TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 12. Juli 2010

Im Banne der Vuvuzela


von Herbert Schwaab



Ein Gespenst geht um in der Fernsehwelt, ein infernalischer, lauter Dauerton, dem Wehklagen eingesperrter Seelen gleich, legt sich über die Übertragungen der Spiele der Weltmeisterschaft. Es ist, objektiv gesehen, ein hässliches Geräusch, es ist vor allem ein unpassender, asynchroner Ton, erstaunlich gleichgültig gegenüber den jeweiligen Gegebenheiten des Spiels, nur daran interessiert, sich ewig und ewig fortzuzeugen. Die Übertragung beginnt und das Geräusch ist schon da, als existiere es unabhängig von der Übertragung und dem Spiel – ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern jeden Moment mitbekommen zu haben, dass eine vorherige Stille im Stadion durch das Tröten der Vuvuzela unterbrochen wurde. Die vom Sportereignis ausgelösten Anschlusskommunikationen fokussieren sich in einem großen Maße auf den Krach der Vuvuzela, der in den südafrikanischen Stadien fabriziert wird.

Fachspezifische Problematiken, dass beispielsweise Messi die gepflegte Konversation mit seinen Mitspielern auf dem Platz vermisst, spielen eine untergeordnete Rolle. Viel deutlicher ist, dass etliche Fußballliebhaber diesen Ton als Irritation oder als Provokation begreifen. Weniger interessant sind die Argumente der Verteidiger der Vuvuzela, die häufig auf eine kulturelle Komponente verweisen, so als müsse man diesen Ton als authentischen Ausdruck der südafrikanischen Kultur und ihrer Lebensfreude einfach hinnehmen oder könne ihn aus diesem Grund gar bewundern (ähnlich wie das grauenvolle, überflüssige Hupen auf italienischen Straßen, das häufig als Ausdruck der italienischen Lebensfreude betrachtet wird). Allerdings ist die Plastiktröte ein relativ neues Phänomen und nicht wirklich verwurzelt in dieser Kultur. Tatsächlich erscheint mir die Irritation über die Vuvuzela, die das Spiel kaputt mache, berechtigt und nachvollziehbar, aber auch interessant, weil sie sehr viel über das Wesen der Inszenierungen von Sport im Fernsehen zum Ausdruck bringt und uns auf etwas hinweist, über das wir allzuselten nachdenken, den Ton. Die Inszenierung von Liveereignissen ist in immer stärkerem Maße auf Kontrolle ausgerichtet. Während es früher möglich war, den Eindruck zu erwecken, mit zwei, drei Kameras nur zu dokumentieren, was sich live auf dem Platz und dem Stadion ereignet, wird die Inszenierung immer aufwändiger. Markus Stauff hat darauf hingewiesen, dass gerade die Sportübertragung zum Areal wird, technologische Innovationen zu erproben (Zeitlupe, Kamerafahrt, Computeranalyse, digitales Fernsehen, Bildformate, etc.). Gerade hier tritt uns die Materialität des Mediums vor Augen, gerade hier wird versucht, das Ereignis zu kontrollieren und mediatisieren.

Rick Altmann macht in einer der wenigen Arbeiten zum Fernsehton deutlich, dass der so wenig beachtete Ton eine wichtige Aufgabe für ein beiläufiges, häusliches Medium übernimmt: Der Ton zeigt an, wann etwas passiert, um den unaufmerksamen Zuschauer, der vielleicht nebenbei mit etwas anderem beschäftigt ist, an das Medium zurückzubinden. Wir haben stärker als im Kino gelernt, einem eindeutig eingesetzten Ton im Fernsehen zu vertrauen, darüber bestimmte Genres oder interessante Momente oder Objekte zu identifizieren. Die Vuvuzela durchkreuzt sowohl die Versuche der Ereigniskontrolle in der Sportinszenierung als auch die Funktion des Fernsehtons, uns Sicherheit und Eindeutigkeit anzubieten. Der Krach der Vuvuzela, der aus einer anderen Welt zu stammen scheint, verhält sich äußerst indifferent gegenüber den Innovationen der Fernsehübertragung: Während sich die Fangesänge und das Jubeln wunderbar in die Inszenierung integrieren lassen, kapituliert der Versuch der Ereigniskontrolle vor diesem Ton. Dieser Krach bietet zudem nicht mehr die Sicherheit, anzuzeigen, wann etwas geschehen ist: Torjubel übertönt selten eindeutig den Dauerton.

So scheint mir die Vuvuzela in zweierlei Hinsicht als äußerst faszinierend: Der Zuschauer schlägt zurück und begreift sich nicht mehr als kontrollierbare Masse, die nur noch Bilder für die Ereignisinszenierung liefert. Jetzt greift der Zuschauer ein und bestimmt selbst, wie das Ereignis repräsentiert wird. Und die Vuvuzela macht uns darauf aufmerksam, was Ton im Fernsehen bedeutet. Er scheitert hier an einer Aufgabe, die er sonst immer übernimmt, im Fluss der Bilder Identifikationen zu erleichtern. Die Irritationen, die die Vuvuzela auslöst, sind berechtigt und erkenntnisstiftend. Trotzdem wünschte ich, sie würde auf ewig verstummen.

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