von Herbert Schwaab
Genres und Formate entstehen, entwickeln, verändern und erschöpfen sich. Bauer sucht Frau gibt es in Deutschland seit 2005. 14 Jahre später versucht das Format sich dadurch zu erneuern, international zu expandieren und vier einsame Bauern aus vier Ländern – Chile, Costa Rica, Kanada und Südafrika – zu präsentieren. Bauer sucht Frau ist ein Format, das laut Wikipedia dem Präsidenten des Bauerverbandes und dem Vorsitzenden des Dachverbandes der deutschen Milchviehhalter nicht wirklich gefällt. Die Teilzeitfernsehkritiker haben messerscharf erkannt, dass die Sendung Bauern vorführt, lächerlich macht und ein Klischee vom bäuerlichen Leben zeichnet. Wir können sie aber beruhigen: Reality TV Formate machen das halt. Wir könnten uns genauso darüber beschweren, dass Wasser nass ist. Deswegen beschäftigen wir uns besser mit dem, was solche Formate unterhaltsam macht und die Zuschauenden dazu bringt, sich Bauern und Frauen, die Bauern heiraten wollen, anschauen zu wollen. Vor allem interessiert aber, welche Veränderungen die internationale Expansion verursacht.
Was auffällt: die weite Welt macht die Serie mondäner. Auch wenn der großstadtscheue Rinderzüchter Freddy sehr schüchtern ist und die Gespräche ein ums andere Mal stocken: tumb erscheint er nur deshalb, weil RTL unnötigerweise sein kanadifiziertes Schwäbisch untertitelt, was sehr diskriminierend ist. Auch die anderen Bauern wirken nicht wie Bauern, die vorgeführt werden können. Kaffeebauer Tom aus Costa Rica garniert formschön im Dschungel geschnittene Rosen mit frisch geröstetem Kaffee aus eigenem Anbau und legt das Gebinde liebevoll auf die Betten der angereisten Bewerberinnen. Auch der Bauer Marco aus Chile sieht eher aus, als hätte er sein Leben lang BWL studiert. Er spricht geschliffen und ununtertitelt hochdeutsch, aber nichtssagende, allgemeine Sätze im Marketingslang, die uns wenig weiterbringen. Auch die Anwärterinnen auf ein dann doch vielleicht nicht ganz so bäuerliches Leben haben wenig Proll-Potenzial. Sie würden auch in den Bachelor passen, sind aber dann doch etwas netter und lebensnaher und ziemlich normal. Ausgerechnet die drei älteren, dominanten Damen, die um den Kaffeebauer Tom buhlen, sind stereotyp zickig, aber entsprechen tatsächlich sehr gut einem Typus von selbstbestimmten, leicht esoterischen Frauen im besten Alter, die alles dafür tun, dass beste Zimmer in einem Hotel oder in einem Format zu bekommen. Daher deutet sich der erste wirkliche Konflikt an, als Joyce sich einfach ohne Diskussion das einzige Einzelzimmer angelt.
Der Kaffeebauer, ein graumelierte Herr im besten Alter, wirkt eher wie ein aus der Zeit gefallener, eleganter Kolonialist, auch wenn wir während der ganzen Folge keine einheimischen Bediensteten sehen und das Anwesen eigenartig leer und abgelegen erscheint. Die exotischen Settings sorgen dafür, dass wir weit entfernt von allen Irritationen des täglichen Lebens sind. Der Weg zur Farm in Afrika wird gesäumt von wilden Tieren, von Zebras, Antilopen und Warzenschweinen, und auch die Farm in Costa Rica wird gerne von kleinen Äffchen besucht. Die Orte erinnern dennoch an die dunkle Vergangenheit des Kolonialismus. Rüdiger kann wahrscheinlich nichts dafür, aber sein blondes Haar und deutsches Gesicht wecken ausgerechnet in Südafrika und seiner nicht lang zurückliegenden Geschichte der Unterdrückung der Schwarzen durch eine weiße Minderheit doch einige unangenehme Erinnerungen. Da das Setting aber in der ersten Folge zumindest eine eher von Tieren, aber nicht von Menschen bewohnte Welt vorführt, sollen solche Gedanken wohl in den Hintergrund gerückt werden. Bauer sucht Frau konstruiert bewusst idealisierte Räume ohne Widersprüche, ländliche Idyllen, die in diesem Fall noch weiter von unserem Alltag entfernt erscheinen. Reality TV erzeugt damit auch Momente der Fremdheit. Es ist ein Prinzip dieser Formate, dass ihre Settings immer eine ästhetisch verfremdete Version des Alltags liefern, das umso mehr den Fokus auf das Verhalten der Menschen in eigenartigen Situationen richten soll. Diese Momente der Fremdheit finden sich immer wieder: Das entspannte Zusammensein von Freddy mit den drei Bewerberinnen wird abrupt unterbrochen, wenn Freddy ankündigt, jetzt mit einer allein sprechen zu wollen, weil ihr verspätetes Eintreffen noch keine Gelegenheit geboten habe, sie kennenzulernen. Das ist ziemlich unhöflich und unsensibel, die anderen Frauen wirken wie vor den Kopf gestoßen durch plötzliche, wohl durch die Regie angeordnete Unterbrechungen, die die Frauen und die Zuschauer an die experimentelle Laborsituation des Reality TV erinnern. Der Wechsel von unmittelbarem Alltag zu mediatisierten Alltag, von einer normalen zu einer inszenierten Situation ist aber auch das, was die Zuschauenden anregt und zu einem Nachdenken über das Verhalten der Menschen verführt.
Die vier Bauern werden jeweils von drei Anwärterinnen auf das Leben auf einer Farm besucht. Das führt dazu, dass die 90 Minütige Folge es fast gar nicht schafft, alle Figuren richtig einzuführen und etwas rastlos durch die Welt jetten muss. Später sollen sogar noch zwei weitere Bauern eingeführt werden, was es wohl nicht einfacher machen wird. Tatsächlich sind solche Formate auch bestimmt von einer Kunst des Alternierens. Sie inszenieren den steten Wechsel von Orten und Situationen und geben der Segmentierung des Fernsehtextes, seine Unterteilung in für sich stehende Fragmente, die endlos rekombiniert werden können, eine Bedeutung. Neben dem Wechsel der Orte gibt es auch noch die kaum mehr auffallenden Übergänge von Sequenzen, die die Interaktion der drei Frauen und der Bauern zeigen, zu den Interviewsequenzen, in denen auf ungestellte Fragen geantwortet wird. Wie elegant und unsichtbar diese Übergänge wirken zeugt nicht nur von dem Gewöhnungseffekt an diese komplexe Repräsentation von Alltag und ihrer Herkunft im Dokumentarfilm, sondern auch von dem Können des Formats, solche Übergänge zu schaffen und durch die Montage die eigentlich disparaten Sequenzen zu integrieren.
Ich schaue Bauer sucht Frau nicht, aber es lässt sich leicht verstehen, was an dem Format unterhaltsam ist und bleibt und wie die als Spin off bezeichnete Formatvariation tatsächlich die Sendung zu erneuern vermag. Am Ende zählt tatsächlich immer, ob es einem Reality Format gelingt, wie es Roger Willemsen einmal gesagt hat, Menschen zum Erscheinen zu bringen. Bauer sucht Frau führt uns Menschen und Situationen vor und macht ihr und unser Verhalten sichtbar und zu einem Objekt der anregenden Begutachtung. Was tatsächlich in der internationalen Ausgabe etwas vermisst wird, sind jedoch die Alliteration. Hier gibt es keinen fleißigen Flensburger Nils oder munteren Milchbauern Gottfried oder sanften Schweinewirt Simon mehr, offensichtlich weil RTL, wie ein Beitrag anmerkt, die Alliterationen zurückgefahren hat. Schade eigentlich, ich hatte mich schon so auf den chilligen Chilenen Marco oder den rassigen Rüdiger aus Südafrika gefreut, aber man kann ja nicht alles haben.
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