TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 24. Juli 2019

Serien enden!

von Herbert Schwaab 


Spoiler Alert
I want you ist einer der längsten Songs, den die Beatles veröffentlicht haben. Er wiederholt nur wenige Worte, die die Liebe und das Verlangen John Lennons zu und nach Yoko Ono ausdrücken sollen, und lässt den Song in einem Fadeout ausklingen. Das Fadeout ist schön, aber auch lang, und dieser simple, aber auch verzweifelte Song scheint kein Ende zu finden. Das Ende beschert eine Schere, die das Tonband einfach durchschneidet – unglaublich brutal und abrupt, aber immerhin ein Ende. John Lennon mag sich das an dem Nouvelle Vague-Film Jules und Jim von François Truffaut abgeschaut haben, der seinen verspielten Liebesfilm auch abrupt enden lässt: mit einem herbeigeführten, aber unvorbereiteten Unfall, der ein Auto von einer Brücke stürzen lässt. I want you und Jules und Jim reflektieren damit auch über die Enden von Musik und von Film, vielleicht auch als eine Kritik an der Geschlossenheit, die Erzählungen und Musikstücke immer zu erzeugen versuchen. Tatsächlich wünschte ich mir, es gäbe auch bei Serien eine Schere, die einfach die die Episode durchschneidet, alle narrativen Fäden kappt und endgültig, kalt und schmerzlos alles beendet. Es ist manchmal eine Qual, dass Serien kein Ende finden.
Making a Murderer endet in der Offenheit, die nun mal unvermeidlich ist bei einem Fall, der mögliche Irrtümer und Manipulationen der Strafverfolgungsbehörden analysiert und natürlich diesen rätselhaften Fall nicht lösen kann, aber dafür viele Fragen aufwirft. Es war ein tolle Serie, aber die Fortsetzung war selbst wie ein Verbrechen am Zuschauer: Es ist kein gutes Gefühl, sich eigentlich für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit zu interessieren, aber dann genervt zu sein davon, dass der Fall weiter gemolken wird, bis zu einem Ende, dass ich dann nicht mehr gesehen habe. True Crime Investigationen können selten Fälle lösen, sie erzeugen Ambivalenz und Zweifel und müssen die Zuschauenden, die selbst nicht entscheiden können, ob jemand unschuldig ist oder nicht, ratlos zurücklassen. Dass die Serie und Netflix aus unterschiedlichen Gründen das offensichtlich nicht aushalten und nachlegen, führt nur dazu, dass noch mehr Ambivalenz und Ratlosigkeit erzeugt wird. Ich hätte mir gewünscht, dass die Serie mit der ersten aufregenden Staffel auch ihr Ende findet, weil es sowieso viele Möglichkeiten gibt, diesen Fall in anderen Medien weiter zu verfolgen.
Ozark hätte so schön Enden können: In der zweiten Staffel gibt es bei der Eröffnung eines Casinos ein kleines Fest, das viele Möglichkeit eröffnet, diese Familien- und Verbrechensgeschichte zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Aber es wird eine weitere Staffel geben. Das bedeutet, dass ich als Zuschauer weiter mitansehen muss, wie der emsige Buchalter und seine Familie immer tiefer in das Verbrechen verstrickt werden und auf eine Katastrophe zusteuern. Das macht Spaß, aber ist auch immer etwas zu aufregend. Immer wieder von neuem müssen wir uns entscheiden, eine Serie anzufangen oder weiterzuschauen und wenn wir sie schauen, wissen wir oft, dass wir uns in Komplikationen und Gefahren verstricken werden und Angst um lieb gewonnene Figuren haben müssen. Es ist anstrengend, eine Serie mit fortlaufender Geschichte zu schauen, und ich bin mir unsicher, ob ich nochmal eine Staffel Ozark wirklich will.
Die zweite Staffel von Thirteen Reasons Why hätte auch nicht unbedingt sein müssen, hat dann aber doch ganz gut funktioniert. Aber ganz gut ist nicht gut genug und ich würde mich besser an diese Serie erinnern können, irgendwann einmal, wenn ich noch älter bin, wenn sie es mit der ersten Staffel, die noch der Buchvorlage gefolgt ist, hätten enden lassen. Aber der unerbittliche Cliffhanger, auch am Ende der zweiten Staffel, lässt erahnen, dass es weitergehen muss, aber muss es das wirklich?
Serien sind keine natürlichen Gebilde. Es gibt kein Serienreich, in dem Menschen parallel zu unserer eigenen Welt ihr eigenes Leben führen, erscheinen und vergehen, nach den Gesetzen ihrer Welt. So stellen wir uns das trotzdem häufig vor. Serienwelten sind aber von Menschen mit ökonomischen Interessen gebaute Welten und die Gründe dafür, ob eine Serie weitergeht oder endet, entscheiden wirtschaftliche Erwägungen, bei Netflix auch Algorithmen. Das ist dann tatsächlich eine Macht, die über die Macht der Menschen, die Zuschauenden, hinausgeht und Gefühle von Ohnmacht hinterlässt. Es herrscht eine Willkürherrschaft der Fortsetzung von Dingen, die eigentlich auch enden könnten, und Netflix hat das ganze schlimmer gemacht, weil dieses Fortsetzen nicht mehr an die jährlichen Ausstrahlungsrhythmen des Fernsehens gebunden ist. Wir wissen, dass es weitergeht, aber wir wissen nie, wann genau. Das ist ein weiterer Grund, warum ich mir auch bei Serien, die mir sehr gut gefallen haben, dennoch wünsche, dass eine Schere einfach alles durchtrennt. Ich ertrage diese Willkür und Ungewissheit einfach nicht mehr.
Dabei gibt viele Möglichkeiten, eine Serie zu enden. Es gibt auch einige, die sogar einigermaßen zufriedenstellend sein können. Am besten, es wird ein Fest gefeiert. The Mary Tyler Moore Show aus den 1970er Jahren  beendet nach sieben Jahren die Sitcom, die in einem Nachrichtenstudio eines kleinen Senders spielt mit der Einstellung der Sendung aus wirtschaftlichen Gründen. Das ist ein netter Hinweis auf die Gründe für die Einstellung der Sitcom selbst. Alle Mitarbeiter und Figuren dieser Sitcom feiern in dem leeren Studio ein letztes, versöhnliches Fest, umarmen sich alle und damit auch ihre Zuschauenden und machen dann einfach das Licht aus. Lost lässt diese Mysteryserie, die so viele Fragen aufgeworfen hat, nicht mit der Lösung aller dieser Rätsel enden, sondern mit einer Zeremonie, die viele Zuschauenden zufrieden zurückgelassen hat, als emotional ergreifendes Begräbnis der Serie, die ein Abschiednehmen erlaubte, aber auch viele Zuschauer verärgert hat. Hat tatsächlich jemand gedacht, dass alles würde auf eine große und befriedigende Auflösung zusteuern. Die englische Version von The Office feiert ebenfalls ein Weihnachtsfest als Christmas Special nach Ausstrahlung der zweiten und letzten Staffel und führt nicht nur einige angedeutete Plotlines auf ergreifende Weise zu einem Ende, sondern schafft es sogar, einen finalen Moment des Mitleides und des Mitfühlens für die unempathische Hauptfigur David Brent zu schaffen und ihm eine psychologische Tiefe zu gehen. Das funktioniert bei einer kurzen Sitcom ganz gut, aber auch längere Serie wie Emergency Room greifen auf das Fest zurück, um das Abschiednehmen leichter zu machen und vor allem auch noch einmal alle Figuren, die bereits lange ausgestiegen waren, ein letztes Mal vorbeischauen zu lassen, als ein von Carter (die einzige Figur neben vielen Nebenfiguren, die von Anfang bis Ende dabei war) gestifteter, neuer Flügel des Krankenhauses eingeweiht wird. Hier wird den endlosen Erinnerungen, die eine Serie produziert, Bedeutung gegeben. Selbst Gilmore Girls, deren letzte Staffel immer so kritisiert wird, hat ein nettes Ende geschaffen, wieder auf einem kleinen Fest in Stars Hollow, einer etwas eilig inszenierten Versöhnung von Lorelai und Luke, aber der guten Entscheidung von Rory, den langweiligen Schleimer Logan zurückzulassen und ihren eigenen Weg zu gehen. Die Serienfortsetzung in vierteiliger Spielfilmform wurde von den Algorithmen von Netflix angerichtet, aber auch wenn dort gezeigt wird, wie Rorys eigener Weg doch nicht so erfolgreich war und der Dauergrinser Logan wieder auftaucht, war es doch ein interessanter Versuch einer endlosen Reprise, die sowohl die Figuren wieder aufleben lässt, neue Facetten von ihnen zeigt (wie bei der endlich emanzipierten Emily), als auch einige Dinge zusammenführt und zu einem guten Ende bringt.
Neben diesen versöhnlichen Enden, gibt es viele eigenartige, bizarre, dafür aber faszinierende Enden. Das berühmteste bietet die Krankenhausserie St. Elsewhere, ein frühes Beispiel für Quality Television aus den 1980er Jahren. Hier spielt ein kleiner Junge, der als Mensch mit Autismus porträtiert wird, mit einer Schneekugel, die dann abgestellt wird. In einer langen Kamerafahrt steuert die Kamera die Kugel an und wir sehen in ihr eine Replik des Krankenhauses, in dem die Serie spielt. Was das bedeutet, beschäftigt schon lange viele Menschen, aber wenn es bedeuten soll, dass die Serie nur ein Traum eines Jungen gewesen ist, eine in eine Schneekugel eingesperrte Fantasie, dann negiert sie alles, was den Zuschauer an dieser realistischen und psychologisch tiefgründigen Serie, die den Krankenhausalltag proträtiert, interessiert hat. Auch Dallas endet seine 14 Staffeln mit einer Fantasieepisode, einer Alptraumversion des Films Ist das Leben nicht schön, in der ein verzweifelter Mann, der sein Leben in Frage stellt, von einem Engel vorgeführt bekommt, wie die Welt aussehen würde, wenn es ihn nicht gegeben hätte. In Dallas führt eine teufelsartige Figur dem Fiesling J.R. vor, wie die Welt ausgesehen hätte, wenn es ihn nicht gegeben hätte: Besser. Das lässt dann die Serie in einen dramatischen Akt münden. Es ist schon eine Zumutung für die Zuschauenden dieser Primetime-Soap, die so extrem erfolgreich war, in purer und negativer Fantasy zu enden. Aber dies bietet nicht nur die Möglichkeit, in dem Vorfühen des Lebens Figuren und Ereignnisse der Serie zu resümieren, sondern passt zu einer Serie,  die uns zugemutet hat, zu akzeptieren, dass die über zwanzig Folgen einer gesamten Staffel nachträglich als der Traum einer der Hauptfiguren ausgegeben wurden, weil ein getötete Hauptfigur wieder in die Serie integriert werden sollte. Es lässt sich mit solchen Folgen endlos darüber nachdenken, ob eine Serie nicht immer als Fiktion ein Traum ist, den wir alle träumen, und für den es keine Erklärungen geben muss. Die Serie Dynastie dagegen kam dem Ende des Beatlessongs relativ nahe. Hier werden am Ende der 5. Staffel alle Angehörigen der Serie Opfer einer Terrorattacke und von Maschinengewehre durchsiebt. Dann war es doch nur ein Megacliffhanger, der in der folgenden Staffel damit aufgelöst wurde, dass doch die meisten das Massaker überlebt haben. Es wäre deswegen ein gutes Ende, weil es zum Schema der Primetime Soap passt, ständig Probleme zu akkumulieren und nur einige davon zu lösen und dafür immer neue zu schaffen. Das kann nur auf einen Moment der Katastrophe hinsteuern und uns damit Entlastung bieten, die dann aber doch nicht final ist. Verwandt damit ist die Erscheinung der Erschöpfung, die sich bei einigen Sitcoms einstellt, die zu lange laufen. King of Queens hat sich in der letzten, verkürzten Staffel zu seinem Ende hingeschleppt. Eigentlich kennt eine Sitcom ja nur den temporären Ausnahmezustand und führt jede Episode wieder zu einem Zustand der Stabilität zurück. Aber King of Queens war am Ende im Dauerkonflikt und zeigte die massive und dramatische Entfremdung von Doug und Carrie, die allen Zuschauenden gute Gründe gab, sich zu wünschen, dass das jetzt ein Ende hat. Kein gutes, aber ein passendes Ende, das mit einem letzten Moment aber dann doch noch ein wenig aufgehoben wurde.
Diese kleine Aufstellung zeigt vielleicht, wie schwierig und komplex das Beenden von Serien ist, aber dieser Text ist auch ein kleiner Aufruf dazu, Serien enden zu lassen und darauf zu verzichten, damit auch eine befriedigende Geschlossenheit zu erzielen, die es nur in der Form des Festes, aber selten in der Form der Zusammenführung aller Fäden der Geschichte und der zufriedenen Auflösung aller Rätsel gibt: Dafür sind Serien einfach nicht gedacht. Aber natürlich stellt sich immer die Frage, wie etwas beendet werden kann und es gibt  immer den Wunsch mit einer Schere einfach alles durchzuschneiden. Aber das ist eine brutale und wenig zufriedenstellende Form und sol........ 

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