von Isabella Bauer
„Aktenzeichen läuft!“ – sobald meine Mama,
mein Papa oder mein Bruder dies gesagt haben, habe ich alles stehen und liegen gelassen.
Sei es das Lernen für Prüfungen, der Plan gleich duschen zu gehen oder sogar
das Essen stand nun nur noch an zweiter Stelle. Seit klein auf gehört diese
Sendung zu meinem Pflichtprogramm und dies wird sich wahrscheinlich so schnell
nicht ändern – doch wie kann es sein, dass ich nach all den Jahren immer noch erwartungsvoll
auf die nächste Folge warte und beim Schauen gebannt vor dem Fernseher sitze?
Bei „Aktenzeichen XY ungelöst“ handelt es sich um eine 90-minütige Fernsehserie,
welche jeden vierten Mittwoch um 20:15 Uhr auf dem Sender ZDF ausgestrahlt
wird. Bereits seit 1967 wird durch diese Serie versucht, reale Verbrechen
aufzuklären und somit aus ungelösten Kriminalfällen gelöste zu machen. Dies
geschieht dadurch, dass die Verbrechen so gut wie möglich nachgestellt und in
kurzen – ca. 10-minütigen Filmen – präsentiert werden. So auch in der Folge vom
10.07.2019, die ich mir selbstverständlich nicht entgehen lassen konnte.
Schon am Anfang, wenn der kurze Einspielfilm mit der einprägsamen Melodie
erscheint, steigt bei mir die Spannung, welche Fälle heute gezeigt und
behandelt werden. Es ist, als hätte man mich konditioniert, denn diese wenigen
Sekunden des Einspielers schaffen es einfach jedes Mal aufs Neue, mich in einen
ängstlichen, bedrohten und gespannten Zustand zu versetzen.
Im Anschluss daran folgen dann die jeweiligen Fälle der Verbrechen, die der
Moderator Rudi Cerne gemeinsam mit dem Zuschauerpublikum lösen will. Das
Spektrum der Straftaten reicht von Banküberfällen, Entführungen und Vergewaltigungen
bis hin zu gewaltsamen Mordfällen. Nach dem kurzen Film ist dann ein
Kriminologe im Gespräch mit dem Moderator, wobei über den jeweiligen Fall
gesprochen wird – sei es die Täterbeschreibung, die ausgelobte Belohnung oder
auch die nachgezeichnete Route, die die Täter beispielsweise mit dem Auto
danach zurückgelegt haben. Und nicht zu vergessen: die Telefonnummer wird
eingeblendet, damit die Zuschauer – sofern sie Hinweise haben – anrufen können,
um bei der Klärung der Fälle mithelfen zu können.
So auch in der letzten Folge: der erste Fall handelt von einer ermordeten
Lehrerin, bei der man anfangs von einem natürlichen Tod ausging. Einen weiteren
Fall stellt der kuriose Einbruch bei einer Bankfiliale durch den Kellerschacht
dar, wobei zum Glück niemand verletzt wurde.
Der dritte Fall – der mich persönlich sehr zum Nachdenken gebracht hat – handelt
von einem Mann, welcher am 22.04.2017 zusammen mit seinem Sohn und seiner
Ex-Frau das Fußballspiel seines geliebten Vereins Eintracht Frankfurt besucht. Um
circa 20 Uhr macht er sich allein auf den Heimweg mit der S-Bahn, wobei er beim
Aussteigen von einem jungen Mann verfolgt wird, welcher ihm brutal ins Gesicht
schlägt. Daraufhin trifft das Opfer mit dem Kopf auf dem harten Untergrund auf
und eine große Menge Blut tritt aus, während der Täter nach dem Faustschlag
wieder zurück in die S-Bahn geht, als wäre nichts gewesen. Für das Opfer hat
sich das Leben seitdem drastisch verändert – um es mit Rudi Cernes Worten zu
sagen: „Für ihn ist nichts mehr so wie es war.“ So verbrachte er anschließend 2
Wochen auf der Intensivstation und seine Bürotätigkeit kann er seit dem Vorfall
auch nicht mehr ausüben. Als ihn sein Sohn beim Besuch fragt, wie es ihm denn gehe,
antwortet dieser: „Wie soll es mir denn gehen? Ich bin 52, darf nicht mehr
Autofahren, nicht mehr Radfahren, nicht mehr schwimmen, nicht mehr allein in
die Badewanne oder zum Stadion…“ – und genau solche Darstellungen der
Verbrechen und die nachträglichen Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben sind
es, die mich immer wieder fesseln. Denn man wird zum Nachdenken angeregt, wie
wertvoll das eigene Leben ist und dass es – in diesem Fall sogar wortwörtlich -
Schlag auf Schlag schnell anders gehen kann.
Die beiden letzten Fälle zeigen einmal eine versuchte Vergewaltigung und einen
Überfall auf ein Wettbüro, bei dem das Opfer neben leichten Verletzungen auch
einen großen Schock erlitt und seitdem unter Angstzuständen leidet.
Neben den nachgestellten Filmen gibt es auch noch die Rubrik „Aktenzeichen
XY…gelöst“, die Fälle aus früheren Sendungen zeigt, welche inzwischen – u.a.
durch die Zuschauerhilfe - aufgeklärt werden konnten. So beispielsweise auch
eine Serie von ungewöhnlichen Banküberfällen mit einer Bomben-Attrappe, die in
diesem Jahr durch die Festnahme des – wohlgemerkt – 80-jährigen Täters beendet
werden konnte.
Der „Aktenzeichen XY-Preis“, der an Helfer vergeben wird, die Schlimmeres
vermeiden konnten, stellt eine weitere Rubrik der Serie dar. In der aktuellen
Folge ging dieser Preis an zwei junge, aufmerksame Frauen, die eine versuchte
Vergewaltigung durch ihr furchtloses Handeln verhindern konnten – und so gelang
es der Polizei den Täter noch auf dem Fluchtweg zu fassen.
Gerade der XY-Preis ist für mich meistens ein spannungsreiches Highlight in der
Sendung, da hiermit Menschen verdient für ihre Zivilcourage und ihren Mut
ausgezeichnet werden. Dies impliziert auch einen Appell an die Zuschauer, dass
man stets die Augen und Ohren offenhalten soll – denn es kann überall ein
Verbrechen passieren und jeder von uns kann eventuell eine Gewalttat verhindern.
Generell ist es diese „Echtheit“ und dargestellte Realität, die Aktenzeichen XY
so besonders macht – denn obwohl die Aufmachung eher nüchtern-spießig wirkt,
lockt die Sendung regelmäßig bis zu 5 Millionen Zuschauer vor den Fernseher.
Der Fokus liegt hier eben nicht in einer überaus dramatischen Darstellung der
Fälle, sondern im Fahndungserfolg – und genau das ist eben das Hauptziel der
Sendung. Hierbei wird einem erst bewusst, dass gewaltsame Morde nicht nur
übertriebene Hirngespinste sind, sondern es tatsächlich skrupellose Menschen gibt
und man stets achtsam sein sollte. Apropos achtsam, da fällt mir ein, dass ich
bis jetzt weder meine Rollos runtergelassen noch die Fenster geschlossen habe –
das wird sich gleich ändern! Denn wie sagt Rudi Cerne am Ende der Sendung
immer? „Bleiben Sie sicher!“
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