TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 20. Februar 2012

Der ganz normale Wahnsinn – Ein Fußball-Abend auf SKY

von Benjamin Weweck


Endlich ist es wieder soweit: Ein ganz normales Bundesliga-Wochenende steht vor der Tür. Es ist Freitag, der 16.12.2011, 20:15 Uhr. Der FC Bayern München, unser Lieblingsverein, empfängt den 1. FC Köln; zu sehen gibt’s das nur in der Münchner Allianz-Arena oder auf dem Pay-TV Sender Sky Bundesliga. Live. Deswegen sitzen meine Freunde und ich ja gerade jetzt um diese Uhrzeit gespannt vor dem Fernseher, anstatt wie üblich unseren Freitagabend in einer Bar zu verbringen. Was macht also den Reiz aus, Sportveranstaltungen jeglicher Art so wie dieses Fußballspiel live verfolgen zu wollen? Zumal im Laufe des Abends, tags darauf und sogar Wochen später dieses Spiel in voller Länge mehrmals wiederholt wird? So kann kein Fußball-Fan das Spiel verpassen. Und Sky kommt seiner Verpflichtung gegenüber dem zahlenden Zuschauer nach, das Programm 24 Stunden lang zu füllen; Fußball 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Genau das möchte der Fußball-Fan sehen; wofür zahlt man denn sonst sein monatliches Abo?!


Die Antwort auf den Anreiz einer Live-Übertragung ist sehr vielfältig: Möglicherweise liefert sie Unerwartetes, wie zum Beispiel den Ausgleichstreffer in letzter Sekunde. Ungeplantes, wie den plötzlichen Spielabbruch wegen randalierender Fans. Unmittelbares, wie die impulsiven Emotionen der Trainer auf der Bank. Unverfälschtes, wie den Kampfgeist und Einsatzwillen der meisten Spieler. Und natürlich Spontanes; diese Eigenschaft besitzt jedes einzelne Tor, das live im Fernsehen gezeigt wird. Zuletzt ist es die (manchmal bange) Ungewissheit über die Frage, wer nun am Ende als Sieger vom Platz gehen wird, die eine Live-Übertragung fernsehwissenschaftlich gesehen so beliebt machen.

Ein durchschnittlicher Fußballabend auf Sky weist noch mehr solcher fernsehtypischen Merkmale auf: Das Hauptspiel des Abends folgt 3 Zweitligaspielen, die auf 3 Kanälen parallel schon um 18.00 h ausgestrahlt werden, und einer anschließenden Zusammenfassung dieser Spiele. Nach dem Bayern-Köln-Spiel geht es weiter mit erneuten Zusammenfassungen der Spiele dieses Tages, bevor diese dann ein zweites Mal in voller Länge ausgestrahlt werden. Man kann dies also mit Recht als Flow bezeichnen, der sich ja schon dadurch ausdrückt, dass es aufgrund der entzerrten Spielansetzungen über das Wochenende theoretisch möglich ist, insgesamt 5 der 9 Spiele live zu verfolgen. Früher wurde nur zu 2 verschiedenen Terminen gespielt. Die Sendepolitik ist hier eindeutig darauf abgestimmt, durch mehr Live-Angebote Abonnenten hinzugewinnen zu können – wer glaubt, die Deutsche Fußball Liga (DFL) hätte über die Spielansetzungen zu entscheiden, hat verkannt, dass gerade bei Pay-TV-Sendern nicht der Sport, sondern Sendepolitik, Vermarktung, Werbung und vor allem Geld entscheidet. Und Sky bezahlt die DFL nun mal für die Übertragungsrechte.

Ein weiteres Charakteristikum der Fußballübertragung ist die deutliche Segmentierung. Die Sendung beginnt mit einem Vorbericht mit Einspieler, dann wird die erste Halbzeit gesendet, dieser folgt die Halbzeitanalyse in der Pause, bevor dann die 2. Halbzeit übertragen wird. Abschließend kommen die Interviews mit einer Nachberichterstattung. Der Zuschauer kann also leicht erkennen, wo er sich gerade „befindet“ und wie weit das Spiel vorangeschritten ist.

Auch das entstehende Gemeinschaftsgefühl, wenn man zusammen mit Freunden das Spiel verfolgt, die Identifikation und das Mitfiebern mit einer Mannschaft darf nicht vernachlässigt werden. Hinzu kommt die eigene Partizipation am Geschehen. Zumindest bekommt man das Gefühl, am Geschehen partizipieren zu können, beispielsweise wird die unwichtige, unmittelbar vor dem Spiel stattfindende Seitenwahl mit dem Schiedsrichter und der beiden Kapitäne Lahm und Geromel extra vertont, damit wir auch alle wissen, was die Herren Wichtiges zu besprechen haben. Solche Vorgänge im Spiel selbst und auch der Kommentator veranlassen uns dazu, nicht nur Konsument zu sein, sondern wir werden zum Produzenten. Zum Produzenten von Emotionen, wenn ein Tor fällt oder ein schlimmes Foul passiert. Zum Produzenten von Aussagen, indem wir Behauptungen des Kommentators in Frage stellen und darüber untereinander diskutieren. Zum Produzenten von Meinungen, wenn wir am nächsten Tag unseren Bekannten unsere persönlichen Highlights des Spiels kundtun. Genau das ist typisch für interessantes Fernsehen, und genau dieser Aufgabe wird Sky mit seinen Moderatoren und Reportern auch gerecht.

Jetzt müssen wir uns die Frage stellen, wie Sky es schafft, ein Fußballspiel zwischen dem FC Bayern München und dem 1. FC Köln , das durchaus auch manchmal langweilig und unspektakulär sein kann, in Szene zu setzen. Besonders muss berücksichtigt werden, dass Sky ja letztlich keinen Einfluss auf das Spielgeschehen hat. Dem Sender muss es also gelingen, aus dem, was die Mannschaften aufbieten, etwas Spannendes herauszufiltern und aufzubereiten.

Spannung – die herrscht schon vor dem Spiel. Es werden die angespannten Gesichter von Spielern und Trainern im Spielertunnel in Großaufnahmen gezeigt; der Einspieler vor Spielbeginn zeigt die Bayern-Tore von Mario Gomez aus vergangenen Spielen, aber auch Köln und vor allem dessen Star Lukas Podolski konnte viele Tore schießen. Der FC Bayern ist in bestechender Form und Köln hat in der Münchner Allianz-Arena noch nie verloren. Spätestens nach diesem Einspieler weiß jeder: Dieses Aufeinandertreffen von Bayern gegen Köln muss spannend werden. Oder wie Sky sagt: „Gomez gegen Podolski“. Hier wird deutlich, dass sich das Fernsehen einzelne Stars heraussucht, an denen es ganze Mannschaften misst, und welche bei vielen Aussagen und Ansichten als Aufhänger dienen, um dem Zuschauer das bevorstehende Spiel schmackhaft zu machen; bis die Stars dann gegen Ende des Spiels feierlich ausgewechselt werden, was nicht nur im Stadion wie eine Zeremonie erscheint.

Bevor das Spiel nun angepfiffen wird, begrüßt der heutige „Star“-Kommentator Marcel Reif die Fernsehzuschauer, indem er gekonnt die bisherige Saison der beiden Teams zusammenfasst und einen Ausblick auf das Spiel gibt. Sein kurzes Statement wäre perfekt, würde er am Schluss nicht exakt den Einspieler wiederholen und uns daran erinnern, dass Lukas Podolski mitspielt und Köln noch nie in der Allianz-Arena verloren hat. Bei der Erläuterung der Mannschaftsaufstellungen, die auch graphisch ansprechend und verständlich aufbereitet sind, findet er zu alter Stärke zurück: Versierte, treffende, haargenaue, ja man könnte schon sagen, pingelige Analyse. In den ersten Minuten des Spiels beschreibt er die Taktiken und das Stellungsspiel der Mannschaften sehr genau, was zugegeben gewisse Vorkenntnisse erfordert, aber da wir es mit einem Pay-TV-Sportsender zu tun haben, also mit einem versierten Publikum, ist diese anspruchsvolle Analyse absolut angebracht. Noch interessanter werden seine Analysen, wenn er sie mit einer gewissen Portion Ironie oder Sarkasmus füllt. Als Podolski nach einem leichten Foul theatralisch fällt, meint Reif nur: „….und da bricht er zusammen…“.

Nach einer halben Stunde voll von langweiligem Fußball beschreibt er das Spiel der beiden Mannschaften mit typischer haarscharfer Kritik: „Die Kölner stellen sich nur hinten rein, wie die hier spielen nervt einfach nur, und auch Bayern kriegt absolut nichts zustande“. Diese Härte stufen viele als herablassend und arrogant ein, was sicherlich auch zu einem gewissen Grad stimmt, weshalb ihm der Ruf des Perfektionisten oder sogar Nörglers vorauseilt.

Gegen Ende der ersten Halbzeit gibt es einen dieser ungeplanten, unverfälschten Überraschungsmomente, die Fußball sehenswert machen: Franck Ribéry fasst seinem Gegenspieler innerhalb von 30 Sekunden zweimal ins Gesicht, sieht deswegen ebenfalls innerhalb dieser Zeitspanne 2 mal die gelbe Karte und fliegt somit von Platz. Marcel Reif kommentiert dieses sehr ungewöhnliche und ungeschickte Szenario in gewohnter harter, ironischer Manier: „Das ist absoluter Schwachsinn, was Ribéry da macht, er ist alt genug um sich der Konsequenzen seines Verhaltens bewusst zu sein."

Auch Kameramann und Regisseur machen sich so ein Ereignis selbstverständlich voll und ganz zunutze. Es werden zahlreiche Wiederholungen und Zeitlupen gezeigt, die als Service für den Zuschauer dienen, damit er sich ein eigenes Urteil von der Situation bilden kann. Aber vor allem findet dadurch eine In-Szene-Setzung statt, die sich fortsetzt, indem der Sünder Ribéry, mit gesenktem Haupt vom Platz gehend, von der Platzmitte bis in den Kabinengang gefilmt wird.

Als der Schiedsrichter wenige Minuten später die erste Halbzeit beendet, gibt es wie bei jeder Fußballübertragung eine kurze Zusammenfassung des Kommentators. Es steht 0:0 und außer „langweilig“ gibt es auch nicht mehr zu sagen. Meine Freunde und ich stimmen ihm zu, überlegen ob wir unsere Bayerntrikots ausziehen und doch in eine Bar gehen sollen, aber aus bekannten Gründen schauen wir weiter: Es folgt die Halbzeitanalyse, die ihren Namen definitiv nicht verdient. Erst Werbung, dann wird in einer Minute mit den gleichen Zeitlupen festgestellt, was für eine Dummheit Ribéry begangen hat, und dem folgt wieder Werbung. Bei einem privaten Sender, der zweimal 45 Minuten kontinuierlich Fußball sendet, ist dies aus Kostengründen verständlich, vor allem bei der für den Sender äußerst kostspieligen Champions League, aber von einem von mir mitfinanzierten Pay-TV-Sender erwarte ich definitiv etwas Besseres.

Kaum ist die zweite Halbzeit 3 Minuten alt, passiert das von uns im Vorfeld erwartete und wir werden für unsere Langeweile aus Halbzeit eins entschädigt. Mario Gomez schießt das 1:0, Marcel Reif hat das schon vor allen anderen gewusst („Ich hab das kommen sehen!“) und unser Fußball-Abend scheint sich langsam zu bessern.

Doch nach kurzer Zeit fällt das Spiel wieder in seine alte Leier und gerade als Reif resigniert, („Köln verwaltet das 0:1, Bayern sagt sich, dann machen wir halt auch nichts mehr….also richtig lustig ist das Ganze hier nicht“), fällt der Ball zufällig in den Kölner Strafraum vor die Füße von Bayernspieler David Alaba, der aus 2 Metern Entfernung den Ball im Tor versenkt. Dieser Moment des Zufalls, das Unvorhersehbare, diese wenigen Sekunden, wenn ein Tor fällt, gleichen scheinbar alles zuvor Gesehene aus, denn warum würden sich sonst so viele Leute ein 90 Minuten dauerndes Spiel ansehen, bei dem laut einer der bekanntesten Statistiken des Fußballs nur 3 Tore pro Spiel fallen? Vermutlich geht es um die Identifikation mit einem Team,  das Abschalten vom alltäglichen Stress und um die Beruhigung während des Fußballschauens, da der Sport verglichen mit anderen Sportarten sehr langsam, überschaubar und unkompliziert ist.

Kurz vor Ende des Spiels lupft Toni Kroos mit viel Gefühl den Ball zum 3:0 ins Tor. Spätestens dieses Traumtor, das in 5 Zeitlupen genauestens wiederholt und mit einer minutenlangen Marcel-Reif-Lobesrede für Toni Kroos komplettiert wird, entschädigt für 89 Minuten schlechten Fußball. Der Fußballfan ist scheinbar nicht sehr anspruchsvoll, denn wir resümieren: „Perfekter Fußballabend“.

Und wäre nächste Woche nicht Weihnachten und damit (leider) spielfrei, würden wir auf jeden Fall das nächste Bayern-Spiel anschauen. Danke, Sky!

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