TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Mittwoch, 28. August 2019

Hilf Mir! … Und rette mich vor diesem Format!

von Elias Schäfer
Da kommt man nach einem anstrengenden Tag nach Hause, geht auf YouTube, um den Abend entspannt ausklingen zu lassen, und erblickt zwischen all dem gängigen Clickbait und den meisterhaften Photoshop-Thumbnails eine wahre Perle von Titel: “All-in: Mein Mann hat mich beim Pokern verscherbelt”, gepostet von einem Kanal namens Hilf Mir! Jung, pleite, verzweifelt. Dies stellt die aktuelle Lebenssituation vieler Studierenden dar, also zeige ich mich als Angehöriger dieser Gruppe interessiert und klicke auf diesen Kanal, um herauszufinden, was es damit auf sich hat. Daraufhin öffnen sich regelrechte Abgründe: Durchschnittlich 15 minütige Clips mit weiteren Titelhammern wie “Mein Freund mästet mich!” (mauserte sich sogar zum epischen Zweiteiler!), “Vom nerdy Loser zum freshen Checker? Umstyling a la Pascal”, “Die Furry-WG: Die Hausmeisterin terrorisiert uns”… die Auswahl ist grenzenlos und zutiefst verlockend. Zuerst geht es allerdings an die Recherche über die eigentliche Show.
Diese läuft nicht exklusiv auf YouTube, sondern ist ein einstündiges Format im Nachmittagsprogramm von RTL II und wird werktags ausgestrahlt. Für einen ausreichenden Überblick sorgen jedoch auf jeden Fall die YouTube-Videos. Kehren wir für die weitere Evaluation zurück zum ersten Beispiel, der “All-in” Folge. Gleich in den ersten Sekunden wird man brutal von der Serie angelogen, denn es sitzt ein beleibter Mann im String-Tanga an einem mit Bier und Zigarettenstummeln vollgemüllten Holztisch in einer Abstellkammer. Anbei befindet sich eine Frau in einem Leopardenoberteil, die dem Aussehen zufolge eine nie enden wollende Midlifecrisis durchlebt, ein schmieriger Kerl mit Zigarre im Mund und eine weitere Dame mit pinkem Glitzertop. Sie spielen Poker. Die Situation sieht nach “pleite” und “verzweifelt” aus, aber von “jung” ist hier keine Spur. Naja, so weit, so Assi-TV.
Nach gegenseitiger Anzankerei, zwei Minuten voll grauenhaften Schauspiels und mindestens zehnfach so vielen verlorenen Gehirnzellen will man schon wieder wegdrücken, aber es geht nicht. Irgendwie ist die Story doch zu fesselnd und das Gesamtkonzept zu belustigend. Der beleibte Mann, Fritz, verspielt nicht nur all seine Klamotten, sondern auch noch seine Wohnung und seine Ehefrau Petra (die Frau mit dem Leopardenoberteil), die aufgrund dessen verständlicherweise ausrastet. Dazwischen werden immer wieder “Juristen” und “Psychologen” eingeblendet, die in bester RTL Jahresabschlussshow-Manier ihren pädagogisch wertvollen Senf dazugeben, z.B. “Das finde ich gar nicht in Ordnung!”. Die Geschichte entfaltet sich immer weiter, doch wenn man die Klimax herausfinden will, muss die ganze Folge entweder auf RTL II oder auf tvnow.de erhascht werden.
Diesem Muster folgen ziemlich alle Hilf Mir! Episoden und meistens sind sogar hauptsächlich junge Leute in den Hauptrollen. Die Scripted-Reality Show behauptet von sich selbst, eine “Ratgeber-Serie” für Jugendliche zu sein, die sich in prekären Situationen sämtlicher Prägung befinden. Es solle immer ein Problem gezeigt werden, das im Leben eines gewöhnlichen Teenagers passieren könnte. Manche Folgen sind sogar gar nicht weit vom Schuss und zeigen Jugendliche in Geldnot, Liebeskummer oder Auseinandersetzungen mit Eltern bzw. Gleichaltrigen. Viele haben aber gar nichts mit der Prämisse zu tun. Was diese Serie allerdings so absurd macht, sind nicht nur die meist schauspieltalentfreien Protagonisten, sondern die wahnwitzigen over-the-top Plots jeder Folge. Hilf Mir! ist wie ein Autounfall, ein Flugzeugabsturz, ein Atombombenabwurf. Man kann nicht hinsehen, man will nicht, man sträubt sich dagegen, und doch passiert es und man liegt am Ende des Hilf Mir!-Bingewatching-Marathons quasi hirntot im Bett und fühlt sich ausgelaugt. War es das wert? Nein. Werde ich mir nochmal diese Aufführung des Grotesken wie hypnotisiert ansehen? Leider ja.

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