TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Montag, 19. Juli 2010

Vom Toast Hawaii zum Overkill: Kochsendungen im deutschen Fernsehen


von Christina Grundl


Über ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit im deutschen Fernsehen der erste TV-Koch auf Sendung ging. Mit Clemens Wilmenrod, dem Erfinder des Toast Hawaii, schenkte die ARD dem ausgemergelten Nachkriegsdeutschland 1953 nicht nur Wohlstand aus Schinken und Käse und Reiselust aus Ananas und Cocktailkirsche - Mit „Clemens Wilmenrod bittet zu Tisch“ sollte der gelernte Schauspieler auch zum Vorreiter einer Zunft werden, deren Vertreter spätestens seit den Nullerjahren nicht mehr aus der Fernsehlandschaft wegzudenken sind.

Tatsächlich beschäftigen sich aktuell knapp 30 Sendungen, alleine auf den Hauptsendern, mit dem existenziellsten Grundbedürfnis des Menschen. Grund genug für den Deutschen Fernsehpreis, der Kochshow 2007 eine eigene Kategorie zu widmen. Zwischen 2006 und 2007 erreichte ein regelrechter Kochsendungsboom die deutschen Zuschauer. Immer neue Formate bedienten sich der Kochkunst – manchmal um ihrer selbst Willen, manchmal als Grundlage für Wettbewerbe zwischen Laien und Profis, oder um den Blick in die Privaträume diverser Hobbyköche zu gewähren.

Doch nach dem anfänglichen Heißhunger scheint sich beim Publikum langsam ein Sättigungsgefühl einzustellen. Die genervten Stimmen werden lauter, dramatische Quoteneinbrüche sowohl auf den privaten als auch den öffentlich-rechtlichen Sendern sind die Folge. Tim Mälzer, mit „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ einstiger Erfolgsgarant auf VOX, kann mit seiner seit 2009 laufenden ARD-Version „Tim Mälzer kocht!“ bei weitem nicht an alte Erfolge anknüpfen. Nur etwa 900.000 der 14- bis 49-Jährigen sehen dem hektischen Küchen-Rockstar noch bei der Arbeit zu. Auch der Versuch des ZDF, Johannes B. Kerner heimlich durch einen anderen Schwiegersohn auszutauschen, blieb erfolglos. „Lanz kocht!“ begeistert, trotz des obligatorischen Ausrufezeichens, nur rund 740.000 Zuschauer.

Den einzelnen Sendungen Austauschbarkeit und Ideenarmut vorzuwerfen, liegt auf der Hand. Die Flut an Restaurantrettern oder -testern und Küchenchefs oder –profis bestätigt dies. Stellt man die Kochsendung aber in die Tradition von Richtershows und Nachmittagstalks und prophezeit ihr ein jähes Ende, könnte man irren. Selbst wenn die Quoten ganz in den Keller fallen, mindestens eine Gruppe bleibt nach wie vor begeistert von den appetitanregenden Lifestylesendungen – die der Werbenden. Wer möchte sein Produkt nicht lieber zwischen Balsamicodressing und Straußenfilet platzieren, als zwischen Hartz-IV-Frust und Teenagerschwangerschaft?

Derartigen Inhalten verweigert sich die Kochshow noch. Umso unverständlicher, dass sie von ihren Kritikern in die Riege der wert- und belanglosen Stumpfsinns-Formate eingereiht wird. Die Kochsendung benötigt keinen moralischen Impetus. Als Unterhaltungsformat ist es nicht ihre Aufgabe, Erziehungsarbeit zu leisten – im Gegenteil. Vielmehr scheint es doch eher unangebracht, wenn sie es sich im Sinne der „Volksgesundheit“ zur Aufgabe macht, der kulinarisch zurückgebliebenen Fast-Food-Nation mit erhobenem Zeigefinger endlich das richtige Essen beizubringen.

Stattdessen könnte das Kochen in innovativer Weise für Fernsehunterhaltung sorgen. Von 2007 bis 2008 lief im 3sat-Nachtprogramm Patrick Müllers Küchenshow „Silent Cooking". Nicht in einem TV-Studio, sondern in einer Wiener Restaurantküche bereitete der junge Koch mit fließenden Bewegungen ein Drei-Gänge-Menü zu – ohne dabei ein Wort zu sprechen. Untermalt wurde dieses meditative Entspannungsprogramm à la „Bob Ross“ und „Space Night“ von elektronischer Musik. Sehr appetitlich, und völlig ohne in Alfons-Schubeck-Manier auf die antioxidantischen Eigenschaften der garantiert biologisch angebauten Zutaten hinzuweisen.

Das hat Clemens Wilmenrod übrigens auch nicht nötig gehabt – Der schüttete gnadenlos Dosengemüse, Hackfleisch und Ketchup zusammen und betitelte das Ganze dann ungeniert als „Arabisches Reiterfleisch“.

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