TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 31. Juli 2017

100 Straftäter und ein verseuchter Planet – The 100 zieht Science-Fiction-Fans in seinen Bann


von Verena Meier

Ein düsteres Szenario. Atombomben haben vor 97 Jahren beinahe die gesamte Erde atomar verseucht. Die vermeintlich letzten überlebenden Menschen befinden sich auf der „Ark“, einer Raumstation, die sich nach dem Atomkrieg aus zwölf einzelnen Stationen zusammengeschlossen hat. Dort oben gelten eiserne Regeln, wie beispielsweise eine Ein-Kind-Politik oder die Tatsache, dass jeglicher Regelverstoß eines über 18-Jährigen als Kapitalverbrechen gilt und mit dem Tod bestraft wird. Dank strenger Gesetze und deren akribischer Durchsetzung durch die Ratsvorsitzenden Thelonious Jaha (Isaiah Washington), Marcus Kane (Henry Ian Cusick) und Abby Griffin (Paige Turco) bleibt die Ark am Leben. Doch nach vier Generationen im All versagen langsam aber sicher wichtige Geräte der Raumstation; den Menschen geht der Sauerstoff aus. Der Plan der Ratsvorsitzenden: 100 jugendliche Straftäter, die wegen ihrer Verbrechen bis zu einer Anhörung an ihrem 18. Geburtstag unter Arrest stehen, sollen in einer geheimen Mission zur Erde geschickt werden, um herauszufinden, ob ein Leben auf dem verseuchten Planeten wieder möglich ist. 

Unter den 100 befinden sich auch die Hauptdarsteller Clarke Griffin (Eliza Taylor), Bellamy Blake (Bob Morley) und seine Schwester Octavia (Marie Avgeropulos). Diese ist es, die zur passenden Musik von Imagine Dragons‘ Song „Radioactive“ als erster ehemaliger Ark-Bewohner die Erde betritt.


Der Anblick unseres Heimatplaneten erscheint uns im ersten Moment nicht unbekannt. Im Nordosten der Vereinigten Staaten landen die 100 in einer von Bäumen und Sträuchern bewachsenen Umgebung – von verseuchter Erde zunächst keine Spur. Auch die im Vorfeld des Serienstarts beschriebene Frage der erste Folge, ob menschliches Leben auf der Erde möglich ist, kann der Zuschauer schon bald mit Ja beantworten. Ein sofortiger Strahlentod aller Charaktere nach dem Betreten der Erde ist im Interesse der Serie natürlich sowieso ausgeschlossen. Aber schon bald nach ihrer Ankunft kommen die wirklichen Fragen der ersten Staffel zum Vorschein. Auf ihrer Suche nach Nahrung begegnen die Jugendlichen Tieren, die die erschreckenden Folgen der Radioaktivität ins Bewusstsein rufen. Bilder von mutierten Wasserschlangen und anderen tierischen Waldbewohnern mit zwei Köpfen oder sechs Beinen bleiben den Zuschauern in Erinnerung. Und schließlich werden Clarke, Bellamy und ihre Freunde Monty (Christopher Larkin) und Jasper (Devon Bostick) auch von menschlichen Erdbewohnern begrüßt – indem sie letzerem einen Speer in die Brust jagen. Die „Skypeople“ sind unerwünscht im Territorium der „Grounder“. Es geht also nicht darum, ob Leben generell möglich ist, sondern darum wie die 100 überleben können, darum wie sie Nahrung finden und Frieden mit anderen Erdbewohnern schließen können. Und natürlich um die 2000 Menschen, die sich noch auf der Raumstation befinden und denen langsam aber sicher der Sauerstoff ausgeht.


Trotz eines verhältnismäßig niedrigen Budgets des kleinen US-Senders CW entführen uns Produzent Jason Rothenberg und sein Team seit März 2014 in eine Welt mit fesselnden Bildern von Angriffen zwischen Völkern der  „Grounder“ und den „Skypeople“, Bildern vom Kampf gegen den langsam versiegenden Sauerstoff auf der „Ark“. Sie zeigen uns fantastische Szenenbilder von verwahrlosten Ruinen ehemaliger amerikanischer Millionenstädte über mienenübersäte Wüstenlandschaften und ehemalige Militärbunker bis hin zu wunderschönen leuchtenden Wäldern und Tieren bei Nacht.


Die Grundidee für die Handlung der Serie hatte die New Yorker Autorin Kaas Morgen, auf deren gleichnamigen dreibändigen Buchreihe die Serie basiert. Da sich Produzent Rothenberg aber nur  am Grundgedanken und an einigen Charakteren der Buchvorlage orientiert, bleibt viel Spielraum für weitere Staffeln. Zwei Fortsetzungen liefen bereits im Sommer 2015 und 2016 auf Pro7. In diesen werden Fragen beantwortet, die Rückschlüsse auf die jüngere Geschichte der Menschen und der Erde ziehen lassen. Wer ist dafür verantwortlich, dass Atombomben abgeworfen wurden? Angesichts der sich wiederholenden Atomraketentests Nordkoreas bzw. in Erinnerung an den Kalten Krieg im letzten Jahrhundert ist diese Frage vielleicht ganz besonders interessant. Warum ist die Strahlung auf der Erde für die „Skypeople“ scheinbar ungefährlich – und ist sie es wirklich? Und leider auch: Welcher der Hauptcharaktere stirbt als nächstes? Gnädig gegenüber Publikumslieblingen sind die Macher der Serie nicht. Zu entscheiden, ob es dann schlimmer ist, ab und zu einen der Hauptcharaktere sterben zu sehen oder gleich 300 Personen in einer Folge, bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen.


Auch wenn das regelmäßige Dahinscheiden von wichtigen Personen kein Alleinstellungsmerkmal der Serie ist, hält es doch die Spannung nun bereits über vier Staffeln hinweg aufrecht. Spannend bleibt die Serie außerdem dadurch, dass die Handlung nicht einfach fortläuft, sondern Rückblicke in die Vergangenheit den Zuschauer immer mehr an der Entwicklung der Hauptcharaktere teilhaben lassen und dadurch deren zunächst teils nicht nachvollziehbares Handeln logischer erscheint. Welche Verbrechen haben die 100 begangen? Wie wurde aus der warmherzigen, offenen und fröhlichen Clarke eine distanzierte junge Frau, die knallhart Entscheidungen über das Leben anderer trifft? Warum ist Bellamy so versessen darauf, seine Schwester Octavia zu beschützen? Und wieso hat er überhaupt eine Schwester, wenn auf der „Ark“ eine Ein-Kind-Politik vorgeschrieben ist?

Natürlich können die Rückblicke nicht alle Handlungen erklären, so dass einige Fragen offen bleiben, die Kritiker der Serie negativ anhaften. Beispielsweise wirft die Tatsache, dass ausgerechnet 100 Jugendliche ohne das Wissen ihrer Eltern, ohne Nahrung, ohne Aufsichtspersonen und – was besonders für eine amerikanische Serie ungewöhnlich ist – ohne Gewehre oder andere Waffen zur Erde geschickt werden, Fragen auf. Das Schicksal von über 2000 Menschen liegt in den Händen von Straftätern, die oftmals nur wenig überlegt handeln.


Ein Sinn für Richtig und Falsch fehlt allerdings, wie man vielleicht denken könnte, nicht nur den Jugendlichen. Auch die Ratsvorsitzenden treffen Entscheidungen, bei denen sich Zuschauer fragen, wieso Personen hingerichtet werden, die für die Lösung entscheidender Komplikationen so bedeutend wären. Trotz andauernder Wiederholungen, wie wichtig bedingungsloser Zusammenhalt ist, agieren viele mit Egoismus, indem sie nur auf das Wohl ihres eigenen Volkes achten. Doch genau diese Tatsache trägt ebenfalls dazu bei, die Spannung der Serie enorm zu erhöhen. In Momenten, in denen man es am wenigsten erwartet, brechen stärkste Allianzen und eine von beiden Parteien steht vor dem Nichts.


Nach den ersten Folgen ist ein Vorbeikommen an der Serie für Fans dieses Genres kaum möglich. Zu fesselnd sind die Bilder von Angriffen, Intrigen, Mord und nervenaufreibenden Kämpfen gegen andere Völker, eine künstliche Intelligenz und schließlich gegen einen Gegner, der, selbst wenn alle zusammenarbeiten, unüberwindbar ist – die radioaktive Erde selbst. Diesen Kampf in der vierten Staffel bestaunten im Frühjahr 2017 bereits die Zuschauer in den Vereinigten Staaten, im Spätsommer soll die Serie dann bei Pro7 die deutschen Fans begeistern. Grund zur Freude für alle Fans: Die Dreharbeiten zur fünften Staffel laufen bereits.

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