TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 25. Juli 2019

God Friended Me

von Bjarne Schwebcke
Eine Facebook Freundschaftsanfrage von Gott? Ein absurder Gedanke. Doch einer, mit dem sich der Zuschauer mit dem afroamerikanischen Miles Finer in der Weltmetropole New York wiederfindet. Mit Social Media in Form von Facebook und Miles‘ Podcast wird die Debatte zwischen „nüchtern-realer“ wissenschaftlicher Weltanschauung und einer omnipräsenten Entität im 21. Jahrhundert entfacht. „There is no proof of God anywhere in the Universe [...] I am your host Miles Finer reminding you that there is no God - and that is okay.“ Der ‚Millennial Prophet‘ zerreißt zu Beginn die Vorstellung, dass Gott existieren könnte. Diese Meinung vertritt Miles auch gegenüber einer zum Podcast eingeladenen Pastorin und seinem Vater, welcher ein Priester in Harlem, New York ist. Entsprechend skeptisch und genervt reagiert der sonst so weltoffene, freundliche und hilfsbereite Atheist auf die wiederholten Freundschaftsanfragen vom Gott-Account. Der Delete Button von Freundschaftsanfragen erscheint mir sinnvoll.
Eine Wolke am Himmel, die genau so aussieht wie das Profilbild des Gott-Accounts. Reiner Zufall? Die Perspektive? Ein Teil der Wolke schiebt sich weiter. Doch ein Irrtum? Dann ein brennender Busch. Im Podcast noch als Zeichen Gottes lächerlich gemacht, dann doch Realität auf den Straßen New Yorks? Entwarnung: nur Kinder die ihren Schabernack treiben. Die Serie verleitet mich geschickt immer wieder zu dem naiven Glauben, dass in der Serie ein Gott existiert, nur um mich daraufhin wieder recht humorvoll in die “nüchterne“ Welt zurückzubefördern. Die Anhäufung der Zufälle ist groß genug, um das Interesse von Miles zu wecken. Die Reaktion auf die Annahme der Freundschaftsanfrage ist unmittelbar. Eine ‚Friend Suggestion‘, sonst eine Person, die man im normalen Facebook-Alltag kennen könnte, hier jedoch für alle Beteiligten eine vollkommen fremde Person. John Dove ist die erste ‚Friend Suggestion‘ vom Gott-Account und läuft Miles keine 10 Meter weiter über den Weg. Noch ein Zufall? Ein kurzer Überraschungsmoment für Miles und Grund genug, dieser Person in die U-Bahn Haltestelle zu folgen. Die Musik baut einen kurzen Spannungsbogen auf, dennoch vollkommen unvorhersehbare Ereignisse. Dann die Erleichterung, Miles kann John Dove davon abhalten sich vor die U-Bahn zu werfen.
Miles glaubt an einen ausgefuchsten Schwindel. Mir schwebt ähnliches im Kopf herum. Als Miles dies auf der Pinnwand vom Gott-Account schreibt: gleich die nächste ‚Friend Suggestion‘. Cara Bloom. Eine sympathische, junge Frau, die für Catapult Media als Journalistin Artikel schreibt.
Im Kundensupport von der Firma Identity Seal. Miles arbeitet dort mit seinem besten Freund Rakesh, der indischer Abstammung ist und in einem traditionell indischen Haushalt aufwächst. Ein Inder am Telefon ist schon etwas klischeébehaftet, in dem geschaffenen charmanten Rahmen jedoch nicht störend. Der selbsternannte ‚Video-Spiel Enthusiast‘ (nicht Hacker!) Rakesh soll sich einen Einblick hinter den Code des Gott-Accounts verschaffen. Miles begibt sich indes mittels Facebook-Post Hilfe auf Suche nach Cara. „What are you gonna tell her? God sent you?“ Eine Frage, die mir die Absurdität der so selbstverständlich dargestellten Situation vor Augen führt. Das Gespräch gestaltet sich eben genauso, da sie keine Ahnung hat worum es geht, er aber denkt, sie spiele dabei eine Rolle.
Frustriert über den Mangel an Aufklärung werden die ‚Friend Suggestions‘ gelöscht und Gott entfreundet. Miles will in den Alltag zurück. Er macht seine Präsentation für ein kommendes Vorstellungsgespräch fertig, um mit seinem Podcast Geld verdienen zu können und geht schlafen. Gott hat andere Pläne. Thermostat auf 38 Grad, Wecker klingelt laut um kurz vor 3 Uhr nachts und die Präsentation ersetzt durch Filmausschnitte von schlechter Religionspropaganda. Mir stellt sich die Frage nach Sicherheit und Privatsphäre. Dieses Beispiel zeigt mir, wie transparent mittlerweile fast alle, auch ich, leben. Überraschenderweise stört mich das nicht wirklich. Mich fasziniert, wie die Serie einen unkritischen Spiegel vor den Betrachter hält, dieser selber kritisch werden darf, aber durch den Ton der Serie nicht muss.
Miles will endgültig Antworten und sucht Cara nochmals auf. Jetzt merkt er schnell, dass Cara nicht involviert ist, aber als Journalistin wegen der Story helfen will. Diese nimmt eine überraschende Wendung. Der Gott-Account übernimmt abermals die Kontrolle über Miles Computer und zeigt den beiden ein Bild. Auf diesem sind Miles’ verstorbene Mutter, als diese Brustkrebs hatte, und Caras‘ Mutter als ihre damalige Krankenschwester abgebildet. Die Mutter hatte ihren Krebs besiegt und starb auf dem Heimweg vom Krankenhaus in einem Autounfall. Dieses Ereignis treibt eine Kluft zwischen Vater und Sohn, da sich Miles vom Glauben ab- und sein Vater sich ihm verstärkt zuwandte. Auch Cara wird durch das Bild mit schmerzhafter Vergangenheit konfrontiert, da ihre Mutter sie noch als kleines Kind verließ. Cara kommt mit der folgenden Begegnung mit ihrer Mutter, die eine neue Familie hat, nicht zurecht und flieht über eine Straße. Miles kann nur hilflos beobachten wie Cara von einem Auto erfasst wird. Aus einem Taxi dahinter steigt unverhoffte Rettung: der zuvor gerettete John Dove. Dieser ist Arzt und kann Cara retten. Eine neue Mutter-Tochter Beziehung zu Cara findet folgend im Krankenhaus ihre ersten Schritte.
In folgenden Episoden werden sehr verschiedene Lebenslagen und Glaubensrichtungen der ‚Friend Suggestions‘ beleuchtet, die die Hilfe von Miles benötigen. Cara und Rakesh komplettieren das Trio. Am Anfang einer Folge spricht Miles in einem ‘Millennial Prophet’ Podcast-Ausschnitt, dann ein Übergang in den Alltag von Miles, Cara und Rakesh. Daraufhin die Geschichten der ‘Friend Suggestions’. Unter anderem ein Heiratsdilemma in einer afghanischen Familie, bei dem der Konflikt zwischen dem Bruch ins Neue durch Kulturvermischung und traditionellem Denken aufgegriffen wird. Eine ähnliche Konfliktsituation besteht auch in Rakeshs Familienhaushalt. Oder eine alleinerziehende Mutter mit Jobschwierigkeiten und einem autistischen Sohn, der besonders stark auf Klaviermusik reagiert. Kommunikation spielt dabei meist die Schlüsselrolle. Dies verleitet Miles nach Auflösung eines Handlungsstranges zu immer mehr Kommunikation mit dem Glauben, oft personifiziert durch seinen Vater.
Doch wer steckt hinter dem Gott-Account? Ob dies eine höhere Macht sein könnte, oder ein geheimer Samariter, bleibt ungewiss. Auch wenn Rakesh in späteren Folgen sowohl einen Code sowie Informationen über die Ursprünge als auch mögliche Urheber findet, wird der Zuschauer kein Stück schlauer. Obwohl Miles, Rakesh und Cara weiterhin auf der Suche sind, ist ihnen relativ egal wer dahinter steckt, solange sie den Menschen weiterhin helfen können. Mir stellt sich die Frage nach der Motivation anderen zu helfen. Brauchen wir dazu überhaupt einen Gott? Die Serie vermittelt den Charakteren und dem Zuschauer, dass die Entität hinter dem Account lediglich das verbindende Element ist.
Die Stadt-, Straßen- und Wohnungsszenerien New Yorks umrahmen dabei sehr ästhetisch die Geschehnisse. Fast filmisch. Ebenso charmant schafft es die Serie eine für mich so noch nie dargestellte Interkulturalität einzufangen, die dabei nicht aufdringlich in die schön verknüpften Geschichten eingebunden wird. Rassismus ist dabei nie auch nur ansatzweise problematisiert. Zur Abwechslung mal ein sehr angenehmes Weltbild. Damit verbindet die seit 2018 laufende Primetime CBS Serie God Friended Me nicht nur wichtige Themen wie Religion und Kultur in der sich globalisierenden Welt. Ferner greift sie das Konzept der gegenseitigen Kommunikation, des Helfens und Helfenlassens mittels modernen Zeitgeists durch Facebook, Online Journalismus und Podcasts auf. Zusammen mit den kunstvollen Zusammenhängen eines großen Plans, der dem Zuschauer nicht bekannt ist, bildet God Friended Me mit ein wenig Spannung und viel Entspannung das perfekte Fernsehprogramm für Jedermann und zieht den Zuschauer in eine faszienierende Weltwahrnehmung.
Doch stellt der ‚Millennial Prophet‘ uns zugleich eine wichtige Frage: „In these crazy times we owe it to ourselves to ask the tough questions. I am ready for a real conversation. Are you?“

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