TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 19. Juli 2017

Tatort: Borowski und das Fest des Nordens – Warum ich den Tatort nicht mag (wirklich nicht)


von Herbert Schwaab 

Viele Menschen zwischen 30 und 60, die gerne darauf hinweisen, dass sie nicht mehr fernsehen, offenbaren aber zusätzlich sehr gerne, dass sie dann doch jede Woche ein Format schauen, den Tatort. Mit dieser Serie oder Reihe kann sich eine bestimmte Schicht halbwegs gebildeter und gut integrierter Menschen auf etwas einigen. Als ferne Reminiszenz an einen scheinbar längst vergangenen Fernsehalltag, in dem das Fernsehen noch als sozialer Zeitgeber fungierte, kommen sie am sonntäglichen Abend zu einem seltenen Moment des Appointment TV zusammen und lassen sich von diesem Medium für kurze Augenblicke den Alltag ordnen. Die Maschine, die das ermöglicht, ist gut geölt: Kritiken und Berichte in allen Feuilletons aller großen Zeitungen, die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen, die das Format zum Themensetzer für anschließende Diskussionssendungen werden lassen, aber auch zunehmend Berichte über Menschen, die sich in Kneipen zum Public Viewing von Tatort treffen, sorgen dafür, dass der Tatort als Ereignis wahrgenommen wird.

Ich hasse den Tatort. Eigentlich sollte ich mich darüber freuen, dass es so ein Format gibt, das die Menschen dazu bringt, über das Fernsehen zu sprechen und sie durch die vielen Varianten an Orte und Ermittler gebundener Mikroserien eine Expertise entwickeln und Unterschiede feststellen können. Doch irgendwie gönne ich es dem Format nicht, dass es diese Rolle spielt. Ich hasse den Tatort vor allem dafür, dass es in einem Land, in dem gerade mal 376 Morde im Jahr verübt werden, von denen die meisten als Beziehungstaten sowieso sofort aufgelöst werden, den Eindruck einer ständigen Bedrohung erzeugt, die keine Deckung mit der Wirklichkeit hat. Ich hasse die Verharmlosung des Todes in Krimiformaten, die Unberührtheit der Menschen von dem Leid, das anderen widerfährt, ich hasse die Repräsentation der Berufsgruppe des Kriminalkommissars und der -kommissarin als eine rein vom Fernsehen konstruierte Lebensform, die wohl keine Entsprechung in der drögen und unglamourösen Polizeiarbeit hat. Ich würde aber das Alles dem Tatort verzeihen, als zumindest hochinteressantes Konzept einer Anthologieserie, die sich von vielen anderen Serienmodellen des scheinbar so innovativen US-Fernsehens unterscheidet – aber ich kann ihm nicht verzeihen, dass der Tatort sich bei allen Unwahrscheinlichkeiten dennoch meist als realistische Serie ausgibt und so tut, als würde es sich auf die Wirklichkeit ausrichten. 

Wenn man etwas hasst, sollte man sich von Zeit zu Zeit anschauen, was man eigentlich hasst. Der Tatort Borowski und das Fest des Nordens vom 18. Juni bietet diese Gelegenheit zur Selbstvergewisserung. Ich muss zugeben, ich hatte etwas Angst davor, dass mir dieser Tatort gefallen könnte, aber es lief gut. Der Mörder, ein Mann in Scheidung und ohne Geld, der sich etwas verzettelt hat und hochaggressiv und verzweifelt scheinbar grundlos zwei Menschen tötet, ist genauso kaputt wie der von Axel Milberg gespielte Ermittler Borowski, der in einem Restaurant mehrere Flaschen Rotwein trinkt, randaliert und dann mit einer Kellnerin über die Kieler Woche zieht.. Borowski streitet sich ständig mit seiner Kollegin Sarah Brandt. Es ist Sibel Kikellis letzter Auftritt in dieser Rolle, aber da ich die früheren Folgen des Kieler Tatorts nicht gesehen habe, weiß ich nicht, warum sie sich streiten, es interessiert mich auch nicht. Borowski entwickelt Sympathien für den Mörder, weil er glaubt, von ihm gerettet worden zu sein, und am Ende vollzieht er Sterbehilfe an ihm als letzten Gnadenakt. Das alles rauscht an mir vorbei, weil die Folge vollgepackt mit Inhalten, die nur kurz angeteasert werden, keine Zeit hat, irgendetwas zu vertiefen, aber die ganze Zeit hochbemüht ist, den Eindruck zu liefern, dass alles ganz tief und hochkomplex ist. Es ist ein typischer Tatort.

Jan Bonny, ein ambitionierter Regisseur, der auch Spielfilme dreht, scheint so etwas wie einen eigenen Stil zu haben und in der Inszenierung anzuwenden. Der Stil ist aber eine typische Variante des enigmatischen Realismus a la Dogma 95, mit wackelnden Bildern von Handkameras, einer Montage, die ohne Not ständig Handlungen unterbricht und zu Fragmenten macht, einem Drehbuch und einer Dramaturgie, die den Figuren auferlegt, eigenartig, impulsiv und extrem zu sein, so als ließe sich das simple Mehr an eigentümlichen Eigenschaften von Figuren automatisch in die Währung Realismus übersetzen. Die Ästhetik ist tatsächlich interessant, der Tatort lässt sich genießen durch den eigenartigen Fluss der Bilder und Szenen und unerklärlichen Handlungen, durch ein gewisses Rhythmusgefühl und einer Lust am Exzess, den Jan Bonny ganz gut zu erzeugen versteht. Als Krimi ist das Ganze aber sehr langweilig, es gibt nichts zu ermitteln, das einzig interessante ist der von Misel Mitjevic gut gespielte Mörder, dem man seine Verzweiflung, Erschöpfung, Wut und Leere anmerkt, der dann aber doch nur wieder Beispiel für einen Pseudorealismus vieler Formate des deutschen Film und Fernsehens ist, bei der man eine Kunst entwickelt hat, die Wirklichkeit zu simulieren mit Figuren, die wirklich erscheinen, die es aber schlichtweg nirgendwo auf dieser Welt gibt – wirklich nirgendwo (noch nicht einmal in Schweden, wo die Diskrepanz zwischen Morden in der Welt und im Fernsehen noch gigantischer ist). Dieser Realismus ist eine Masche, er hat kein Ethos, er bleibt genau in der Mitte stecken zwischen Wirklichkeit und Welt in einem Nichts, das vom Tatort ideal besetzt wird und vielleicht deswegen so stabilisierend auf die Menschen wirkt – mit dem Tatort kann ich so tun, als würde ich mich auf die Wirklichkeit einlassen, ohne irgendwelche Konsequenzen spüren zu müssen. Dass dieser Realismus eine Masche ist, lässt sich gut an einem anderen Format nachvollziehen, Über Babarossaplatz, ein Fernsehspiel vom selben Regisseur mit ähnlich überdrehten, kaputten, ebenso wirklichen wie unwirklichen Figuren – einer verhaltensgestörten Psychologin, ihrem Bekannten, einem verhaltensgestörten Psychologen und einer sexsüchtigen jungen Frau, die sich von ihnen behandeln lässt und von ihnen ganz sicher niemals geheilt werden wird – das Ganze soll nämlich eine Serie werden. Joachim Krol spielt den Psychologen und seine Figur, seine Handlungen (Rotwein ohne Ende trinken), seine Fahrigkeit und Überdrehtheit ähnelt so stark der von Milberg in diesem Tatort gespielten Figur, dass man sie wie Schablonen übereinanderlegen könnte und wenig Abweichungen finden würde. Auch die von Franziska Hartmann gespielte Figur der sexsüchtigen Frau (ich vermute stark, dass Sexsucht nur in Film und Fernsehen vorkommt) taucht im Tatort als Ex-Frau des Mörders auf und agiert in dieser Rolle auf eine ähnliche Weise wie in Über Babarossaplatz.

Ich könnte und sollte milde sein, ich will es mir mit der mich umgebenden Welt nicht verscherzen – viele Medienwissenschaftler lieben den Tatort. Ich könnte sagen, dass dieser Tatort eher die Dekonstruktion des Formats ist (das kann man immer sagen), ich sollte akzeptieren, dass der Tatort ein Umfeld für Regisseurinnen und Regisseure bietet, die sich dort mal so richtig künstlerisch austoben können und trotzdem Geld verdienen, auch wenn ich die anderen Ergebnisse, die auf diese Weise zustande gekommen sind, meist ähnlich traurig finde. Ich sollte nicht so naiv sein und irgendetwas wie Realismus vom Fernsehen erwarten, aber ich kann es einfach nicht. Diese Folge ist eben nicht untypisch für das Format und ich habe einfach ein Problem damit, wenn so viele Marker des Realismus gesetzt werden, die dann einfach im Nichts einer Wirklichkeitsimitation versanden. Ich mag Ermittlungskrimis, langwierige Polizeiarbeit, Fälle die erst nach 8 Folgen (wie in Twin Peaks) aufgelöst sind und Menschen zeigen, die von Mord emotional berührt werden und ihn noch immer als eine Ausnahmesituation begreifen, ich mag wie die Dokuserie Making of a Murderer in endlosen Polizeiprotokollen, Verhören, Gerichtsverhandlungen, Zeugenbefragungen und Fernsehberichten einen Fall aufrollt und trotz aller Mühsal und allem Material am Ende doch nicht aufzulösen vermag – aber ich mag den Tatort einfach nicht. Ich habe mich wirklich redlich bemüht, nachzuvollziehen, warum der Tatort so beliebt ist und es nur meine Verbohrtheit und mein Distinktionswille und Dünkel ist, den Tatort einfach nicht zu mögen. Aber ich denke, das Format ist so gesättigt von der Zuwendung, die es bekommt, und so zufrieden mit seinem Status, der ihm in jeder Folge wie Fett aus den Poren trieft, dass es ihm auch herzlich egal sein kann, dass ich ihn nicht mag.    
 

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