Von Herbert Schwaab
Am
Freitag den 17. Mai abends, so um 19h, Meldungen auf meinem Smartphone von
Spiegel online: es gibt ein kompromittierendes Video mit H.C. Strache, Vize-Kanzler
in Österreich, und Johann Gudenus, Clubobmann der FPÖ im Parlament desselben
Landes. Keine Zeit, das Video anzuschauen, aber die Meldung und die Bilder aus
dem Video sehen vielversprechend aus. Ist das der große Skandal, den eine rechtspopulistische Regierung in
Österreich notwendig innerhalb von 2 oder 3 Jahren produziert und der sie vernichten
wird? Auch der nächste Morgen bringt noch keine Erkenntnisse, da die
Information um 18 h veröffentlicht noch nicht von der Zeitung thematisiert
werden konnte. Daher entschließen wir uns trotz der frühen Stunde, den
Fernsehapparat anzumachen und ich schaue gebannt auf ORF dem Video einer
‚bsoffenen Gschicht‘ zu, wie es später von Strache bezeichnet wird: Er in einem
sehr legeren und offenen Sommerhemd, auf einer Couch liegend, rauchend und Red Bull Wodka
trinkend, Gudenus meist stehend, übersetzedn und mit einem imaginären Revolver
in die Luft schießend, die Frau von Gudenus und eine verpixelte, vermeintliche russische
Oligarchennichte neben Strache auf dem Sofa, die sich das alles anhört, was
Strache sagt.
Das Video selbst ist Televisualität pur: Die Ibiza-Ausgabe von Big Brother. Die Fernsehtheorie betont häufig, dass Fernsehen durch seinen Livecharakter den Eindruck erweckt, die Wirklichkeit zu überwachen, daher passen auch Überwachungsformate und dieses Video mit seiner billigen Videoästhetik so gut zum Fernsehen, auch als weitere Ausgabe der Sendung „Pleiten, Pech und Pannen“ in denen Zuschauer selbst erstellte Videos von Missgeschicken zuschicken können. Fernsehen wird in diesen Momenten sehr intim, erzeugt Nähe und Abscheu zugleich, lässt uns mit diesem Video in die Welt von Rechtspopulisten und ihren hochtrabenden Fantasien eintreten. Ich schaue das Video und die weiteren Berichte auf ORF 2, einem der österreichischen Sender, die die FPÖ gerne privatisiert hätte. Ich schaue auch dabei zu, wie sich allmählich und immer intensiver ein Skandal entfaltet und wie das Fernsehen noch immer das beste Medium ist, solche Ereignisse im Moment ihres Geschehens zu dokumentieren. Es hat mich in seinem flow gefangen und wird mich lange nicht mehr loslassen.
Das Video selbst ist Televisualität pur: Die Ibiza-Ausgabe von Big Brother. Die Fernsehtheorie betont häufig, dass Fernsehen durch seinen Livecharakter den Eindruck erweckt, die Wirklichkeit zu überwachen, daher passen auch Überwachungsformate und dieses Video mit seiner billigen Videoästhetik so gut zum Fernsehen, auch als weitere Ausgabe der Sendung „Pleiten, Pech und Pannen“ in denen Zuschauer selbst erstellte Videos von Missgeschicken zuschicken können. Fernsehen wird in diesen Momenten sehr intim, erzeugt Nähe und Abscheu zugleich, lässt uns mit diesem Video in die Welt von Rechtspopulisten und ihren hochtrabenden Fantasien eintreten. Ich schaue das Video und die weiteren Berichte auf ORF 2, einem der österreichischen Sender, die die FPÖ gerne privatisiert hätte. Ich schaue auch dabei zu, wie sich allmählich und immer intensiver ein Skandal entfaltet und wie das Fernsehen noch immer das beste Medium ist, solche Ereignisse im Moment ihres Geschehens zu dokumentieren. Es hat mich in seinem flow gefangen und wird mich lange nicht mehr loslassen.
Medienereignisse
sind häufig Fernsehereignisse. Sie geben der Liveness des Fernsehens, seiner
Möglichkeit, ohne zeitliche Verzögerung von Ereignissen zu berichten, eine
Bedeutung. Im Unterschied zum Internet, dem nachgesagt wird, dass es häufig
schneller Ereignisse dokumentieren kann, bietet das Fernsehen immer noch so
etwas wie ein Dauersignal, seine Zeitlichkeit ist eine andere als die des
Internets, in dem immer wieder Daten aufgerufen werden und in dem es keinen
beständigen Fluss von Bildern, Tönen und Informationen gibt. Deswegen versuchen
Live-Streams diese Eigenschaft auch nur zu imitieren oder sind meist ergänzende
Angebote von Fernsehsendern. Diese Zeitlichkeit, dass ständig ohne
Unterbrechung gesendet wird, bekommt bei diesem Ereignis die passende, perfekte
Dramaturgie verpasst. Während ein junger Moderator des ORF 2, der eigentlich
nur ein Morgenmagazin moderieren sollte, seine Sendung auf acht Stunden
ausdehnen muss, immer
wieder neue Studiogäste hat und Interviews führt, Schaltungen zur Hofburg und
anderen wichtigen Orten des Geschehens anmoderiert, Ausschnitte aus dem
siebenstündigen Video zeigt, wird das Medienereignis durch zwei große, angekündigte
Binnenereignisse strukturiert. Es wird bekannt, dass um 12h der Vizekanzler
eine Pressekonferenz in der Hofburg geben wird. Das heißt, mindestens eine
Stunde weiterschauen. Mittlerweile formiert sich der Chor zu diesen
Ereignissen: Demonstranten vor der Hofburg, dem Regierungssitz, die bis zum
Abend immer mehr und immer glücklicher werden sollen, unter die sich Politiker
mischen und Interviews geben, und die bald zum Venga Boys Song singen und
tanzen werden: We are going to Ibiza. Spannung wird dadurch aufgebaut, dass es
immer wieder Schaltungen zum Ort der Pressekonferenz gibt, dort aber noch
nichts los ist, weil sich die Ankunft des Politikers verzögert. Dann endlich
der Auftritt, bei dem H.C.Strache, gerahmt von den FPÖ Ministern, selbst seinen
Beitrag zum Spannungsaufbau durch seine Rhetorik leistet: Erst zählt er die
Verdienste der Regierung auf, an der er beteiligt ist, und die Leistungen der
FPÖ dabei, zum Beispiel zur Bekämpfung des Antisemetismus (?????????). Dann der
Hinweist darauf, dass es eine unglaubliche Schmutzkampagne gibt im Stil von Tal
Silberstein, einem Politikberater, der für die SPÖ Dirty Campaingning betrieben
hatte, oder dass es eine
geheimdienstliche Aktion gegen ihn gegeben habe, und dann erst die
Entschuldigung für seine ‚bsoffenene Gschicht‘, die er als Machogehabe erklärt,
um der attraktiven Gastgeberin zu imponieren. Wenige Worte für die Sachen
selbst, die im Video zu hören sind, dass Strache etwa Österreich an die Russen
verkaufen wollte. Es ist eine geschliffene Rhetorik einer Entschuldigung, die
gleichzeitig Wahlkampf und Täter-Opfer Umkehr ist, und die ihren
theatralischsten Moment erreicht, als
Strache seine Frau direkt über das Medium des Fernsehens anspricht („Philippa,
ich weiß, dass du jetzt zuschaust“) und bei seiner Entschuldigung bei ihr seine
Stimme stockt und Tränen in seine Augen schießen (was aber nicht genau zu sehen
war). Strache weckt mit einer klassischen Strategie eine so starke Emotion,
dass dadurch der Blick auf die Taten selbst verdeckt werden kann. Dann erst am
Ende das, worauf alle Warten, der Rücktritt von allen Ämtern. Das war der
zweite große Moment nach dem Video, der dritte Moment ist eine perfekte
Inszenierung der Verzögerung. Der Medienwissenschaftler Lorenz Engell hat
einmal darauf hingewiesen, dass das Besondere an der Übertragung der
Mondlandung - das, woran sich alle erinnern - letztlich das endlose Warten auf die
Mondlandung gewesen sei, und das
Fernsehen das perfekte Medium für dieses Warten und das pure Vergehen von Zeit
darstelle. Und tatsächlich wird es auch hier endlos dauern, bis Sebastian Kurz
am Abend zur besten Sendezeit kurz vor 20h sein Statement abgeben wird. Das
macht aber nichts, die Sendezeit wird mit diesem Warten gefüllt, die Stunden
verrinnen, aber es gibt immer etwas zu berichten, Interviews zu führen, den
Ibiza- Chor vor der Hofburg zu zeigen -- oder die Rezeption zu unterbrechen und
bei dem schönen Wetter einen Ausflug zu machen. Wir sind pünktlich am Abend
wieder zurück, als wir den weiteren Höhepunkt dieses perfekt gestalteten
Ereignisses betrachten, die Rede von Sebastian Kurz. Auch hier wieder einer
Rhetorik der Umkehrung und Verzögerung, die erst einmal penetrant die
Leistungen seiner Regierung
herausstellt, dass schon befürchtet werden muss, dass es einfach so
weitergeht, aber dann wehleidig beklagt,
wieviel man doch schon habe aushalten müsse mit diesem Koalitionspartner und
den vielen Einzelfällen rechtsextremer Ausfälle. Es mündet in den Satz: Genug ist genug! und der Ankündigung von
Neuwahlen..
Das
war ein toller Fernsehabend und Fernsehtag und ich kann mich nicht erinnern,
wann ich es das letzte mal so genossen habe, Fernsehen zu schauen. Es gibt
viele Gründe, warum die Berichte einen Sog erzeugt haben: Die Informationen
über ein Ereignis, das mich sehr interessiert, die perfekte Strukturierung der
Ereignisse, die die Liveness des Fernsehnens ermöglicht, vielleicht auch die
vertiefte Diskussion von bestimmten Themen, die dem Füllen von Zeit geschuldet
sein mag, durch Akteure, die durch ihre eigenen Inszenierungen eine kritische
Zuschauerin oder einen kritischen Zuschauer hervorbringen, dem die Reflektion
der Mittel der Inszenierung Vergnügen bereiten. Der Abend hat aber vor allem
eines geleistet: Was eigentlich Abscheu vor der Politik erzeugen sollte,
erzeugt vielmehr eine Erleichterung darüber, dass die Institutionen – das ORF
oder der österreichische Bundespräsident etwa – noch immer funktionieren und
ich in einer Demokratie lebe. Seit 6 Jahren lebe ich nun in Österreich und ein
Symptom meiner noch nicht erfolgten Integration ist auch, dass ich wenig
österreichisches Fernsehen schaue. An diesem Tag habe ich sehr gerne den ORF
geschaut. Das Fernsehen schafft anders als das Internet Ko-präsente, virtuelle
Gemeinschaften der Zuschauenden, und seit dem 18. Mai fühle ich mich als Teil
dieser Gemeinschaft - und ein bisserl auch als Österreicher. Auch dafür danke
ich Strache ganz herzlich.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen