TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 10. Juli 2019

Big Brother auf Ibiza - Der Strache-Thementag auf ORF2, 18.5.2019


Von Herbert Schwaab 
Am Freitag den 17. Mai abends, so um 19h, Meldungen auf meinem Smartphone von Spiegel online: es gibt ein kompromittierendes Video mit H.C. Strache, Vize-Kanzler in Österreich, und Johann Gudenus, Clubobmann der FPÖ im Parlament desselben Landes. Keine Zeit, das Video anzuschauen, aber die Meldung und die Bilder aus dem Video sehen vielversprechend aus. Ist das der große Skandal,  den eine rechtspopulistische Regierung in Österreich notwendig innerhalb von 2 oder 3 Jahren produziert und der sie vernichten wird? Auch der nächste Morgen bringt noch keine Erkenntnisse, da die Information um 18 h veröffentlicht noch nicht von der Zeitung thematisiert werden konnte. Daher entschließen wir uns trotz der frühen Stunde, den Fernsehapparat anzumachen und ich schaue gebannt auf ORF dem Video einer ‚bsoffenen Gschicht‘ zu, wie es später von Strache bezeichnet wird: Er in einem sehr legeren und offenen Sommerhemd, auf einer Couch liegend, rauchend und Red Bull Wodka trinkend, Gudenus meist stehend, übersetzedn und mit einem imaginären Revolver in die Luft schießend, die Frau von Gudenus und eine verpixelte, vermeintliche russische Oligarchennichte neben Strache auf dem Sofa, die sich das alles anhört, was Strache sagt.
Das Video selbst ist Televisualität pur: Die Ibiza-Ausgabe von Big Brother. Die Fernsehtheorie betont häufig, dass Fernsehen durch seinen Livecharakter den Eindruck erweckt, die Wirklichkeit zu überwachen, daher passen auch Überwachungsformate und dieses Video mit seiner billigen Videoästhetik so gut zum Fernsehen, auch als weitere Ausgabe der Sendung „Pleiten, Pech und Pannen“ in denen Zuschauer selbst erstellte Videos von Missgeschicken zuschicken können. Fernsehen wird in diesen Momenten sehr intim, erzeugt Nähe und Abscheu zugleich, lässt uns mit diesem Video in die Welt von Rechtspopulisten und ihren hochtrabenden Fantasien eintreten. Ich schaue das Video und die weiteren Berichte auf ORF 2, einem der österreichischen Sender, die die FPÖ gerne privatisiert hätte. Ich schaue auch dabei zu, wie sich allmählich und immer intensiver ein Skandal entfaltet und wie das Fernsehen noch immer das beste Medium ist, solche Ereignisse im Moment ihres Geschehens zu dokumentieren. Es hat mich in seinem flow gefangen und wird mich lange nicht mehr loslassen.
Medienereignisse sind häufig Fernsehereignisse. Sie geben der Liveness des Fernsehens, seiner Möglichkeit, ohne zeitliche Verzögerung von Ereignissen zu berichten, eine Bedeutung. Im Unterschied zum Internet, dem nachgesagt wird, dass es häufig schneller Ereignisse dokumentieren kann, bietet das Fernsehen immer noch so etwas wie ein Dauersignal, seine Zeitlichkeit ist eine andere als die des Internets, in dem immer wieder Daten aufgerufen werden und in dem es keinen beständigen Fluss von Bildern, Tönen und Informationen gibt. Deswegen versuchen Live-Streams diese Eigenschaft auch nur zu imitieren oder sind meist ergänzende Angebote von Fernsehsendern. Diese Zeitlichkeit, dass ständig ohne Unterbrechung gesendet wird, bekommt bei diesem Ereignis die passende, perfekte Dramaturgie verpasst. Während ein junger Moderator des ORF 2, der eigentlich nur ein Morgenmagazin moderieren sollte, seine Sendung auf acht Stunden ausdehnen muss, immer wieder neue Studiogäste hat und Interviews führt, Schaltungen zur Hofburg und anderen wichtigen Orten des Geschehens anmoderiert, Ausschnitte aus dem siebenstündigen Video zeigt, wird das Medienereignis durch zwei große, angekündigte Binnenereignisse strukturiert. Es wird bekannt, dass um 12h der Vizekanzler eine Pressekonferenz in der Hofburg geben wird. Das heißt, mindestens eine Stunde weiterschauen. Mittlerweile formiert sich der Chor zu diesen Ereignissen: Demonstranten vor der Hofburg, dem Regierungssitz, die bis zum Abend immer mehr und immer glücklicher werden sollen, unter die sich Politiker mischen und Interviews geben, und die bald zum Venga Boys Song singen und tanzen werden: We are going to Ibiza. Spannung wird dadurch aufgebaut, dass es immer wieder Schaltungen zum Ort der Pressekonferenz gibt, dort aber noch nichts los ist, weil sich die Ankunft des Politikers verzögert. Dann endlich der Auftritt, bei dem H.C.Strache, gerahmt von den FPÖ Ministern, selbst seinen Beitrag zum Spannungsaufbau durch seine Rhetorik leistet: Erst zählt er die Verdienste der Regierung auf, an der er beteiligt ist, und die Leistungen der FPÖ dabei, zum Beispiel zur Bekämpfung des Antisemetismus (?????????). Dann der Hinweist darauf, dass es eine unglaubliche Schmutzkampagne gibt im Stil von Tal Silberstein, einem Politikberater, der für die SPÖ Dirty Campaingning betrieben hatte,  oder dass es eine geheimdienstliche Aktion gegen ihn gegeben habe, und dann erst die Entschuldigung für seine ‚bsoffenene Gschicht‘, die er als Machogehabe erklärt, um der attraktiven Gastgeberin zu imponieren. Wenige Worte für die Sachen selbst, die im Video zu hören sind, dass Strache etwa Österreich an die Russen verkaufen wollte. Es ist eine geschliffene Rhetorik einer Entschuldigung, die gleichzeitig Wahlkampf und Täter-Opfer Umkehr ist, und die ihren theatralischsten Moment erreicht,  als Strache seine Frau direkt über das Medium des Fernsehens anspricht („Philippa, ich weiß, dass du jetzt zuschaust“) und bei seiner Entschuldigung bei ihr seine Stimme stockt und Tränen in seine Augen schießen (was aber nicht genau zu sehen war). Strache weckt mit einer klassischen Strategie eine so starke Emotion, dass dadurch der Blick auf die Taten selbst verdeckt werden kann. Dann erst am Ende das, worauf alle Warten, der Rücktritt von allen Ämtern. Das war der zweite große Moment nach dem Video, der dritte Moment ist eine perfekte Inszenierung der Verzögerung. Der Medienwissenschaftler Lorenz Engell hat einmal darauf hingewiesen, dass das Besondere an der Übertragung der Mondlandung - das, woran sich alle erinnern -  letztlich das endlose Warten auf die Mondlandung gewesen sei,  und das Fernsehen das perfekte Medium für dieses Warten und das pure Vergehen von Zeit darstelle. Und tatsächlich wird es auch hier endlos dauern, bis Sebastian Kurz am Abend zur besten Sendezeit kurz vor 20h sein Statement abgeben wird. Das macht aber nichts, die Sendezeit wird mit diesem Warten gefüllt, die Stunden verrinnen, aber es gibt immer etwas zu berichten, Interviews zu führen, den Ibiza- Chor vor der Hofburg zu zeigen -- oder die Rezeption zu unterbrechen und bei dem schönen Wetter einen Ausflug zu machen. Wir sind pünktlich am Abend wieder zurück, als wir den weiteren Höhepunkt dieses perfekt gestalteten Ereignisses betrachten, die Rede von Sebastian Kurz. Auch hier wieder einer Rhetorik der Umkehrung und Verzögerung, die erst einmal penetrant die Leistungen seiner Regierung  herausstellt, dass schon befürchtet werden muss, dass es einfach so weitergeht,  aber dann wehleidig beklagt, wieviel man doch schon habe aushalten müsse mit diesem Koalitionspartner und den vielen Einzelfällen rechtsextremer Ausfälle. Es mündet in den Satz:  Genug ist genug! und der Ankündigung von Neuwahlen..
Das war ein toller Fernsehabend und Fernsehtag und ich kann mich nicht erinnern, wann ich es das letzte mal so genossen habe, Fernsehen zu schauen. Es gibt viele Gründe, warum die Berichte einen Sog erzeugt haben: Die Informationen über ein Ereignis, das mich sehr interessiert, die perfekte Strukturierung der Ereignisse, die die Liveness des Fernsehnens ermöglicht, vielleicht auch die vertiefte Diskussion von bestimmten Themen, die dem Füllen von Zeit geschuldet sein mag, durch Akteure, die durch ihre eigenen Inszenierungen eine kritische Zuschauerin oder einen kritischen Zuschauer hervorbringen, dem die Reflektion der Mittel der Inszenierung Vergnügen bereiten. Der Abend hat aber vor allem eines geleistet: Was eigentlich Abscheu vor der Politik erzeugen sollte, erzeugt vielmehr eine Erleichterung darüber, dass die Institutionen – das ORF oder der österreichische Bundespräsident etwa – noch immer funktionieren und ich in einer Demokratie lebe. Seit 6 Jahren lebe ich nun in Österreich und ein Symptom meiner noch nicht erfolgten Integration ist auch, dass ich wenig österreichisches Fernsehen schaue. An diesem Tag habe ich sehr gerne den ORF geschaut. Das Fernsehen schafft anders als das Internet Ko-präsente, virtuelle Gemeinschaften der Zuschauenden, und seit dem 18. Mai fühle ich mich als Teil dieser Gemeinschaft - und ein bisserl auch als Österreicher. Auch dafür danke ich Strache ganz herzlich.

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