TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 6. Februar 2012

Die Geissens - Fremdschämen 2.0

von Patricia Groll

Jeder Mensch braucht ein Hobby, viele gehen zum Sport andere backen oder lesen ein Buch... Ich für meinen Teil schäme mich gerne fremd. Was früher nur mit nicht ganz gesellschafts-fähigen Freunden in der Öffentlichkeit möglich war, ist seit geraumer Zeit auch ein Spaß für den Abend Zuhause auf dem Sofa geworden.
Beim Sport gibt es verschiedene Disziplinen, beim Backen unterschiedliche Rezepte und beim Lesen verschiedene Genres. Um sich nun den Stellenwert als vollwertiges Hobby zu sichern, sollte auch das Fremdschämen in Kategorien untergliedert werden können: in die erste Gruppe fällt meiner Meinung nach Scripted-Reality à la X-Diaries oder Mitten im Leben. In diesen Fällen kann man sich als Zuschauer nur die Frage stellen wer niveauloser ist: die Drehbuchautoren oder die Schauspieler. Die zweite Kategorie umfasst Kuppel-shows wie Bauer Sucht Frau oder Schwer Verliebt; das Hauptaugenmerk des Zuschauers wird dabei nicht mehr auf die völlig unglaubwürdige Story gelenkt, sondern auf das persönliche Schicksal des echten Menschen. Der Drehbuchautor spinnt also eine Geschichte aus dem, was sein Hauptdarsteller bisher mit seinem Leben angefangen hat... grausam für den Darsteller, rentabel für den Autor, lustig für den Zuschauer, doch auch Sendungen wie diese ersetzen nicht den betrunkenen Onkel auf der Weihnachtsfeier. Vollkommenes Glück erfüllt das Herz des Vorzeige-Fremdschämers erst, wenn er Montagabend die Gesellschaft einer Dame genießt, die offensichtlich nicht in der Lage ist, den Namen ihres eigenen Ehemannes korrekt auszusprechen. Seit wann findet sich im Namen Robert ein CH? Wir befinden uns nun in Kategorie drei: es gibt keinen Autor, sondern die Darsteller vermarkten sich selbst.

Nachdem sich Familie Geiss 2010 bereits für einige Zeit in der Sendung Goodbye Deutschland breit machte, bekam sie im Januar diesen Jahres ihren eigenen Sendeplatz in der Prime-Time von RTL2.
Da vermutlich niemand freiwillig gerne zugibt sich dieses Format wirklich anzusehen, nun eine kleine Kurzzusammenfassung für alle anonymen Fremdschämer: „Die Geissens“ erzählt bisher in zwei Staffeln mit jeweils 12 Folgen à 45 Minuten das uninteressante Leben von vier sehr uninteressanten Personen. Im Focus der Kamera steht Rober(ch)t Geiss, ein blond gesträhnter Mann Mitte 40, der durch den Verkauf seiner Firma für Sprortbekleidung an viel Geld gekommen ist. Das vermehrt er nun mittels Immobilien. Neben ihm drängt sich seine gleichaltrige(!) Ehefrau Carmen ins Bild, ihres Zeichens Miss Fitness 1982, und zerrt die beiden Töchter Davina Shakira und Shania Tyra hinter sich ins Scheinwerferlicht. Bereits nach wenigen Minuten Sendezeit drängt sich dem Zuschauer die Frage auf, wodurch die Kinder mehr vom Leben bestraft wurden: mit den Eltern oder durch die Vornamen?
Man verweilt in der „Villa Geissini“ in Monaco, Ferienhäusern in St. Tropez oder zum Skifahren in Kitzbühel. Sollte das Leben als „schrecklich glamouröse Familie“ in den Metropolen dann aber doch mal langweilig werden, zieht der „trendbewusste Millionär von heute“ los und begibt sich auf eine Weltreise, die dann in 45 Minuten vor den deutschen Fernsehzuschauern ausgebreitet werden kann. Auf Ausflügen wie diesen bringt Mutter Carmen ihren kleinen Töchtern bei, was sie so von der Welt weiß... nämlich gar nichts und davon eine ganze Menge. So kommt sie mit ihrem messerscharfen Verstand beispielsweise den alten Griechen auf die Schliche, die der Welt weismachen wollen, dass ihre Akropolis bereits 2500 Jahre alt ist. „Wie kann das denn funktionieren, wir haben doch erst 2011!“
Aber nicht nur in Geschichte ist Carmen ein Ass, auch in Sachen Technik macht ihr niemand etwas vor. So wird zum Beispiel im Elektro-Fachmarkt vor dem neuartigen 3D-Fernseher mit verschwommen Bild flink die RayBan gezückt (wer sich nun fragt, seit wann die bekannte Marke 3D-Brillen herstellt, ist auf dem Holzweg. Tut sie nicht, nur Carmen weiß das leider nicht, sagt ihr aber auch niemand).
Musikalisch untermalt wird das Spektakel des schlechten Geschmacks von Carmens erster Single „Jetset“. Der Song (falls man das wirklich so nennen kann), in dem nicht gesungen wird, ist bis auf das Wort Jetset deutsch. Dennoch schafft es Carmen dieses eine Wort schneller mit ihrem kölschen Dialekt zu verunstalten als ihr Robert 17 neue Flachbildfernseher kaufen kann.
Letztendlich bleibt für den Zuschauer nur noch eine Frage offen: Wieso konnte Robert nicht wie jeder andere neureiche Mann seine alte Ehefrau durch ein jüngeres Modell ersetzten?
Für uns als Zuschauer hätte das dann zwar vermutlich keine IQ-Steigerung der Sendung bedeutet, aber die 20 Jahre jüngere Miss Fitness hätte wenigstens nicht so geschmacklos in den von Mama Geiss heißgeliebten Stretch-Leggings ausgesehen.
Das muss wahre Liebe sein.

1 Kommentar:

  1. die Geissens,eine Sendund ,welche in Dummheit nicht mehr zu überbieten ist

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