von Herbert Schwaab
Spoiler Alert
I want you ist einer der längsten Songs, den die Beatles veröffentlicht haben. Er wiederholt nur wenige Worte, die die Liebe und das Verlangen John Lennons zu und nach Yoko Ono ausdrücken sollen, und lässt den Song in einem Fadeout ausklingen. Das Fadeout ist schön, aber auch lang, und dieser simple, aber auch verzweifelte Song scheint kein Ende zu finden. Das Ende beschert eine Schere, die das Tonband einfach durchschneidet – unglaublich brutal und abrupt, aber immerhin ein Ende. John Lennon mag sich das an dem Nouvelle Vague-Film Jules und Jim von François Truffaut abgeschaut haben, der seinen verspielten Liebesfilm auch abrupt enden lässt: mit einem herbeigeführten, aber unvorbereiteten Unfall, der ein Auto von einer Brücke stürzen lässt. I want you und Jules und Jim reflektieren damit auch über die Enden von Musik und von Film, vielleicht auch als eine Kritik an der Geschlossenheit, die Erzählungen und Musikstücke immer zu erzeugen versuchen. Tatsächlich wünschte ich mir, es gäbe auch bei Serien eine Schere, die einfach die die Episode durchschneidet, alle narrativen Fäden kappt und endgültig, kalt und schmerzlos alles beendet. Es ist manchmal eine Qual, dass Serien kein Ende finden.
I want you ist einer der längsten Songs, den die Beatles veröffentlicht haben. Er wiederholt nur wenige Worte, die die Liebe und das Verlangen John Lennons zu und nach Yoko Ono ausdrücken sollen, und lässt den Song in einem Fadeout ausklingen. Das Fadeout ist schön, aber auch lang, und dieser simple, aber auch verzweifelte Song scheint kein Ende zu finden. Das Ende beschert eine Schere, die das Tonband einfach durchschneidet – unglaublich brutal und abrupt, aber immerhin ein Ende. John Lennon mag sich das an dem Nouvelle Vague-Film Jules und Jim von François Truffaut abgeschaut haben, der seinen verspielten Liebesfilm auch abrupt enden lässt: mit einem herbeigeführten, aber unvorbereiteten Unfall, der ein Auto von einer Brücke stürzen lässt. I want you und Jules und Jim reflektieren damit auch über die Enden von Musik und von Film, vielleicht auch als eine Kritik an der Geschlossenheit, die Erzählungen und Musikstücke immer zu erzeugen versuchen. Tatsächlich wünschte ich mir, es gäbe auch bei Serien eine Schere, die einfach die die Episode durchschneidet, alle narrativen Fäden kappt und endgültig, kalt und schmerzlos alles beendet. Es ist manchmal eine Qual, dass Serien kein Ende finden.
Making
a Murderer endet in der Offenheit, die nun mal
unvermeidlich ist bei einem Fall, der mögliche Irrtümer und Manipulationen der
Strafverfolgungsbehörden analysiert und natürlich diesen rätselhaften Fall
nicht lösen kann, aber dafür viele Fragen aufwirft. Es war ein tolle Serie,
aber die Fortsetzung war selbst wie ein Verbrechen am Zuschauer: Es ist kein gutes
Gefühl, sich eigentlich für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit zu
interessieren, aber dann genervt zu sein davon, dass der Fall weiter gemolken
wird, bis zu einem Ende, dass ich dann nicht mehr gesehen habe. True Crime
Investigationen können selten Fälle lösen, sie erzeugen Ambivalenz und Zweifel
und müssen die Zuschauenden, die selbst nicht entscheiden können, ob jemand
unschuldig ist oder nicht, ratlos zurücklassen. Dass die Serie und Netflix aus
unterschiedlichen Gründen das offensichtlich nicht aushalten und nachlegen,
führt nur dazu, dass noch mehr Ambivalenz und Ratlosigkeit erzeugt wird. Ich
hätte mir gewünscht, dass die Serie mit der ersten aufregenden Staffel auch ihr
Ende findet, weil es sowieso viele Möglichkeiten gibt, diesen Fall in anderen
Medien weiter zu verfolgen.
Ozark hätte so schön Enden können: In der zweiten
Staffel gibt es bei der Eröffnung eines Casinos ein kleines Fest, das viele
Möglichkeit eröffnet, diese Familien- und Verbrechensgeschichte zu einem
versöhnlichen Ende zu bringen. Aber es wird eine weitere Staffel geben. Das
bedeutet, dass ich als Zuschauer weiter mitansehen muss, wie der emsige
Buchalter und seine Familie immer tiefer in das Verbrechen verstrickt werden
und auf eine Katastrophe zusteuern. Das macht Spaß, aber ist auch immer etwas
zu aufregend. Immer wieder von neuem müssen wir uns entscheiden, eine Serie
anzufangen oder weiterzuschauen und wenn wir sie schauen, wissen wir oft, dass
wir uns in Komplikationen und Gefahren verstricken werden und Angst um lieb
gewonnene Figuren haben müssen. Es ist anstrengend, eine Serie mit
fortlaufender Geschichte zu schauen, und ich bin mir unsicher, ob ich nochmal
eine Staffel Ozark wirklich will.
Die zweite Staffel von Thirteen Reasons Why hätte auch nicht
unbedingt sein müssen, hat dann aber doch ganz gut funktioniert. Aber ganz gut
ist nicht gut genug und ich würde mich besser an diese Serie erinnern können,
irgendwann einmal, wenn ich noch älter bin, wenn sie es mit der ersten Staffel,
die noch der Buchvorlage gefolgt ist, hätten enden lassen. Aber der
unerbittliche Cliffhanger, auch am Ende der zweiten Staffel, lässt erahnen,
dass es weitergehen muss, aber muss es das wirklich?
Serien sind keine natürlichen Gebilde.
Es gibt kein Serienreich, in dem Menschen parallel zu unserer eigenen Welt ihr
eigenes Leben führen, erscheinen und vergehen, nach den Gesetzen ihrer Welt. So
stellen wir uns das trotzdem häufig vor. Serienwelten sind aber von Menschen
mit ökonomischen Interessen gebaute Welten und die Gründe dafür, ob eine Serie
weitergeht oder endet, entscheiden wirtschaftliche Erwägungen, bei Netflix auch
Algorithmen. Das ist dann tatsächlich eine Macht, die über die Macht der
Menschen, die Zuschauenden, hinausgeht und Gefühle von Ohnmacht hinterlässt. Es
herrscht eine Willkürherrschaft der Fortsetzung von Dingen, die eigentlich auch
enden könnten, und Netflix hat das ganze schlimmer gemacht, weil dieses
Fortsetzen nicht mehr an die jährlichen Ausstrahlungsrhythmen des Fernsehens
gebunden ist. Wir wissen, dass es weitergeht, aber wir wissen nie, wann genau.
Das ist ein weiterer Grund, warum ich mir auch bei Serien, die mir sehr gut
gefallen haben, dennoch wünsche, dass eine Schere einfach alles durchtrennt.
Ich ertrage diese Willkür und Ungewissheit einfach nicht mehr.
Dabei gibt viele Möglichkeiten, eine
Serie zu enden. Es gibt auch einige, die sogar einigermaßen zufriedenstellend
sein können. Am besten, es wird ein Fest gefeiert. The Mary Tyler Moore Show aus den 1970er Jahren
beendet nach sieben Jahren die Sitcom, die in einem Nachrichtenstudio
eines kleinen Senders spielt mit der Einstellung der Sendung aus
wirtschaftlichen Gründen. Das ist ein netter Hinweis auf die Gründe für die
Einstellung der Sitcom selbst. Alle Mitarbeiter und Figuren dieser Sitcom
feiern in dem leeren Studio ein letztes, versöhnliches Fest, umarmen sich alle
und damit auch ihre Zuschauenden und machen dann einfach das Licht aus. Lost lässt diese Mysteryserie, die so
viele Fragen aufgeworfen hat, nicht mit der Lösung aller dieser Rätsel enden,
sondern mit einer Zeremonie, die viele Zuschauenden zufrieden zurückgelassen
hat, als emotional ergreifendes Begräbnis der Serie, die ein Abschiednehmen
erlaubte, aber auch viele Zuschauer verärgert hat. Hat tatsächlich jemand
gedacht, dass alles würde auf eine große und befriedigende Auflösung zusteuern.
Die englische Version von The Office
feiert ebenfalls ein Weihnachtsfest als Christmas Special nach Ausstrahlung der
zweiten und letzten Staffel und führt nicht nur einige angedeutete Plotlines
auf ergreifende Weise zu einem Ende, sondern schafft es sogar, einen finalen
Moment des Mitleides und des Mitfühlens für die unempathische Hauptfigur David
Brent zu schaffen und ihm eine psychologische Tiefe zu gehen. Das funktioniert
bei einer kurzen Sitcom ganz gut, aber auch längere Serie wie Emergency Room greifen auf das Fest
zurück, um das Abschiednehmen leichter zu machen und vor allem auch noch einmal
alle Figuren, die bereits lange ausgestiegen waren, ein letztes Mal vorbeischauen
zu lassen, als ein von Carter (die einzige Figur neben vielen Nebenfiguren, die
von Anfang bis Ende dabei war) gestifteter, neuer Flügel des Krankenhauses
eingeweiht wird. Hier wird den endlosen Erinnerungen, die eine Serie produziert,
Bedeutung gegeben. Selbst Gilmore Girls,
deren letzte Staffel immer so kritisiert wird, hat ein nettes Ende geschaffen,
wieder auf einem kleinen Fest in Stars Hollow, einer etwas eilig inszenierten
Versöhnung von Lorelai und Luke, aber der guten Entscheidung von Rory, den
langweiligen Schleimer Logan zurückzulassen und ihren eigenen Weg zu gehen. Die
Serienfortsetzung in vierteiliger Spielfilmform wurde von den Algorithmen von
Netflix angerichtet, aber auch wenn dort gezeigt wird, wie Rorys eigener Weg doch
nicht so erfolgreich war und der Dauergrinser Logan wieder auftaucht, war es
doch ein interessanter Versuch einer endlosen Reprise, die sowohl die Figuren
wieder aufleben lässt, neue Facetten von ihnen zeigt (wie bei der endlich
emanzipierten Emily), als auch einige Dinge zusammenführt und zu einem guten
Ende bringt.
Neben diesen versöhnlichen Enden, gibt
es viele eigenartige, bizarre, dafür aber faszinierende Enden. Das berühmteste
bietet die Krankenhausserie St. Elsewhere,
ein frühes Beispiel für Quality Television aus den 1980er Jahren. Hier spielt
ein kleiner Junge, der als Mensch mit Autismus porträtiert wird, mit einer
Schneekugel, die dann abgestellt wird. In einer langen Kamerafahrt steuert die
Kamera die Kugel an und wir sehen in ihr eine Replik des Krankenhauses, in dem
die Serie spielt. Was das bedeutet, beschäftigt schon lange viele Menschen,
aber wenn es bedeuten soll, dass die Serie nur ein Traum eines Jungen gewesen
ist, eine in eine Schneekugel eingesperrte Fantasie, dann negiert sie alles,
was den Zuschauer an dieser realistischen und psychologisch tiefgründigen Serie,
die den Krankenhausalltag proträtiert, interessiert hat. Auch Dallas endet seine 14 Staffeln mit einer
Fantasieepisode, einer Alptraumversion des Films Ist das Leben nicht schön, in der ein verzweifelter Mann, der sein
Leben in Frage stellt, von einem Engel vorgeführt bekommt, wie die Welt
aussehen würde, wenn es ihn nicht gegeben hätte. In Dallas führt eine teufelsartige Figur dem Fiesling J.R. vor, wie
die Welt ausgesehen hätte, wenn es ihn nicht gegeben hätte: Besser. Das lässt
dann die Serie in einen dramatischen Akt münden. Es ist schon eine Zumutung für
die Zuschauenden dieser Primetime-Soap, die so extrem erfolgreich war, in purer und negativer Fantasy zu enden. Aber dies
bietet nicht nur die Möglichkeit, in dem Vorfühen des Lebens Figuren und
Ereignnisse der Serie zu resümieren, sondern passt zu einer Serie, die uns zugemutet hat, zu akzeptieren, dass
die über zwanzig Folgen einer gesamten Staffel nachträglich als der Traum einer
der Hauptfiguren ausgegeben wurden, weil ein getötete Hauptfigur wieder in die
Serie integriert werden sollte. Es lässt sich mit solchen Folgen endlos darüber
nachdenken, ob eine Serie nicht immer als Fiktion ein Traum ist, den wir alle
träumen, und für den es keine Erklärungen geben muss. Die Serie Dynastie dagegen kam dem Ende des
Beatlessongs relativ nahe. Hier werden am Ende der 5. Staffel alle Angehörigen
der Serie Opfer einer Terrorattacke und von Maschinengewehre durchsiebt. Dann
war es doch nur ein Megacliffhanger, der in der folgenden Staffel damit
aufgelöst wurde, dass doch die meisten das Massaker überlebt haben. Es wäre
deswegen ein gutes Ende, weil es zum Schema der Primetime Soap passt, ständig
Probleme zu akkumulieren und nur einige davon zu lösen und dafür immer neue zu
schaffen. Das kann nur auf einen Moment der Katastrophe hinsteuern und uns
damit Entlastung bieten, die dann aber doch nicht final ist. Verwandt damit ist
die Erscheinung der Erschöpfung, die sich bei einigen Sitcoms einstellt, die zu
lange laufen. King of Queens hat sich
in der letzten, verkürzten Staffel zu seinem Ende hingeschleppt. Eigentlich
kennt eine Sitcom ja nur den temporären Ausnahmezustand und führt jede Episode
wieder zu einem Zustand der Stabilität zurück. Aber King of Queens war am Ende im Dauerkonflikt und zeigte die massive
und dramatische Entfremdung von Doug und Carrie, die allen Zuschauenden gute
Gründe gab, sich zu wünschen, dass das jetzt ein Ende hat. Kein gutes, aber ein
passendes Ende, das mit einem letzten Moment aber dann doch noch ein wenig
aufgehoben wurde.
Diese kleine Aufstellung zeigt
vielleicht, wie schwierig und komplex das Beenden von Serien ist, aber dieser
Text ist auch ein kleiner Aufruf dazu, Serien enden zu lassen und darauf zu
verzichten, damit auch eine befriedigende Geschlossenheit zu erzielen, die es
nur in der Form des Festes, aber selten in der Form der Zusammenführung aller
Fäden der Geschichte und der zufriedenen Auflösung aller Rätsel gibt: Dafür sind
Serien einfach nicht gedacht. Aber natürlich stellt sich immer die Frage, wie
etwas beendet werden kann und es gibt
immer den Wunsch mit einer Schere einfach alles durchzuschneiden. Aber
das ist eine brutale und wenig zufriedenstellende Form und sol........
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