: Der Name der Band Manuel und Pony, der rassistische Text des Liedes, die eigenartige Geschichte von einem Jungen, der mit einem Konzert eine Amerikareise eines kranken Mädchens finanzieren will, es bleibt rätselhaft, woher der kleine Junge aus Kastilien weiß, dass es in Amerika einen Arzt gibt, der es heilen kann, der nervige Falsettgesang des Solisten, wie er versonnen und verträumt grinsend in die Kamera schaut, wie der Chor auf seine Darbietung zunächst mit (aufgrund des Gesangs auch verständlichem) Hass reagiert, dass Anke Engelke in dem Chor mitwirkt, dass Dieter Thomas Heck in der Anmoderation nicht merkt, dass einer der kleinen Sänger sich darüber beschwert hatte, dass er ihn für ein Mädchen gehalten hat, dass die Stimme des Solisten alles andere als gut, weil zu nahe am Stimmbruch, ist, dass es Menschen gibt, die diesen Song produziert haben, die sich dieses ganze eigenartige Gebilde, das nicht mehr als diesen einen Hit hatte, ausgedacht haben, dass es tatsächlich Menschen gab, die den Song gekauft und auf Platz eins der Hitparade gewählt haben. 
Neben diesen eigenartigen, unerklärlichen und daher hochgradig faszinierenden Aspekten gibt es aber weitere Punkte, die erklären, warum dieser Clip nicht nur (wohligen) Horror verbreitet, sondern auch rühren kann: Die Mode, die mir noch bekannt ist, dass die kleinen Kinder so aussehen, wie ich damals (ungefähr) ausgesehen habe, die Erinnerung daran, wie Kinder mit Migrationshintergrund damals in Deutschland behandelt wurden, aber auch die vielen Stunden, die ich von älteren Mitgliedern unseres Haushalts dazu gezwungen wurde, die Sendung Hitparade im Fernsehen zu schauen, obwohl ich die Musik damals wie heute nicht gemocht habe. 
Der Clip erscheint mir geisterhaft, geschaffen von einer höheren Existenz (der Vergangenheit, der Populärkultur), es verdichten sich in diesem Moment die unterschiedlichsten Vorstellungen und Erinnerungen, er führt uns in eine andere Welt, er gibt den suchenden Bewegungen des Fernsehzuschauers oder der Fernsehzuschauerin ein interessantes Ziel, das unzählige Stunden des Wartens und Schaltens durch das Programm mit einer intensiven, aber auch quälenden Erfahrung belohnt, der Moment realisiert etwas, was dem Fernsehen als flüchtigem, vom flow gekennzeichneten Medium, inhärent ist, dass es unsere gerade aus dieser Flüchtigkeit heraus umso mehr zu überraschen versteht. Dass ich mir diesen Moment immer wieder auf YouTube anschauen kann, ändert nichts an der Tatsache, dass ich ihn nur im Fernsehen und nur auf ZDF Kultur finden und das er nur in diesem einen Moment der Erstbegegnung wirklich die ganze Kraft entfalten konnte, die ich mir durch das Wiederanschauen und Weiterzeigen des Clips auf YouTube verzweifelt zurückzuführen versuche.Ich bin dankbar dafür, dass es einen Sender wie ZDF Kultur gibt, auch wenn die Überlegungen, die hinter diesem Sendekonzept stehen, nicht nachvollziehen kann, was auch diesen Sender eine geisterhafte, magische Existenz verleiht und die wunderbare Macht der Populärkultur vorführt.

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