TV Kultur und Kritik
ist im Rahmen einer Übung im Fach Medienwissenschaft an der Universität Regensburg entstanden. Der Blog versammelt Kritiken zu den unterschiedlichsten Facetten der Fernsehkultur, die von arte (Breaking Bad) bis RTLII (Die Geissens) reicht. Ziel ist es eine Kritik zu etablieren, die dem Wesen, der Rezeption und der Faszination für das Format gerecht wird. Wir sind offen für Beiträge, die die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen erweitern.

Donnerstag, 7. Mai 2015

Sein und Zeit und Gilmore Girls




 von Herbert Schwaab 

In der vierten Staffel der Serie Gilmore Girls findet sich eine Szene, die die besondere dramaturgische Gestaltung dieses Programms deutlich mach. Es ist absehbar, dass diese auf 153 Episoden ausgelegte ‚extended romantic comedy‘ irgendwann einmal den Cafebesitzer Luke und die Hotelmanagerin Lorelai zusammenbringen wird, es ist ein notwendiger Bestandteil des Genres.  Aber diese Annäherung wird äußerst sorgfältig inszeniert. Die Serie hat bis zu dem Ende der vierten Staffel immer wieder kleine, besondere Momente inszeniert, die auf sehr beiläufige Weise die Gefühle zwischen Luke und Lorelai angedeutet haben: ein Blick, der etwas länger auf dem anderen ruhte, ein kurzes Aufflackern grundloser Eifersucht, Momente, in denen sie sich an ihrer bloßen Gegenwart erfreuen konnten.
Lukes finale Erkenntnis, dass er Lorelai liebt, gewinnt er zwar mit Hilfe eines unglaublich banalen Beziehungsratgebers, aber der Ratgeber gibt ihm die Möglichkeit, alle diese kleinen magischen Momente zu rekapitulieren: Er hört sich den Ratgeber auf Cassette an. Er stellt diverse Fragen danach, mit welcher Frau er Spaß hat, an welche Frau er am häufigsten denken muss und Ähnliches. Luke beantwortet diese Fragen nicht hörbar. Wir sehen nur sein Gesicht, an dem sich deutlich abzeichnet, an wen er dabei immer denkt und immer gedacht hat. An allen diesen Ereignissen, an die er denkt und die wir nicht sehen, war der Zuschauer beteiligt, was vielleicht erklärt, warum diese Szene eine so starke Wirkung entfaltet. Sie belohnt die Geduld der Betrachter, sie gibt seinen Erinnerungen an Momente der Serie Bedeutung. Wir stellen uns vor, was Luke sich vorstellt. Während Serialität immer als eine eher auf Flüchtigkeit und Wiederholung ausgerichtete ästhetische Komponente von Fernsehprogrammen betrachtet wird, findet sich hier ein seltenes Beispiel dafür, wie aus diesen vielen flüchtigen Momenten eine Einheit geschafft werden kann.
 Als Online-Anbieter von Fernsehprogrammen und Filmen ist es Netflix sehr wichtig, zu wissen, was seine Kunden schauen wollen. Netflix, das gerade den deutschen Fernsehmarkt betreten hat, entwickelt komplexe Algorithmen, die die verborgenen Wünsche der von ihnen bedienten Zuschauer erforschen. Serien, für die es einen Demand zu geben scheint, werden unverzüglich aufgekauft und dem Programmangebot zugeordnet. Gilmore Girls ist einer dieser Serien, die Netflix erworben hat, obwohl deren letzte Episode im Jahr 2007 produziert wurde. Dies ist ein Beispiel für die Nachhaltigkeit, die manche Serien zu erzeugen vermögen. Das Fernsehen besteht zu großen Teilen aus Programmen, die bereits mehrmals ausgestrahlt wurden. Der „rerun“ einer Serie verweist auf eine Qualität vieler serieller Produktionen, nicht für einmalige Betrachtung geschaffen zu sein, Wiederholung zu ertragen, in anderen Zeiten und Kontexten zu funktionieren. Spartensender wie Sixx oder Disney Channel basieren ihr Programm fast ausschließlich auf älteren Programmen, Hauptprogramme wie Kabel 1 oder RTL 2 strahlen jahrelang in nicht enden wollenden Wiederholungen Sitcoms wie King of Queens aus, und man wundert sich erst, wenn eine Serie endgültig aus den Programmen verschwunden ist. Legendäre Programme wie die Sitcom I Love Lucy werden in den USA und anderen Staaten seit 60 Jahren immer wieder ausgestrahlt. Der ‚rerun‘ steht für eine andere Zeitlichkeit eines sonst auf Aktualität und Neuheit ausgerichteten Fernsehens. Die Wiederausstrahlung ist auch ein wichtiger Gradmesser dafür, welche Serien, was ja das Datatracking und die Algoritmen von Netflix bestätigen, ‚tatsächlich‘ gut sind bestehen.

Trotz dieser Qualität von Nachhaltigkeit wird Gilmore Girls selten explizit als eine Serie des Quality Television begriffen. Das hat viel mit seiner unscheinbaren Ästhetik, an einer klassischen Bildauflösung orientierten Ästhetik zu tun, aber auch der Fokus auf ein eher jugendliches Publikum verhindert, dass der Serie eine ähnliche Aufmerksamkeit, in den Feuilletons oder in der Fernsehwissenschaft, gewidmet wird wie Serien wie Breaking Bad oder Mad Men etwa. Solche Serien leben davon, eine Tiefe der Charaktere zu suggerieren, dass jedes Ereignis mit einem anderen Ereignis verbunden ist, dass es eine endlose kausale Kette gibt, die sich aus der Psychologie der Figur ergeben. Tatsächlich handelt es sich aber meist um eine Akkumulation von Komplikationen, die auch das Erzählen von melodramatischen Endlosserien, Prime Time Soaps wie Dallas oder Daily Soaps wie GZSZ prägen. Meist wissen auch die Qualitätsserien nicht, was mit ihren Charakteren zwei Staffeln später geschehen wird, aber sie tun so, als wüssten sie es, um der Intelligenz eines aufmerksamen, nach Zusammenhängen suchenden Betrachters zu schmeicheln. Es handelt sich eher um einen eingebildeten Zusammenhang der Ereignisse. 
Im Gegensatz dazu ist Gilmore Girls tatsächlich eine Serie, die gerade weil sie als Comedy Drama die Psychologie der Charaktere nicht zu ernst nimmt, tatsächlich immer wieder auf befriedigende Weise einen über die Episode hinausverweisenden Zusammenhang, eine Bedeutung kleiner Momente, die als Vorausschau auf spätere Ereignisse begriffen werden können, andeutet. Mit dem Programm findet die Flüchtigkeit und Alltäglichkeit seriellen Erzählens eine Form.  Das ist einer von vielen Gründen warum ich immer wieder zu der Serie zurückkehre. Vielleicht erklärt diese Zeitlichkeit auch, warum ich nicht das für die Qualitätsserie so typische Serienbinging vollziehe (eine Staffel in einer Nacht), sondern mich immer darauf freue, wenn es als Wiederausstrahlung, wie gerade auf dem Disney Channel, zu sehen ist und ich mich auf den der Serie entsprechenden wöchentlichen Rhythmus einlassen kann, mein Alltag und der Alltag von Stars Hollow sich immer wieder miteinander synchronisieren. Und so ertrage ich es auch, dass sich meine Frau immer darüber lustig macht, dass ich diese Serie schaue, deren Publikum immer eher als weiblich und jugendlich imaginiert wird. In der ‚offiziellen‘ Serienkultur mögen andere Programme zählen, für mich und nicht nur für die Algorithmen von Netflix wird Gilmore Girls immer eines der besten Programme aller Zeiten bleiben.

2 Kommentare:

  1. In so einem Licht habe ich die Serie ja nie betrachtet. Das lustige ist dran, dass ich erst heute wieder Gilmore Girls angeschaut habe! Es ist schon fast wie eine Strafe, ständig darauf zu warten, bis die Beiden zusammen kommen. Ich glaube genau deshalb habe ich damals aufgehört weiter zuschauen. Aber dann habe ich mit Breaking Bad angefangen... Eine endlose Schleife, würde ich sagen. Trotzdem habe ich bei dieser Serie viel mehr das Gefühl von Tiefe in den Charakteren.

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  2. Ich fand breaking bad VIEL besser. Kann ueberhaupt nicht nachvollziehen, was der Hype soll...

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