TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 20. Februar 2012

Die Krass-Mega-Fett-Voll-Cool-Ausflipp-Schwafel-Show: NEO-PARADISE


von Ramona Nowarra

„Hahah wie lustig! Eine debil-gröhlende Dachlatte mit Kassen-Klobrille und ein abgesägter Sparkassen-Schnößel mit Zausselbart erzählen Witze aus dem Plaistozän der Rohrkrepierer und lachen sich das rudimentäre Resthirn aus der Rübe. In diesem Sinne, willkommen bei Koko und Nuss und ihrer Krass-Mega-Fett-Voll-Cool-Ausflipp-Schwafel-Show: Neo-Paradise. Denn so stellt man sich beim diabolischen Runzelsender ZDF das Paradies für unerträgliche Unterhaltungsattentäter vor. Man nehme einfach zwei flachgewixte Spießer-Spaßgranaten von irgendeinem tod-gedudelten Musiksender, die einem, mit ihrem inhaltsfreien Scheiße-Gelaber schon damals derart auf die Eier gingen, dass man sich während der Sendung die Klingeltonwerbung zurückwünschte, packt die in ein pseudocooles Primatenloft in Pleite-City und versteckt das Ganze dann schön heimlich im Sparten-Kanal ZDF Neo. So eine Art Vorhölle der Öffentlich-Rechtlichen, die man übrigens nur empfangen kann, wenn man nackt auf einen Küchenstuhl steigt, sich die Genitalien in Alufolie wickelt und eine Grillgabel aus dem Fenster hält. Wie gesagt, was für junge Leute. Freuen wir uns also jetzt auf 45 Minuten wortreiches Nichts mit den unehelichen Kindern von Wolfgang Lippert und unser Charly. Viel Spaß.“ 
So tritt ohne Vorwarnung TV-Kritiker Oliver Kalkofe in der Greenbox ins Studio und kommentiert im Stil von „Kalkofes Mattscheibe“ das Treiben der neuen Sendung Neo-Paradise von Joko und Klaas.

In letzter Zeit wurden das Duo Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf fast nur noch als als nervig wahrgenommen.  Die beiden wurden von ihrem Heimatplaneten Viva und MTV direkt ganz nach oben auf die Listen der Werbegurus gesetzt, um als Maskottchen für Rasierer und Banken die junge Zielgruppe anzusprechen. Zuletzt krallte sich dann auch noch die Produktionsstätte Endemol die beiden Männer, die fortan nur noch als „Jokoundklaas“ eingesetzt wurden. Auf ProSieben präsentierten sie dann die langatmige und wenig spektakuläre Sommerloch-Show „17 Meter“ oder zuletzt „Die Rechnung geht auf uns“.
Was unterscheidet nun dieses neue Format auf ZDF-Neo von den zahlreichen anderen Late-Night-Shows, wie TV-Total, die irgendwo zwischen DMAX und Das Vierte auf der Fernbedienung geboten werden?
Sonderlich spektakulär gibt sich die Sendung nicht. Das Konzept der Show basiert im Wesentlichen auf MTV-Home. Eher wirkt das Studio, in das wir jeden Donnerstag um 22:40 Uhr einen Einblick gewinnen, wie eine Mischung aus Hobbykeller, Stammkneipe und Late-Night-Show auf Sperrholzniveau. Aber es hat etwas, was vielen Formaten im deutschen Fernsehen fehlt. Ein gewisser Charme, der aus den nicht-perfekten und oft auch schiefgehenden Beiträgen der beiden resultiert, scheint einen jugendlichen Wind in das sonst so altmodisch geglaubte ZDF zu bringen.
Wo sich im Nebensatz fast schon schelmisch über grenzdebile Doku-Soap-Helden lustig gemacht wird, spürt man: Nicht nur die beiden Protagonisten haben Spaß an der Produktion.
Da sitzen nun also jeden Donnerstagabend Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf und plaudern, nach einem mal mehr, mal weniger ordentlichen Stand-Up mit Gästen wie Herbert Grönemeyer, Eva Padberg, Oliver Kalkofe und Wolfgang Lippert. Beklatscht werden sie dabei von einem kleinen Publikum, wahrscheinlich nur die Praktikanten des Hauses.
In einem Schrank spielt eine Newcomer-Band und nutzt ihre 15 Sekunden Ruhm, bis eine  rothaarige, tanzende alte Dame namens Violetta diese wieder zurück in ihren Schrank schließt. Dazwischen gibt es Einspielfilme. Hier stehen die ironischen Rivalitätskämpfe zwischen Joko und Klaas oft im Mittelpunkt, zum Beispiel in den Kategorien wie „Bis einer heult“ oder „Wenn ich Sie wäre“. Außerdem werden satirisch aktuelle politische und mediale Ereignisse aufgegriffen und dabei immer jede Menge Zitate eingebaut.
Einmal versucht Joko eine Bunga-Bunga Party ala Berlusconi, mit Porno-Klaus, bekannt von DSDS, mit zwei leichtbekleideten und willigen Frauen in einer privaten Wohnung nachzufeiern, mal wurde Winterscheidt bei einem Dreh versehentlich von Eishockey-Profispieler Florian Busch derart heftig zu Boden gestreckt, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Nach nur zehn bis zwölf Ausgaben kann man vielleicht auch die Vermutung anstellen, dass hier womöglich auch schlicht und ergreifend Abbau von angestautem Frust stattfindet. War man zuvor möglicherweise selbst noch als leitendes oder ausführendes Zahnrädchen Teil des Trash-Fernsehens, so wird nun zurückgeschlagen und sich munter ausgetobt. Die Rubrik „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ mit Sedar Somuncu scheint das Ganze auf den Gipfel zu treiben, in der dieser, direkt und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, mit Prominenten und Fernsehsendungen abrechnet - scheinbar nach dem selben Konzept, wie der kurze Roman von Fjodor Dostojewski (1864). Der „moderne Mensch“ und die von ihm geschaffene Gesellschaft wird auch hier scharf kritisiert, genauso zynisch kommentiert und Aggressionen und Rachsucht aufgebaut.
Dieses Format scheint nicht nur der schnellen Quote, der billigen Massenproduktion am Scripted-Reality-Fließband oder dem Vorführen von Schwiegersöhnen oder Bauern dienlich zu sein. Da ist es auch egal, dass es nicht die Massen sind, die bei ZDF Neo erreicht werden. Die Premiere Anfang Oktober startete mit 20.000 Zuschauern. Diese herrliche Wohlfühlsendung, in der Anarchofernsehen gemacht wird, kann ruhig als Insidertipp gelten.
Das Team um Joko und Klaas verkörpern mit „Neo Paradise“ das, was im Fernsehen lange Zeit nicht mehr besetzt war und früher durch die inzwischen ausgepowerte Raab-Event-Werbesendung „TV Total“ und Harald Schmidt als Late-Night-Establishment geboten wurde: eine Show, die sich selbst nicht ernst nimmt und den ausgestreckten Zeige- und manchmal auch Mittelfinger auf die eigene Branche richtet.

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